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Deutsche Unterstützung für Ukraine
Verteidigungsministerin Lambrecht (SPD): "Die Waffen sind auf dem Weg"

Die von Deutschland der Ukraine zugesagten Waffen seien auf dem Weg, sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) im Dlf. Dabei gehe es "nicht um Tage, sondern da geht es um Stunden". Dass die Bundeswehr bei der Ausrüstung einen großen Nachholbedarf habe, sei unbestreitbar. Das werde jetzt auch angegangen.

Christine Lambrecht im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
Christine Lambrecht (SPD), Bundesministerin der Verteidigung, spricht nach der Sondersitzung des Verteidigungsausschusses im Bundestag zu den Medienvertretern
Christine Lambrecht (SPD), Bundesministerin der Verteidigung, spricht nach der Sondersitzung des Verteidigungsausschusses im Bundestag zu den Medienvertretern (picture alliance/dpa)
Drohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Atomraketen müssten "sehr ernst genommen werden", sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) im Dlf. Diese Drohungen müssten aber auch im Kontext gesehen werden, "dass Putin mit seiner Offensive, mit seinem Krieg, nicht so schnell vorangekommen ist", wie er sich das vorgestellt habe. Es gebe Logistikprobleme und Treibstoffmangel. "Wir haben erlebt, wie unberechenbar Putin ist. Und deswegen müssen wir sehr wachsam sein", sagte Lambrecht.
Dass die Bundeswehr in bestimmten Bereichen durchaus großen Nachholbedarf habe, sei unbestreitbar, sagte Lambrecht. "Deswegen ist es auch so wichtig, dass jetzt die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden, dass wir die Bundeswehr endlich so aufstellen, dass die Soldatinnen und Soldaten auch das Material, die Ausrüstung haben, die sie brauchen, um ihren Auftrag zu erfüllen." Die Landes- und Bündnisverteidigung sei die Kernaufgabe der Bundeswehr – und dafür müsse sie auch vollumfänglich ausgestattet sein.

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Das Interview in voller Länge:

Jürgen Zurheide: Fangen wir an mit Herrn Putin, was er da gestern gemacht hat in dieser denkwürdigen Konferenz, er hat das Wort Atom nicht in den Mund genommen, aber jeder weiß, dass es gemeint ist. Putins Wink mit den Atomraketen, wie ist das bei Ihnen angekommen?
Christine Lambrecht: Das muss sehr ernst genommen werden und vor allen Dingen auch von unserer Aufklärung beobachtet werden. Es muss aber auch in den Kontext gestellt werden, dass er mit seiner Offensive, mit seinem Krieg nicht so schnell vorangekommen ist, wie er sich das wahrscheinlich vorgestellt hat. Es gibt Logistikprobleme, das sehen wir, dass Treibstoffmangel gegeben ist. Er hat es sich schneller vorgestellt und muss jetzt handeln – deswegen diese Gebärden. Aber nichtsdestotrotz: Wir haben erlebt, wie unberechenbar Putin ist, deswegen müssen wir sehr wachsam sein.

Geht darum, "einen kühlen Kopf zu bewahren"

Zurheide: Was heißt jetzt sehr wachsam? Wenn wirklich jemand auf den Atomknopf drückt, wissen wir alle, dass das katastrophal ist, zumal dann hier in Europa. Ich meine, das ist sowieso katastrophal, aber das wäre dann eine Eskalationsstufe, die was bedeutet?
Lambrecht: Jeder Krieg ist katastrophal, und welche verheerenden Auswirkungen auch für sein eigenes Land eine solche Entscheidung hätte, das weiß auch Putin – und das wissen auch andere Verantwortliche in Russland. Und deswegen geht es jetzt darum, einen kühlen Kopf zu bewahren und diese Eskalation nicht weiter zu betreiben. Wir werden auch in der Nato darüber sprechen müssen.

