Die Kollegen machten sich Sorgen um die Arbeitsplätze. Dies sei aber keine neue Debatte, sondern sie werde schon seit einigen Jahren geführt. Wo sind die Grenzen für Exporte und wo sind die Alternativen für Beschäftigung, fragt Zitzelsberger.
Wenn die NATO oder die Bundeswehr weniger benötigten, sei die Alternative nicht, die Märkte weiter auszuweiten. Er wolle die Konversionsdebatte weiter vorantreiben, also die Suche nach Einsatzmöglichkeiten des Know-Hows auch im zivilen Bereich. "Wir brauchen im Kern eine politische Begleitmusik für solche Themen", so Zitzelsberger. Er kritisiert, dass einige Unternehmen solche erfolgreich konvertierten Bereiche dann nicht mehr als Kerngeschäft sehen würden.
Das Interview in voller Länge:
Peter Kapern: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel will die deutschen Rüstungsexporte drastisch zurückfahren, und dabei darf er sich des Beifalls der Wähler sicher sein, denn denen gefallen Waffenexporte gar nicht. Die Rüstungsbranche mit ihren rund 100.000 Beschäftigten fürchtet unterdessen um ihre Zukunft. Betriebsräte der deutschen Waffenhersteller haben sich deshalb in einem Brandbrief an den Wirtschaftsminister gewandt: Lieber Sigmar - so heißt es darin -, für einige Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ist es fünf vor zwölf. - Für heute hat Gabriel eine Gruppe von Betriebsräten aus der Rüstungsbranche zum Gespräch nach Berlin eingeladen. Und bei uns ist am Telefon nun Roman Zitzelsberger, der Bezirksvorsitzende der IG Metall in Baden-Württemberg. Guten Morgen!
Roman Zitzelsberger: Guten Morgen, Herr Kapern!
Kapern: Herr Zitzelsberger, in Baden-Württemberg, im Ländle, da sitzen ja viele Waffenproduzenten. Wie ist angesichts des Gabrielschen Vorhabens deren Gemütsverfassung Ihrer Meinung nach?
Zitzelsberger: Selbstverständlich machen sich die Kolleginnen und Kollegen dieser Bereiche Sorgen um die Arbeitsplätze. Das ist aber keine neue Debatte, die jetzt durch den Vorstoß von Sigmar Gabriel angeregt wurde, sondern das ist eine Debatte, die bei den Betriebsräten im Dialog gemeinsam mit unserer IG Metall schon seit einigen Jahren geführt wird, und entsprechend gibt es auch seit Jahren eine Anforderung an die Politik, dass man hier nicht immer von kurzfristigen, populistischen Dingen redet, sondern mal eine langfristige Orientierung über die Zukunft der Wehr- und Sicherheitstechnik auf die Reihe bekommt.
"Brauchen klare Zukunftsorientierung"
Kapern: Das heißt, der Wirtschaftsminister betreibt kurzfristige, populistische Dinge?
Zitzelsberger: Nein, das würde ich so nicht sagen, aber das ist ja das, was in der Öffentlichkeit sozusagen hängen bleibt. Das ist auch in der Anmoderation herangeklungen, dass das natürlich sich großer öffentlicher Zustimmung erfreut, und ich glaube, dass dieses Thema etwas weniger Aufregung braucht und vor allen Dingen eben nicht sich von tagesaktuellen Dingen leiten lässt, sondern das ist auch die Anforderung der Betriebsräte und von uns als IG Metall, dass so dieses Thema Wehr- und Sicherheitstechnik eine klare Zukunftsorientierung braucht auf der einen Seite, was die Frage betrifft, welche Wehr- und Sicherheitstechnik brauchen wir in Deutschland und gemeinsam mit den europäischen und internationalen Partnern, wo sind die Grenzen von Exporten und was sind die Alternativen für Beschäftigung, die beispielsweise durch Konversion oder durch Diversifikation der entsprechenden Unternehmen nach vorne getrieben werden kann?
Kapern: Sie versuchen da gerade, Herr Zitzelsberger, ein wenig die Luft aus dieser durchaus etwas aufgeregten Debatte zu lassen. Aber andererseits muss man doch sagen: Mutmaßlich ist das doch auch ein Thema, das auch Gewerkschaftsmitglieder emotional berührt, wo deutsche Waffen hingehen, wenn diese Gewerkschaftsmitglieder nicht gerade selbst Waffen bauen am Arbeitsplatz?
Zitzelsberger: Natürlich, da haben wir auch als IG Metall eine klare Haltung, wir wollen eine Senkung der Rüstungsausgaben, wir wollen weniger Wehrtechnik, wir wollen weniger Kriegsgeräte herstellen lassen auf der einen Seite.
Kapern: Wollen Sie auch weniger Exporte?
