Leipzig, Sitz der European Energy Exchange, EEX, der Betreibergesellschaft der europäischen Strombörse. In einem Großraumbüro im 23. Stock des City-Hochhauses sitzen zwölf Mitarbeiter – jeder umgeben von drei, vier Bildschirmen. Ihre Aufgabe ist nicht der Handel mit Strom: Sie betreiben die Börse. Die Preise bewegen sich gerade stark nach oben.
"Es ist so, dass sich die Struktur der Marktteilnehmer im Strommarkt über die letzten Jahre sehr stark weiterentwickelt hat."
"Es ist so, dass sich die Struktur der Marktteilnehmer im Strommarkt über die letzten Jahre sehr stark weiterentwickelt hat."
Tobias Paulun ist Vorstandsmitglied der Strombörse EEX. Durch die Liberalisierung der europäischen Elektrizitätsmärkte und vor allem durch die Erneuerbaren Energien, mit ihrer stark schwankenden Produktion, hat der europäische Stromhandel enorm an Bedeutung gewonnen.
"Früher war es so, dass typischerweise nur große Stromproduzenten und Stromversorgungsunternehmen, sowie einzelne Industriekunden am Markt aktiv waren. Wir sehen inzwischen, dass zunehmend mehr kleinere und mittelgroße Unternehmen im Markt aktiv sind, insbesondere im Zusammenhang mit der Einspeisung von Erneuerbaren Energien."
In den ersten sechs Monaten dieses Jahres deckte Ökostrom, nach Berechnungen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW, 44 Prozent des deutschen Strombedarfs. Doch dieser Anteil schwankt mit dem Wetter, klettert mal auf 90 Prozent oder sinkt ab auf zehn. Deshalb hat sich inzwischen der kurzfristige Stromhandel, der nicht in Leipzig, sondern am zentraleuropäischen Spotmarkt für Energie in Paris abgewickelt wird, zum wichtigen Werkzeug entwickelt, um schnelle Schwankungen auszugleichen.
"Und das bis zu fünf Minuten vor der tatsächlichen Lieferung des Stroms. Das heißt, Sie können beispielsweise um fünf vor acht Uhr morgens noch Strom einkaufen, den sie bereits um acht Uhr benötigen."
"Früher war es so, dass typischerweise nur große Stromproduzenten und Stromversorgungsunternehmen, sowie einzelne Industriekunden am Markt aktiv waren. Wir sehen inzwischen, dass zunehmend mehr kleinere und mittelgroße Unternehmen im Markt aktiv sind, insbesondere im Zusammenhang mit der Einspeisung von Erneuerbaren Energien."
In den ersten sechs Monaten dieses Jahres deckte Ökostrom, nach Berechnungen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW, 44 Prozent des deutschen Strombedarfs. Doch dieser Anteil schwankt mit dem Wetter, klettert mal auf 90 Prozent oder sinkt ab auf zehn. Deshalb hat sich inzwischen der kurzfristige Stromhandel, der nicht in Leipzig, sondern am zentraleuropäischen Spotmarkt für Energie in Paris abgewickelt wird, zum wichtigen Werkzeug entwickelt, um schnelle Schwankungen auszugleichen.
"Und das bis zu fünf Minuten vor der tatsächlichen Lieferung des Stroms. Das heißt, Sie können beispielsweise um fünf vor acht Uhr morgens noch Strom einkaufen, den sie bereits um acht Uhr benötigen."
Der gesamte Handel an den Strombörsen läuft anonym - niemand weiß, wer da gerade kauft oder verkauft. Doch jeder Marktteilnehmer ist per Gesetz dazu verpflichtet, dass sein sogenannter "Bilanzkreis" geschlossen ist - sprich: Er muss dafür sorgen, dass er so viel Strom kauft, wie er entnimmt oder so viel einspeist, wie er verkauft. Sonst kann es kritisch werden für die Netzstabilität. Das ist im vergangenen Juni im deutschen Markt gleich an drei Tagen passiert:
"Es gab im Juni sehr unterschiedliche Situationen, wo die Ursachenforschung wahrscheinlich andere Ergebnisse zeitigen wird."