"Wir müssen vorbereitet sein"

Zurheide: Das heißt, auch in der Nato wird man sich einstellen müssen, das könnte passieren – und wir werden reagieren müssen?
Lambrecht: Zumindest müssen wir vorbereitet sein, das ist das Wichtigste, und jetzt vor allen Dingen auch, wie ich schon sagte, nicht die Eskalation weiter befeuern. Wir erleben auch, dass zwischen Russland und der Ukraine wieder gesprochen wird, ein wichtiges Zeichen. Aber auch darf man sich nicht einlullen lassen von einem Menschen, der uns alle belogen hat, der Zusagen gemacht hat in Bezug auf Truppenabzug, sich umgedreht hat und dann einen Angriffskrieg begonnen hat. Also, diese beiden Seiten gilt es momentan gut abzuwägen - und jetzt auch nicht vorschnell irgendwelche Reaktionen auszulösen, aber immer vorbereitet zu sein.
Zurheide: Was heißt das aber für ein bisschen später? Alles, was bisher mit Abrüstungspolitik verbunden gewesen ist in der Vergangenheit, auch über Ihre Partei natürlich im Wesentlichen vorangetrieben, kann man in diesen Tagen überhaupt an so etwas noch denken?

"Putin hat alle belogen"

Lambrecht: Man muss es immer wieder denken, wir wollen ja alle nicht in einer Welt leben, die hochgerüstet ist, die sich gegenseitig bedroht. Aber solche Verträge, solche Vereinbarungen zur Abrüstung kann man natürlich immer nur mit Politikern machen, denen man dann auch trauen kann. Und das ist das Problem bei Putin, dass ihm niemand mehr trauen kann, dass er alle belogen hat. Das ist die schwierige Situation, in der wir uns befinden.
Zurheide: Das heißt aber, mit ihm wird so etwas nicht mehr möglich sein?
Lambrecht: Ich gehe davon aus, dass er weiterhin auch die Gespräche führen wird, die jetzt angesagt sind. Aber es gibt um ihn herum eine ganze Menge von Menschen, die offenbar erkannt haben, wie verheerend ein solcher Krieg ist. Wir erleben ja auch in Russland unglaublich mutiges Aufstehen gegen diesen Angriffskrieg, von daher kann er sich nicht sicher sein, dass sein Kurs unangefochten durchgehalten werden kann.

Einiges ist "in Bewegung"

Zurheide: Ist das jetzt, weil Sie das hoffen, oder haben Sie da wirkliche Erkenntnisse? Es gibt die eine oder andere Stimme, auch bei der UN, habe ich gelesen, ist jemand, der aufgestanden ist und gesagt hat, ich entschuldige mich für das, was da mein Land macht. Aber sind das nicht nur Einzelstimmen?
Lambrecht: Wir erleben Tausende Menschen, die auf die Straße gehen in Russland, in Moskau, in St. Petersburg, in ganz vielen anderen Städten. Und die machen das unter anderen Bedingungen als wir hier in Berlin - die müssen damit rechnen, dass es weitreichende Konsequenzen für sie hat, dass sie verhaftet werden, viele verschwinden völlig. Also, es geht unter anderen Bedingungen, dass dieser Mut auch gezeigt wird. Das macht deutlich, dass doch einiges in Bewegung ist. Und wir müssen das mit unterstützen auch dadurch, dass wir natürlich die Sanktionen jetzt auch durchhalten. Darum geht es jetzt auch, aufzuzeigen, auch diese Gesellschaft wird darunter leiden. Und das kann deswegen auch ein Antrieb sein, sich gegen diese Politik aufzulehnen.
Zurheide: Kommen wir jetzt zu den Waffenlieferungen: Ich habe gerade gesagt, diese Sitzung gestern im Bundestag war in jeder Beziehung schon eine Zäsur und bemerkenswert. Meine ganz praktische Frage: Wie wollen sie Waffen im Moment überhaupt in die Ukraine bringen?
Lambrecht: Wir haben Möglichkeiten, wie das transportiert werden kann, da sind die Kanäle offen. Und aus Sicherheitsgründen bitte ich Sie aber auch, zu verstehen, dass ich da jetzt keine Einzelheiten nenne.