Zitzelsberger: Im Kern brauchen wir auch weniger Exporte. Aber wie gesagt, das ist - nicht im Kern, sondern wir wollen weniger Exporte. Aber das bedeutet eben auch, dass man eine Alternative für die Beschäftigten in diesen Branchen braucht. Und das ist nun mal schlicht und ergreifend auch ein Teil der Geschichte, die wir von der Politik, aber, ich sage ausdrücklich, auch von den Unternehmen anmahnen, dass wir hier eine veränderte Herangehensweise brauchen. Wir können nicht einfach sagen: Wenn die Bundeswehr, wenn die NATO-Partner weniger Zeug brauchen, dass man sie für die Heere braucht, dass man dann schlicht und ergreifend hergeht und sagt, dann versuchen wir, die Märkte auszuweiten und das Zeug in alle Welt zu exportieren. Das kann mit Sicherheit keine Alternative sein.
"Wir wollen eine Wiederbelebung der Konversionsdebatte"
Kapern: Was ist denn dann die Alternative? Doch mehr Aufrüstung bei den NATO-Staaten, bei den EU-Ländern?
Zitzelsberger: Nein, das ist keine Möglichkeit, eine Antwort zu geben, sondern wir brauchen zwei Dinge: Wir brauchen eine Klarheit, was denn nun die zukünftige Sicherheitspolitik der Bundeswehr und der NATO-Verbündeten braucht, wie denn die Beschaffung aussieht und wie denn sozusagen hier die Rolle der deutschen Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie aussieht, das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite brauchen wir einen klaren Dialog mit den Unternehmen, mit der Bundesregierung, wo es darum geht, welche Alternativen gibt es denn. Nämlich einfach zu sagen, es wird weniger Wehrtechnik benötigt und deshalb schließen wir ein paar Unternehmen und wir schicken die Beschäftigten nach Hause, das kann natürlich auch kein Prinzip sein, das wir als Gewerkschaft akzeptieren. Sondern wir wollen eine Wiederbelebung der Konversionsdebatte, wir wollen Diversifikationsstrategien der entsprechenden Unternehmen und Branchen und damit sicherstellen, dass wir auf der einen Seite Beschäftigung entlang der Wertschöpfungskette sichern, aber dass man natürlich auch wichtige Grundlagenforschung und wichtige Forschungsvorhaben in diesen Bereichen auch nach vorne bringt, die eben nicht nur militärisch, sondern die auch zivil genutzt werden können.
Kapern: Können Sie uns mal eine Vorstellung darüber vermitteln, wie das aussehen könnte? Es ist schlecht vorstellbar, dass bei Heckler & Koch künftig Kühlschränke oder Fahrräder gebaut werden!
Zitzelsberger: Ja, das ist natürlich auch das schwierigste Beispiel. Aber Heckler & Koch baut Waffen, Hochpräzisionsteile mit sehr, sehr anspruchsvollen Fertigungsverfahren, mit Stählen, die entsprechend in ganz besondere Güter bearbeitet werden. Und das sind natürlich Fertigungsverfahren, die eben nicht nur militärisch genutzt werden können, sondern beispielsweise auch im Präzisionsmaschinenbau. Allerdings braucht es dafür auch eine Bereitschaft der Unternehmen, solche Dinge auch mit zu betreiben und nicht zu sagen, wenn mal eine Konversion entsprechend gelungen ist, dann veräußern wir das ganze Thema, weil es nicht zu unserem Kerngeschäft gehört. Und deshalb brauchen wir im Kern auch eine politische Begleitmusik zu solchen Themen, damit klar ist, dass sozusagen die Unternehmen eine Neuorientierung auch bekommen, die eben nicht allein auf militärisches Gerät abzielt.
"Wir brauchen Alternativen"
Kapern: Vermissen Sie die Bereitschaft, klingt das da durch? Vermissen Sie die Bereitschaft des Managements von Rüstungsschmieden, sich um andere Produkte zu kümmern?
Zitzelsberger: Na ja, es gab einige gute Beispiele, wo man sich da schon nach vorne bewegt hat auf der einen Seite, und auf der anderen Seite dann so entsprechende - in Anführungszeichen - Rückbesinnungen aufs Kerngeschäft und entsprechende Veräußerungen. Deshalb kommt diese Kritik nicht von ungefähr. Das ist übrigens eine Kritik, die insbesondere von den Betriebsratskolleginnen und -kollegen kommt, die heute bei Sigmar Gabriel sitzen, weil die natürlich selbst sagen: Leute, wir können nicht einfach hergehen und die Wehrtechnikmärkte in alle möglichen Richtungen auf dieser Welt erweitern, sondern wir brauchen Alternativen. Es ist nicht so, dass unsere Betriebsratskolleginnen und -kollegen sagen, mehr Kriegsgerät, sondern ganz genau die Forderung in die Richtung mehr Konversion, mehr Diversifikation fordern. Und eben den Bundesminister an dieser Stelle auch als Verbündeten gewinnen wollen, um die Unternehmen davon zu überzeugen. Die sind nun mal marktwirtschaftlich orientiert und denken da teilweise ganz anders.