Erläutert Achim Zerres, Abteilungsleiter Energie bei der Bundesnetzagentur in Bonn. Die Behörde reguliert unter anderem den Strombereich in Deutschland und ist seit 2011 für den Netzausbau zuständig.
"Ein Teil der Probleme war an einem Tag darin begründet, dass der intraday-Börsenhandel ausgefallen war."
Erläutert Achim Zerres, Abteilungsleiter Energie bei der Bundesnetzagentur in Bonn. Die Behörde reguliert unter anderem den Strombereich in Deutschland und ist seit 2011 für den Netzausbau zuständig.
"Ein Teil der Probleme war an einem Tag darin begründet, dass der intraday-Börsenhandel ausgefallen war."
Stromhändler verzockten sich
Beim kurzfristigen Stromhandel in Paris löste eine inkorrekte Bestellung einen Computerfehler aus: Der internationale Handel brach zusammen. Strom konnte nur noch in den nationalen Marktgebieten gehandelt werden, wo es dann zu weiteren IT-Fehlern kam.
"Am Beunruhigendsten ist aber die Situation, wo eigentlich überhaupt nichts Ungewöhnliches in den Märkten oder im Wettergeschehen da war. Strom stand reichlich zur Verfügung, es war ein völlig unauffälliges Marktgeschehen. Trotzdem haben Bilanzkreisverantwortliche ihre Pflichten nicht erfüllt."
Denn um ihre Verkäufe abzudecken, hätten sie eigentlich mehr Strom kaufen müssen. Doch das taten sie eher zögerlich, erläutert Klaus Kleinekorte, technischer Geschäftsführer bei Amprion, einem der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber, die den Strom über große Distanzen transportieren.
Denn um ihre Verkäufe abzudecken, hätten sie eigentlich mehr Strom kaufen müssen. Doch das taten sie eher zögerlich, erläutert Klaus Kleinekorte, technischer Geschäftsführer bei Amprion, einem der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber, die den Strom über große Distanzen transportieren.
"Warum war das so? Weil wir einen durchaus hohen Börsenpreis hatten und die Ausgleichsenergie, die wir als Übertragungsnetzbetreiber für den Fall der Fälle bereitstellen, im Mittel preiswerter war als die Energie, die man an der Börse hat zukaufen müssen."
Dahinter steckt, dass die Übertragungsnetzbetreiber für die Stabilität der Stromversorgung verantwortlich sind. Vier von ihnen gibt es in Deutschland, und sie sorgen dafür, dass Strom quer durch das Land transportiert werden kann. Sie sind für die Stabilität des Netzes verantwortlich und kompensieren deshalb Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage. Etwa, indem sie Kraftwerke unter Vertrag haben, die auf Zuruf binnen Sekunden oder Minuten Strom liefern. Oder sie können große Verbraucher wie Aluminium- oder Stahlwerke kurzfristig abschalten und so die Nachfrage senken. Für diesen Strom, mit dem die Übertragungsnetzbetreiber ausgleichen, wenn zu wenig im Netz ist, müssen die Händler zwar zahlen, aber er war an den kritischen Tagen im Juni preiswerter als der normal an der Börse gehandelte.
Händler verkauften Strom, den sie gar nicht hatten
Also verkauften Händler Strom, den sie gar nicht hatten, verließen sich darauf, dass die Übertragungsnetzbetreiber es richten. Die setzten ihre gesamten Reserven ein – und es reichte nicht. Also versuchten sie am Pariser Spotmarkt kurzfristig mehr Energie zu kaufen. Doch auch dort sahen Händler, dass der Strom der Übertragungsnetzbetreiber billiger käme als der wirklich vorhandene – und platzierten Leerverkäufe, handelten also mit Strom, den sie gar nicht hatten. Die Lage schaukelte sich weiter hoch.