"Putin hat sich offenbar verkalkuliert"

Zurheide: Sie sind aber optimistisch, dass das gelingen wird?
Lambrecht: Wir haben das auf den Weg gebracht, und ich möchte auch, dass diese Waffen ankommen. Deswegen möchte ich darüber jetzt keine Einzelheiten verbreiten.
Zurheide: Okay, aber Sie glauben jedenfalls, das kann noch rechtzeitig sein, um den Ukrainern zu helfe. Denn viele sagen ja, Herr Selenskyi hat das auch diese Nacht wiedergesagt, es sei wieder mal ein entscheidender Tag auch im Konflikt. Oder sagen Sie, das wird alles noch so lange dauern, dass das durchaus sich hinziehen wird?
Lambrecht: Die Waffen sind auf dem Weg – und da geht es nicht um Tage, sondern da geht es um Stunden. Das haben wir alles auf den Weg gebracht, das ist auch wichtig, dass das jetzt schnell geht. Die Lageentwicklung ist so, dass wir beobachten, dass der Krieg, die Invasion nicht so schnell vonstatten gehen konnte, wie sich Putin das vorgestellt hat. Das hat etwas zu tun mit dem erbitterten Widerstand, dem mutigen Widerstand der Ukrainer sowohl in der Armee als auch in der Zivilbevölkerung. Das hat aber auch etwas damit zu tun, dass Putin sich offenbar verkalkuliert hat. Er ist davon ausgegangen, dass sein Krieg schneller voranschreitet, und jetzt sieht er sich mit logistischen Problemen konfrontiert. Das ist das, was wir beobachten, und das macht seine Lage natürlich nicht besser. Und deswegen ist es auch so wichtig, die Ukraine jetzt in diesem Widerstand auch zu unterstützen.

"Wir können unsere Verantwortung innerhalb der Nato erfüllen"

Zurheide: Kommen wir auf das, was gestern im Bundestag auch besprochen worden ist, die Lage der Bundeswehr ist schwierig. Ich muss jetzt nicht daran erinnern, was der Heeresinspekteur in diesen Tagen gesagt hat: „Wir stehen blank da.“ Teilen Sie diese Analyse?
Lambrecht: Blank sind wir nicht, wir können unsere Verantwortung innerhalb der Nato erfüllen, das machen wir auch durch Truppen in Litauen, dass wir Airpolicing verstärken, dass wir eine Korvette und eine Fregatte jetzt zur Verfügung stellen, dass wir uns auch in der Slowakei mit einer Kompanie engagieren und so weiter. Wir sind der zweitgrößte Truppensteller nach den USA in Europa. Das zeigt, dass wir unserer Verantwortung nachkommen.
Zurheide: Sie bestreiten aber nicht, dass es massive Probleme in der Bundeswehr gibt, sonst müssten Sie Ihren Heeresinspekteur, glaube ich, sofort entlassen haben.
Lambrecht: Wer mit Soldatinnen und Soldaten spricht – und ich mache das regelmäßig –, der kann das nicht bestreiten. Weil es ist so, dass wir in bestimmten Bereichen durchaus großen Nachholbedarf haben. Deswegen ist es auch so wichtig, dass jetzt die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden, dass wir die Bundeswehr endlich so aufstellen, dass die Soldatinnen und Soldaten auch das Material, die Ausrüstung haben, die sie brauchen, um ihren Auftrag zu erfüllen.

