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Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien
BDI: Unternehmen müssen Engagement in Saudi-Arabien genau abwägen

Es sei richtig, den politischen Druck auf Saudi-Arabien zur Aufklärung der Vorgänge zu erhöhen, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf im Dlf. Die Wirtschaft unterstütze diese Haltung - auch wenn dies für einzelne Unternehmen schmerzlich sein werde.

Dieter Kempf im Gespräch mit Christine Heuer |
    Dieter Kempf, Präsident Bundesverband der Deutschen Industrie BDI. Berlin, 15.09.2017, Berlin Deutschland
    Dieter Kempf Präsident Bundesverband der Deutschen Industrie BDI Berlin 15 09 2017 Berlin Deuts (imago / Thomas Koehler)
    Christine Heuer: Der Fall Kashoggi weitet sich zur internationalen diplomatischen Krise aus. Der regierungskritische saudische Journalist ist im türkischen Konsulat seiner Heimat getötet worden – ein geplanter Mord. Dafür hat die Türkei angeblich hieb- und stichfeste Beweise. Ein Todesfall während einer Schlägerei – so stellt es die saudische Seite dar. Unglaubwürdig finden das die meisten Beobachter. Viele fordern Konsequenzen. In Deutschland ist der Stopp von Rüstungsgesprächen im Gespräch. Wir haben Angela Merkel gerade dazu gehört. Deutsche Unternehmen geraten in den Blick. Sie könnten sofort ein Zeichen setzen, denn ab morgen tagt in Riad eine wichtige Investorenkonferenz. Welches Zeichen sollen wir denn dort setzen? Darüber kann ich jetzt mit dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie sprechen. Guten Morgen, Dieter Kempf.
    Dieter Kempf: Schönen guten Morgen, Frau Heuer.
    "An dieser Stelle ist in erster Linie politisches Handeln gefragt"
    Heuer: Angela Merkel – damit müssen wir beginnen – will Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien stoppen. Das ist eine Neuigkeit auf dem Markt. Finden Sie das richtig?
    Kempf: Lassen Sie mich bitte vorab sagen, dass wir in der Wirtschaft das, was dort im Konsulat in der Türkei passiert ist, genauso verurteilen und wirklich diese abscheuliche Tat in aller Schärfe verurteilen und auch Aufklärung darüber fordern.
    Zu den Rüstungsexporten. Ich glaube, an dieser Stelle ist in erster Linie politisches Handeln gefragt. Das hat Frau Merkel in ihrem Interview angekündigt und klargelegt. Auch das wird von der Wirtschaft wie im Übrigen auch in anderen Fällen, wo wir das Primat der Politik anerkennen, auch so anerkannt und unterstützt, auch wenn es im Einzelfall für die Unternehmen natürlich misslich ist.
    Heuer: Rechnen Sie damit, dass Peter Altmaier, der Wirtschaftsminister, das jetzt umsetzt und die Rüstungsexporte sofort auf Eis legt?
    Kempf: Ich denke schon. Ich bin ja immer der Meinung, dass eine Regierung ein Kollegialorgan ist, wo jemand wie die Kanzlerin so was wie die Funktion eines Vorstandsvorsitzenden hat. Ich glaube nicht, dass es in der Regierung darüber unterschiedliche Meinungen oder gar unterschiedliches Handeln gäbe.
    Heuer: Und, Herr Kempf, dann trotzdem noch mal die Frage. Finden Sie die Maßnahme richtig?
    Kempf: In der Tat muss jetzt politisches Handeln folgen. Die Aufklärung der saudi-arabischen Seite über diese Vorfälle im Konsulat in der Türkei ist völlig unzureichend. Jeder von uns mag sich seine eigene Meinung darüber bilden, inwieweit er die Version vom Boxkampf, der aus den Fugen geraten ist, glauben mag oder nicht. Hier muss einfach auch politisch stärker Position bezogen werden. Das hat die Kanzlerin getan. Die Wirtschaft unterstützt immer in solchen Themen das Primat der Politik.
    "Aufklärung erst mal abwarten"
    Heuer: Und das würde auch gelten für Wirtschaftssanktionen, die über Rüstungsexporte hinausgehen?
    Kempf: Das ist wiederum eine Entscheidung, die die Politik treffen wird. Ich denke, man wird sich diese Entscheidung nicht einfach machen. Aber auch hier wird gelten, dass Wirtschaft das Primat der Politik anerkennt, wie wir dies zum Beispiel auch in anderen Fällen - - Da ist es jetzt schwierig. Ich will hier keinen Vergleich herbeiführen zwischen dem einen oder dem anderen Fall. Aber denken Sie an Russland-Sanktionen, wo wir dieses Primat der Politik genauso anerkennen.
    Heuer: Darf die deutsche Wirtschaft Geschäfte mit einem Staat machen, ganz generell gesprochen, Herr Kempf, dem zugetraut wird, dass er eigene Staatsbürger mit einem Mörderkommando beseitigt?
    Kempf: Dies ist eine ganz, ganz schwierige Frage. Jetzt würde ich aber auch darum bitten, dass wir diese Aufklärung erst noch mal abwarten, wenn natürlich auch ich nicht frei bin von massiven Zweifeln an dieser Boxkampf-Variante. Man muss auch unterscheiden. Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ländern können natürlich auch zur politischen, zur wirtschaftlichen, zur gesellschaftlichen Stabilität, zum Ausbau dieser Bindungen beitragen. Das fällt einem angesichts eines derartigen Vorfalls, wie wir ihn jetzt zu beurteilen haben, natürlich sehr schwer.