"Das war so massiv, dass wir stundenweise bis zu 6.000 MW Defizit hatten."
6.000 Megawatt – das entspricht der Leistung von sechs Atomkraftwerken.
"Wir konnten das erst dadurch stoppen, dass wir Übertragungsnetzbetreiber vereint Energie aus dem Ausland gekauft haben. Warum hat die Energie aus dem Ausland geholfen? In dem Moment, wo ich Energie aus dem Ausland gekauft habe, aus Frankreich, aus der Schweiz, aus Österreich, haben die benachbarten Übertragungsnetzbetreiber physikalisch mit ihren Systemen dafür gesorgt, dass da auch eine physikalische Erbringung dahinter ist, und da konnten wir das Defizit mit vereinten Kräften stoppen. Aber es ist Handlungsbedarf. Wir müssen das System verändern."
"Das war so massiv, dass wir stundenweise bis zu 6.000 MW Defizit hatten."
6.000 Megawatt – das entspricht der Leistung von sechs Atomkraftwerken.
"Wir konnten das erst dadurch stoppen, dass wir Übertragungsnetzbetreiber vereint Energie aus dem Ausland gekauft haben. Warum hat die Energie aus dem Ausland geholfen? In dem Moment, wo ich Energie aus dem Ausland gekauft habe, aus Frankreich, aus der Schweiz, aus Österreich, haben die benachbarten Übertragungsnetzbetreiber physikalisch mit ihren Systemen dafür gesorgt, dass da auch eine physikalische Erbringung dahinter ist, und da konnten wir das Defizit mit vereinten Kräften stoppen. Aber es ist Handlungsbedarf. Wir müssen das System verändern."
Fehlanreize korrigiert
Die Bundesnetzagentur hat reagiert: Um die Fehlanreize zu korrigieren, ändert sie das Berechnungsverfahren, die Ausgleichsenergie soll nun immer teurer sein als der Marktpreis. Und außerdem müssen Händler künftig schon vor dem Liefertermin dafür sorgen, dass sie dann auch wirklich genau so viel Strom einspeisen können wie sie verkaufen. Achim Zerres:
"Dagegen ist die Branche lange vorgegangen. Das werden wir jetzt nicht mehr tolerieren. Wir werden sicherstellen, dass wir diese Anreize so justieren, dass am Ende des Tages das Unausgeglichen-Sein immer die teuerste aller denkbaren Varianten ist."
"Dagegen ist die Branche lange vorgegangen. Das werden wir jetzt nicht mehr tolerieren. Wir werden sicherstellen, dass wir diese Anreize so justieren, dass am Ende des Tages das Unausgeglichen-Sein immer die teuerste aller denkbaren Varianten ist."
Die spekulativen Auswüchse des Börsenhandels sind nicht die einzige Belastung für das deutsche Stromnetz. Derzeit wird es auch noch gerade im Rahmen der Energiewende tiefgreifend umstrukturiert: ein Umbau im laufenden Betrieb und am Rande der Leistungsfähigkeit.
Strapaziertes Netz
Denn dieses Netz stammt aus einer Zeit, als Strom bedarfsgerecht in eine Richtung floss: vom Kraftwerk über die Übertragungsnetze und die Verteilernetze zum Verbraucher. Jetzt jedoch gibt es einen je nach Wetterlage schwankenden Gegenverkehr: beispielsweise von den Photovoltaikanlagen auf den Dächern hinauf in die Übertragungsnetze. Und die größte Herausforderung für das deutsche Stromnetz ist, die Masse an Erneuerbaren Energien auch zum Verbraucher zu transportieren. Tobias Paulun von der Leipziger Strombörse:
"Das heißt, in Deutschland muss ein großes Augenmerk auf dem bedarfsgerechten Netzausbau liegen, damit auch für Marktteilnehmer langfristige Sicherheit besteht, dass sie deutschlandweit Energie ohne technische Restriktionen aus dem Übertragungsnetz kaufen und verkaufen können."