Kapern: Wie viele Arbeitsplätze stehen Ihrer Meinung nach gerade auf dem Spiel in dieser Branche?
Zitzelsberger: Das ist schwierig zu sagen, weil wir nicht nur reine wehrtechnische Unternehmen haben, sondern im Regelfall sind das ja Konzerne und Unternehmen, die in allen möglichen Bereichen unterwegs sind. Insofern kann man eigentlich nur sagen: Wenn man sich die europäische Entwicklung anguckt, dann haben wir seit 2001 etwa jeden vierten Arbeitsplatz in dieser Branche verloren. Und wenn die Entwicklung so weitergeht, dann reden wir da gleich mal noch mal über 20, 25 Prozent, die da bedroht und betroffen sein können. Und das macht uns natürlich Sorgen.
Kapern: Was erwarten Sie vom Bundeswirtschaftsminister heute bei diesem Gespräch?
Zitzelsberger: Wir erwarten vom Bundeswirtschaftsminister, dass das, was im Koalitionsvertrag drin steht, nämlich dass der Bereich der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie eben nicht nur wirtschaftlich betrachtet werden darf, sondern eben auch technologisch und sicherheitspolitisch, dass das auch sicherstellt, dass die Kernkompetenzen und Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben, dass er das auch tatsächlich in praktische Politik umsetzt. Klare Orientierung dahingehend, dass er das, was ich eben gesagt habe, nämlich die Konversions- und die Diversifikationsstrategien unterstützt. Und dass er unseren Vorschlag aufgreift, einen Branchenrat Wehr- und Sicherheitstechnik ins Leben ruft, der eine verstärkt industriepolitische Unterstützung durch die Bundesregierung bekommt zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der entsprechenden Wertschöpfungsketten, der auch dieses Innovationspotenzial nutzt und damit auch sicherstellt, dass es hier nicht nur einzelne Unternehmen gibt, die ihre Politik verfolgen, sondern dass es da eine klare rote Linie gibt, wo es langgeht.
"Lieber weniger als mehr"
Kapern: Ganz kurz noch, Herr Zitzelsberger, weil ich das noch nicht so recht verstanden habe: Es klingt ein wenig wie die Quadratur des Kreises! Es soll Konversion geben, aber die Kernkompetenzen bei der Entwicklung von Waffen sollen erhalten bleiben. Wie geht das unter einen Hut?
Zitzelsberger: Na ja, wenn wir über Wehr- und Sicherheitstechnik reden, dann reden wir ja nicht nur über Waffen, Waffen ist ja ein Teil. Wir reden ja über alle möglichen Teile, denken Sie nur mal an die ganze Technologie im Bereich Funk und Raumfahrt, also alles, was dort zur Steuerung benötigt wird. Das hat ja sowohl einen militärischen wie auch einen zivilen Charakter. Und wir haben gerade aus dem Bereich der wehrtechnischen Unternehmen, gerade diese Dual-Use-Geschichten, alles, was beispielsweise Luft- und Raumfahrt betrifft. Und dadurch sind natürlich auch viele, viele Dinge für die Industrie insgesamt entstanden. Also, was weiß ich, den industriellen Leichtbau, das ganze Thema der Mikrosystemtechnologie, die ganze Entwicklung der Optronik, der Sensorik, Biotechnologien, Automation, Robotik, Werkstofftechnologie, da sind ja viele, viele Innovationen aus diesen Bereichen herausgekommen. Und jetzt kann man nicht einfach hergehen und sagen, wir schalten jetzt diesen Bereich der Wehrtechnik ab und kümmern uns nur noch um die zivile Nutzung, sondern man muss sozusagen überlegen, welche Dinge kann man denn gemeinsam hier nach vorne bringen, A. Aber das setzt voraus, dass es eine klare politische Aussage gibt, wie viel Wehrtechnik brauchen und wollen wir? Ich sage das auch klipp und klar: Uns als Gewerkschaft ist es lieber, weniger als mehr, aber dass das nicht zulasten der Arbeitsplätze geht.
Kapern: Roman Zitzelsberger, der Bezirksvorsitzende der IG Metall in Baden-Württemberg heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Zitzelsberger, danke für das Gespräch, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Zitzelsberger: Herzlichen Dank, Herr Kapern! Auf Wiederhören!
Kapern: Auf Wiederhören!
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