"Die Bundeswehr wurde über Jahre weg ausgeblutet"

Zurheide: Damit sind wir bei der spannenden Frage, was ist der Auftrag? Es gibt ja Menschen, die sagen, zunächst mal muss man den Auftrag definieren, danach muss man dann die Mittel bereitstellen. Und auch Sie wissen, dass die Ausgaben in Deutschland schon stark gestiegen in den letzten sechs, sieben Jahren – von 35 auf ungefähr 50 Milliarden Euro. Wenn jetzt noch mehr dazukommt, dann würde ich sagen, bekommen wir die Sicherheit geliefert, die wir eigentlich brauchen? Ich habe jetzt noch nicht die Klammer aufgemacht und die europäischen Zahlen genannt, Sie wissen auch, welches Missverhältnis da zwischen Europa auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite gilt. Also, Kernfrage erst mal: Muss da einiges revidiert werden?
Lambrecht: Es muss dringend nachgeholt werden, weil die Bundeswehr wurde über Jahre weg ausgeblutet. Und dass in den letzten Jahren etwas erhöht wurde, das war gut und richtig, aber das hat noch lange nicht ausgereicht, um diesen Nachholbedarf erfüllen zu können. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Fahrzeuge endlich so ausgestattet sind, dass sie dann auch im Einsatz bestehen, dass sie nicht in den Werkstätten stehen, das ist ja momentan ein ganz großes Problem. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten ausgerüstet sind mit dem, was sie brauchen, zum Beispiel funktionierenden Funkgeräten überall. Die sind im Einsatz gewährleistet, aber es muss ja auch die Ausbildung daran möglich sein. Wir müssen dafür sorgen, dass wir unsere Zusage in Bezug auf nukleare Teilhabe erfüllen können, also die Nachfolge des Tornados jetzt auch geregelt werden kann. Das sind alles Herausforderungen, die wir jetzt eben auch auf den Weg bringen können mit der Umsetzung.
Zurheide: Aber trotzdem noch mal die Grundfrage: Was macht die Bundeswehr? Ist es wieder eher klassische Landesverteidigung, was lange Zeit so war - zwischendurch stand offensichtlich im Mittelpunkt, Einsätze irgendwo auf der Welt zu machen. Sind das nicht zwei sich widersprechende, auch taktische Anforderungen?
Lambrecht: Die Landes- und Bündnisverteidigung ist die Kernaufgabe der Bundeswehr – und dafür muss sie dann auch vollumfänglich ausgestattet sein. Das ist unsere Aufgabe, der müssen wir nachkommen. Aber wir sind natürlich auch in internationalen Zusammenhängen engagiert, und das ist auch richtig so, weil wir haben hochqualifizierte Soldatinnen und Soldaten, die gerade in UN-Missionen zum Beispiel bei Aufklärung, hervorragende Arbeit leisten. Deswegen kann ich nur warnen, sich daraus auch nicht komplett zurückzuziehen. Aber die Bündnis-, die Landesverteidigung ist unsere Kernaufgabe – und dafür müssen wir vollumfänglich ausgestattet sein.

Bei der Verteidigungspolitik "europäisch denken"

Zurheide: Müssen wir nicht vielmehr auch europäisch zusammenarbeiten, nicht nur darüber reden, sondern es ernsthaft machen? Noch mal die Zahlen, Europa gibt 200 Milliarden für Rüstung aus, Russland 65. Ich sage immer, da müsste es doch möglich sein, eine vernünftige Verteidigung, auch Landesverteidigung auf die Beine zu stellen.
Lambrecht: Wir arbeiten schon längst als Nationen in Europa zusammen. Das sehen Sie daran, dass wenn so eine Battle Group aufgestellt wird wie beispielsweise in Litauen, dass wir mit den Holländern ganz hervorragend zusammenarbeiten, dort international aufgestellt sind. Wenn wir in der Slowakei uns jetzt engagieren, auch da wird es dazu kommen, dass viele Nationen zusammenarbeiten. Und genauso verstehe ich europäische Verteidigungspolitik auch - nicht immer nur national denken, das ist ganz wichtig. Das muss man im Blick haben, aber über den Tellerrand hinausschauen und eben europäisch denken. Das muss die Zukunft sein. Wir haben da gute Ansätze, wir arbeiten da gut zusammen, aber das muss noch mehr ausgeprägt werden.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.//