"Das heißt, in Deutschland muss ein großes Augenmerk auf dem bedarfsgerechten Netzausbau liegen, damit auch für Marktteilnehmer langfristige Sicherheit besteht, dass sie deutschlandweit Energie ohne technische Restriktionen aus dem Übertragungsnetz kaufen und verkaufen können."
Deutscher Strommarkt ist nicht in Teilmärkte gesplittet
Das ist nicht immer der Fall, denn der deutsche Strommarkt ist nicht in Teilmärkte gesplittet, sondern ein einheitlicher "Block".
"Man kann in Deutschland Strom von Kiel nach Garmisch-Partenkirchen verkaufen, und wird so gestellt, als ob dieser Strom tatsächlich von Nord nach Süd flösse. Dass das real nicht geht und der Netzbetreiber da Engpassbewirtschaftungsmaßnahmen ergreifen muss, steht auf einem anderen Blatt. Die Rechnung dafür findet sich in den Netzentgelten wieder."
Zwar zahle das der Verbraucher, aber er profitiere letztendlich von dem großen Markt, in dem niemand das Geschehen dominieren und die Preise treiben könne, erklärt Achim Zerres von der Bundesnetzagentur. Allerdings werden Engpässe nicht so schnell der Vergangenheit angehören. Beispiel: Das Atomkraftwerk Philippsburg in Baden-Württemberg. Als Ersatz für dieses Kernkraftwerk sollte das Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsnetz "Ultranet" über Nordrhein-Westfalen 2.000 Megawatt Windstrom aus dem Norden nach Philippsburg liefern. Doch langwierige Genehmigungsverfahren und Bürgerproteste verzögerten das Projekt.
"Jetzt wird Philippsburg 2019 außer Betrieb gehen, und Ultranet, wenn alles jetzt irgendwie gut läuft, Anfang `23 erst in Betrieb genommen werden können. Da wird Baden-Württemberg an einem seidenen Faden hängen, ob wir dort Stromversorgung immer sicherstellen können."
"Man kann in Deutschland Strom von Kiel nach Garmisch-Partenkirchen verkaufen, und wird so gestellt, als ob dieser Strom tatsächlich von Nord nach Süd flösse. Dass das real nicht geht und der Netzbetreiber da Engpassbewirtschaftungsmaßnahmen ergreifen muss, steht auf einem anderen Blatt. Die Rechnung dafür findet sich in den Netzentgelten wieder."
Zwar zahle das der Verbraucher, aber er profitiere letztendlich von dem großen Markt, in dem niemand das Geschehen dominieren und die Preise treiben könne, erklärt Achim Zerres von der Bundesnetzagentur. Allerdings werden Engpässe nicht so schnell der Vergangenheit angehören. Beispiel: Das Atomkraftwerk Philippsburg in Baden-Württemberg. Als Ersatz für dieses Kernkraftwerk sollte das Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsnetz "Ultranet" über Nordrhein-Westfalen 2.000 Megawatt Windstrom aus dem Norden nach Philippsburg liefern. Doch langwierige Genehmigungsverfahren und Bürgerproteste verzögerten das Projekt.
"Jetzt wird Philippsburg 2019 außer Betrieb gehen, und Ultranet, wenn alles jetzt irgendwie gut läuft, Anfang `23 erst in Betrieb genommen werden können. Da wird Baden-Württemberg an einem seidenen Faden hängen, ob wir dort Stromversorgung immer sicherstellen können."
7.700 Kilometer neue Trassen sind nötig
Amprion-Manager Klaus Kleinekorte. Allein um den süddeutschen Atomstrom durch norddeutsche Windenergie zu ersetzen, sind 7.700 Kilometer neuer Trassen notwendig:
"Davon sind noch nicht einmal 20 Prozent umgesetzt. Wir werden weitere rund 5000 Kilometer zusätzlich brauchen, um dieses jetzt noch ambitioniertere Ziel zu erreichen, bis 2030 deutschlandweit 65 Prozent des Stroms auf Basis von Erneuerbaren umwandeln zu wollen."
Erklärt der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart, FDP. Mitte Mai trat deshalb ein von CDU-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier initiiertes Gesetz in Kraft, das den Netzausbau voranbringen soll: Genehmigungsverfahren für Neubau, Verstärkung und Optimierung der Stromleitungen sollen vereinfacht, beschleunigt und ihr Fortschritt genau kontrolliert werden.
"Ich glaube, dadurch haben wir jetzt viel mehr Entscheidungsdruck reingebracht und auch mehr Planungssicherheit. Ich hoffe sehr, dass auf dieser Grundlage in den nächsten Jahren auch die Ausbauziele wirklich erreicht werden können."
"Davon sind noch nicht einmal 20 Prozent umgesetzt. Wir werden weitere rund 5000 Kilometer zusätzlich brauchen, um dieses jetzt noch ambitioniertere Ziel zu erreichen, bis 2030 deutschlandweit 65 Prozent des Stroms auf Basis von Erneuerbaren umwandeln zu wollen."
Erklärt der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart, FDP. Mitte Mai trat deshalb ein von CDU-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier initiiertes Gesetz in Kraft, das den Netzausbau voranbringen soll: Genehmigungsverfahren für Neubau, Verstärkung und Optimierung der Stromleitungen sollen vereinfacht, beschleunigt und ihr Fortschritt genau kontrolliert werden.
"Ich glaube, dadurch haben wir jetzt viel mehr Entscheidungsdruck reingebracht und auch mehr Planungssicherheit. Ich hoffe sehr, dass auf dieser Grundlage in den nächsten Jahren auch die Ausbauziele wirklich erreicht werden können."
Zweifel bei den Rechnungsprüfern
Ob das gelingt, daran gibt es Zweifel. Arne Steuer, Leiter des Prüfungsgebiets Wirtschaft und Energie beim Bundesrechnungshof:
"Aus Sicht des Bundesrechnungshofs besteht nun damit das Risiko, dass es der Bundesregierung nicht gelingt, den weiteren Netzausbau wegen des weiteren Ausbaus erneuerbarer Energieanlagen rechtzeitig und wirtschaftlich zu erfüllen."
Die Kosten für die drei geplanten Stromautobahnen mit einer Transportleistung von 8.000 Megawatt steigen immens.
"Es ist jetzt allerdings so, dass für den Netzausbau an Land bis zum Jahr 2030 die Bundesregierung noch im Jahr 2017 davon ausging, dass es etwa 33 Milliarden Euro kosten würde.
"Aus Sicht des Bundesrechnungshofs besteht nun damit das Risiko, dass es der Bundesregierung nicht gelingt, den weiteren Netzausbau wegen des weiteren Ausbaus erneuerbarer Energieanlagen rechtzeitig und wirtschaftlich zu erfüllen."
Die Kosten für die drei geplanten Stromautobahnen mit einer Transportleistung von 8.000 Megawatt steigen immens.
"Es ist jetzt allerdings so, dass für den Netzausbau an Land bis zum Jahr 2030 die Bundesregierung noch im Jahr 2017 davon ausging, dass es etwa 33 Milliarden Euro kosten würde.
Mit dem Planungsstand 2019 haben sich die Kosten auf 52 Milliarden Euro erhöht. Das ist eine Kostensteigerung von fast 60 Prozent, und das ist zumindest für den Bundesrechnungshof kein Grund für Optimismus."
Und die Anhörung für eine vierte Stromautobahn von Schleswig-Holstein nach Nordrhein-Westfalen hat gerade begonnen. Durch die neue Leitung kämen nochmal 2.000 Megawatt hinzu, denn nach dem Aus für die Kohleverstromung muss auch Nordrhein-Westfalen Strom importieren. Dass der derzeit geplante Bau von Gleichstrom-Trassen für die Energiewende überdimensioniert ist, glaubt Ingrid Nestle nicht. Sie ist Sprecherin für Energiewirtschaft der Grünen-Bundestagsfraktion:
"Ich bin fest davon überzeugt, dass der Netzausbau, wie er derzeit beschlossen, aber auch wie er derzeit diskutiert wird, dass der tatsächlich auf jeden Fall sinnvoll ist. Heute sind wir in einem No-regret-Bereich, wo wir eigentlich wissen, dass wir die Leitungen auf jeden Fall brauchen werden, wenn wir die Energiewende fertig machen wollen."
Und die Anhörung für eine vierte Stromautobahn von Schleswig-Holstein nach Nordrhein-Westfalen hat gerade begonnen. Durch die neue Leitung kämen nochmal 2.000 Megawatt hinzu, denn nach dem Aus für die Kohleverstromung muss auch Nordrhein-Westfalen Strom importieren. Dass der derzeit geplante Bau von Gleichstrom-Trassen für die Energiewende überdimensioniert ist, glaubt Ingrid Nestle nicht. Sie ist Sprecherin für Energiewirtschaft der Grünen-Bundestagsfraktion:
"Ich bin fest davon überzeugt, dass der Netzausbau, wie er derzeit beschlossen, aber auch wie er derzeit diskutiert wird, dass der tatsächlich auf jeden Fall sinnvoll ist. Heute sind wir in einem No-regret-Bereich, wo wir eigentlich wissen, dass wir die Leitungen auf jeden Fall brauchen werden, wenn wir die Energiewende fertig machen wollen."
Leitungen fehlen
Wenn die Stromversorgung bis 2050 kohlendioxidfrei funktionieren soll, wären sogar deutlich mehr Stromleitungen notwendig. Arne Steuer vom Bundesrechnungshof:
"Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat sogenannte Langfrist-Szenarien in Auftrag gegeben, die reichen bis zum Jahr 2050 und sehen im Übertragungsnetzmaßnahmen zum Netzausbau und zur Netzverstärkung von bis zu 36.500 Kilometern Länge vor.
"Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat sogenannte Langfrist-Szenarien in Auftrag gegeben, die reichen bis zum Jahr 2050 und sehen im Übertragungsnetzmaßnahmen zum Netzausbau und zur Netzverstärkung von bis zu 36.500 Kilometern Länge vor.
Bis zum Jahr 2035 sind Kosten von bis zu 85 Milliarden Euro zu erwarten nach diesen Langfristszenarien des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie."
Widerstand gegen Stromautobahnen
Doch gegen den Bau dieser Stromautobahnen gibt es in vielen betroffenen Regionen Widerstand. Einer der Vorschläge, wie sich überregionale Gleichstromtrassen minimieren lassen: "autarke Strominseln", sprich: Verbraucher schließen sich zusammen und versorgen sich selbst mit Strom. Dass das den Netzausbau überflüssig mache, sei ein Trugschluss, urteilt Stefan Tenbohlen, der an der Universität Stuttgart das Institut für Energieübertragung und Hochspannungstechnik leitet:
"Also, ich könnte mir vorstellen, dass ein Dorf oder eine Kleinstadt versucht, da dort autark zu sein. So hat man im Prinzip angefangen mit der elektrischen Energieversorgung vor 100 Jahren, dass bestimmte Stadtblöcke versorgt wurden. Aber ich habe dann halt eine sehr, sehr geringe Zuverlässigkeit der Stromversorgung. Und wenn ich irgendwann dann wirklich in die Situation komme, im Winter, dass ich auf das andere Netz zugreifen muss, dann muss das Netz für diesen Fall ausgebaut sein. Das heißt, ich muss ein Stromnetz so ausbauen, dass es der Höchstlast standhält. Und das wird ohne großes Netz definitiv nicht gehen."
"Also, ich könnte mir vorstellen, dass ein Dorf oder eine Kleinstadt versucht, da dort autark zu sein. So hat man im Prinzip angefangen mit der elektrischen Energieversorgung vor 100 Jahren, dass bestimmte Stadtblöcke versorgt wurden. Aber ich habe dann halt eine sehr, sehr geringe Zuverlässigkeit der Stromversorgung. Und wenn ich irgendwann dann wirklich in die Situation komme, im Winter, dass ich auf das andere Netz zugreifen muss, dann muss das Netz für diesen Fall ausgebaut sein. Das heißt, ich muss ein Stromnetz so ausbauen, dass es der Höchstlast standhält. Und das wird ohne großes Netz definitiv nicht gehen."
Und die Zeit läuft. Damit in drei Jahren in Deutschland das letzte Kernkraftwerk und 2038 der letzte Kohlemeiler abgeschaltet werden kann, ist die Liste der notwendigen Veränderungen ohnehin sehr lang:
"Netzausbau, Speicherausbau, Umwandlung von Kohle- zu Gaskraftwerken, Ausbau der Erneuerbaren, da wo es besonders wirtschaftlich auch möglich ist. Mehr dezentrale Energieversorgung und Digitalisierung des gesamten Energiesystems, mit einer besseren Abstimmung eines flexibleren Angebots mit einer hoffentlich flexibleren Nachfrage. Erhebliche Anstrengung beim Thema Cybersecurity, damit die Systeme der Zukunft auch sicher bleiben."
"Netzausbau, Speicherausbau, Umwandlung von Kohle- zu Gaskraftwerken, Ausbau der Erneuerbaren, da wo es besonders wirtschaftlich auch möglich ist. Mehr dezentrale Energieversorgung und Digitalisierung des gesamten Energiesystems, mit einer besseren Abstimmung eines flexibleren Angebots mit einer hoffentlich flexibleren Nachfrage. Erhebliche Anstrengung beim Thema Cybersecurity, damit die Systeme der Zukunft auch sicher bleiben."
Zählt der NRW-Wirtschaftsminister, Andreas Pinkwart, auf. Beim Umbau des Stromnetzes auf Erneuerbare bleibt sozusagen kein Stein auf dem anderen. So werden Stromerzeugung, Verbrauch und Netz intelligent gesteuert und aneinander angepasst werden müssen. Grünen-Politikerin Ingrid Nestle:
"Dann braucht man intelligentere Stromsysteme, wo auch Verbraucher den Anreiz haben, sich so ein bisschen nach den Bedürfnissen zu richten. Ein Beispiel sind immer die E-Autos. Im Moment gibt es keinen Anreiz irgendwie nachts zu laden, sondern jeder kommt von der Arbeit nach Hause und stöpselt ein und wenn alle gleichzeitig parallel zur Tagesschau laden, ist das natürlich ein Problem. Und deswegen brauchen wir auch eine Digitalisierung der Energiewende. Die kommt leider bisher viel zu kurz."
"Dann braucht man intelligentere Stromsysteme, wo auch Verbraucher den Anreiz haben, sich so ein bisschen nach den Bedürfnissen zu richten. Ein Beispiel sind immer die E-Autos. Im Moment gibt es keinen Anreiz irgendwie nachts zu laden, sondern jeder kommt von der Arbeit nach Hause und stöpselt ein und wenn alle gleichzeitig parallel zur Tagesschau laden, ist das natürlich ein Problem. Und deswegen brauchen wir auch eine Digitalisierung der Energiewende. Die kommt leider bisher viel zu kurz."
Stiefkind Digitalisierung
Um die Digitalisierung im Energiesektor habe sich die Politik bislang nur sehr unzureichend gekümmert. Deshalb fehlt unter anderem auf der Ebene der lokalen Verteilnetze schlicht die notwendige Infrastruktur. Sie werden meist noch im "Blindflug" betrieben – ohne dass ihr Zustand mit Sensoren überwacht wird. Die Digitalisierung ist mit Blick auf die Haushalte einer der Schlüssel für das Gelingen der Energiewende. Intelligente Stromzähler sollen ein besseres Last- und Ressourcenmanagement ermöglichen, urteilt Stefan Tenbohlen von der Universität Stuttgart:
"Allerdings sind in einem normalen privaten Haushalt die Lasten einfach zu klein, als dass ich die für so eine Flexibilisierung nutzen kann. Ich sage mal ein handelsüblicher Kühlschrank hat so eine geringe Leistung, da kann ich nicht viel Nutzen rausziehen, wenn ich den flexibel gestalte."
Oder anders: Wenn der Kühlschrank nur dann anspringt, wenn wenig Strom verbraucht wird, bringt das für die Entlastung des Stromnetzes nicht viel.
"Das geht erst dann, wenn ich halt eben große Verbraucher habe, wie zum Beispiel Wärmepumpen, Elektromobilität. Dann wird das sicherlich Sinn machen."
"Allerdings sind in einem normalen privaten Haushalt die Lasten einfach zu klein, als dass ich die für so eine Flexibilisierung nutzen kann. Ich sage mal ein handelsüblicher Kühlschrank hat so eine geringe Leistung, da kann ich nicht viel Nutzen rausziehen, wenn ich den flexibel gestalte."
Oder anders: Wenn der Kühlschrank nur dann anspringt, wenn wenig Strom verbraucht wird, bringt das für die Entlastung des Stromnetzes nicht viel.
"Das geht erst dann, wenn ich halt eben große Verbraucher habe, wie zum Beispiel Wärmepumpen, Elektromobilität. Dann wird das sicherlich Sinn machen."
Internationaler Stromhandel ist entscheidend für das Gelingen der Energiewende
Ein weiteres Element ist für das Gelingen der Energiewende entscheidend: der internationale Stromhandel. Das hat sich auch an den Chaostagen im Juni gezeigt. Das deutsche Stromnetz ist Teil des europäischen Verbundsystems, in dem sich 43 Unternehmen aus 36 Ländern zusammengeschlossen haben, um Schwankungen in Verbrauch und Erzeugung auszugleichen. Und dieses europäische Verbundnetz wird für die Versorgungssicherheit künftig noch wichtiger werden.
"Die internationalen Verbindungen müssen stärker ausgebaut werden. Eigentlich sind die gebaut worden, um im Falle eines Notfalls Strom aus den Nachbarländern liefern zu können.
"Die internationalen Verbindungen müssen stärker ausgebaut werden. Eigentlich sind die gebaut worden, um im Falle eines Notfalls Strom aus den Nachbarländern liefern zu können.
Wenn wir jetzt aber zum Beispiel in Deutschland stark auf erneuerbare Energien gehen, Polen noch bei der Braunkohle ist und Frankreich bei der Kernkraft, dann haben wir natürlich zu unterschiedlichen Zeiten im Prinzip die Erzeugung in den entsprechenden Ländern, und dann macht es durchaus Sinn, Energie oder Strom zwischen den Ländern auszutauschen. Wir brauchen dort also definitiv mehr Leitungen ins Ausland und dann eine stärkere Vernetzung."
Eines ist klar: Der Umstieg auf eine ganz auf erneuerbare Energien beruhende Stromversorgung ist ein Generationenprojekt: Es wird Jahrzehnte dauern.
Eines ist klar: Der Umstieg auf eine ganz auf erneuerbare Energien beruhende Stromversorgung ist ein Generationenprojekt: Es wird Jahrzehnte dauern.