    Aber man darf das eine mit dem anderen nicht vergleichen. Das heißt, jetzt unter allen Umständen langjährige Geschäftsbeziehungen zu unterbrechen, aufzukündigen, hilft möglicherweise der dortigen Gesellschaft auch nicht. Das ist eine ganz schwierige Einzelfallentscheidung, die jede der handelnden Personen, sei es nun ein Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens, oder auch die Politik, zu treffen haben und die sicherlich ganz schwierig abzuwägen ist, im Einzelfall aber abgewogen werden muss.
    "Ich bin grundsätzlich keiner, der gerne mit roten Linien arbeitet"
    Heuer: Genau! Und das gehört ja auch zu Ihren Aufgaben, Herr Kempf. Wo liegt denn die rote Linie für den BDI-Präsidenten? Wo ist das No Go, wo Sie sagen, da muss die deutsche Wirtschaft komplett aussteigen?
    Kempf: Ich bin grundsätzlich keiner, der gerne mit roten Linien arbeitet, weil ich glaube, Einzelfälle sind viel zu komplex, um sie mit roten Linien abgrenzen zu können. Für den BDI-Präsidenten ist es natürlich etwas leichter als für den einzelnen Unternehmenslenker. Er kann an der Stelle viel, viel leichter entscheiden. Unter dem Hintergrund würde ich in meiner Funktion als BDI-Präsident keine Investorenkonferenz der saudischen Herrscherfamilie besuchen. Aber auch hier bitte ich um Verständnis dafür. Diese Abwägung muss jeder Unternehmenslenker für sich selber treffen. Da kann es auch keine Empfehlung des BDI-Präsidenten geben. Ich glaube, jeder, der die Entscheidung treffen muss, wird sie sorgfältig abwägen.
    Heuer: Genau danach wollte ich Sie fragen und ich muss das auch tun und ich möchte das auch tun, Herr Kempf. Wir reden gerade über Joe Kaeser von Siemens, einer der wenigen Wirtschaftsbosse, die ihre Reise zu der Investorenkonferenz in Riad noch nicht abgesagt haben. Sollte er das nachholen?
    Kempf: Ich kann Joe Kaeser, den ich, behaupte ich mal, sehr gut kenne, an dieser Stelle keinen Ratschlag erteilen. Ich kenne ihn aber wirklich gut genug, um zu wissen, dass er seine Entscheidung hier sehr sorgfältig abwägen wird. Er ist genau in diesem Dilemma, dass er natürlich auch viele Ausrüstungsinvestitionen in dieses Land liefert, die letztendlich zum Wohl der dortigen Bevölkerung eingesetzt werden. Eine ganz schwierige Entscheidung. Ich möchte im Moment nicht in seiner Haut stecken.
    Heuer: Ja, kann man nachvollziehen. – Ex-Siemens-Chef Kleinfeld ist CEO in Saudi-Arabien, ein ehemaliger Rheinmetall-Manager steht an der Spitze des saudischen Rüstungskonzerns. Auch da die Frage: Müssten die nicht gehen, wenigstens vorübergehend jetzt?
    Kempf: Einem BDI-Präsidenten steht, auch wenn er zu solchen Themen eine persönliche eigene Meinung hat, nicht zu, Verhaltensempfehlungen oder gar Verhaltensanweisungen an seine Wirtschaftskollegen oder Managerkollegen auszuteilen. Ich gehe wirklich davon aus, dass im Moment jeder eine ganz schwierige Abwägung zu treffen hat, und ich kann jedem nur wünschen, dass er dabei den richtigen Weg findet. Denken Sie bitte auch daran, dass in manchen Unternehmen da natürlich nicht unbedingt auch der Großteil der Anteilseigner immer die gleichen Wertegerüste teilt, wie wir dies tun. Das war zu Zeiten einer Deutschland AG vielleicht leichter. Heute haben wir im Großteil der großen Aktiengesellschaften internationale Investoren, deren Erwartungen an ein Unternehmen möglicherweise anders sind als das in den Vordergrund stellen des Einhaltens gesellschaftlicher Werte.
    "Ich würde die Investorenkonferenz nicht besuchen im Moment"
    Heuer: Aber, Herr Kempf, welches Signal setzen denn Leute wie Joe Kaeser und andere, wenn sie jetzt einfach weitermachen und Business as usual betreiben?
    Kempf: Ich glaube wirklich, dass im Moment keiner der Unternehmenslenker, der diese Entscheidung für sich, für sein Unternehmen zu treffen hat, weitermachen wird wie bisher. Man muss das wirklich trennen von einzelnen Fragen. Und ich sage noch mal: Für einen BDI-Präsidenten ist es natürlich deutlich leichter, die Entscheidung zu treffen bei einer solchen Investorenkonferenz, zu der ich im Übrigen gar nicht eingeladen war. Ich würde sie auch nicht besuchen im Moment. Für ein einzelnes Unternehmen, den Verantwortlichen eines einzelnen Unternehmens ist es deutlich schwieriger, die Entscheidung abzuwägen und zu treffen.
    Heuer: Wie wichtig ist Saudi-Arabien eigentlich für die deutsche Wirtschaft?
    Kempf: Ich würde unterschiedliche Aspekte dabei heranziehen. Saudi-Arabien ist einer der wichtigen Partner auch bei dem Thema Migration, aber natürlich nur, wenn es auf Basis unserer gesellschaftlichen Werte agiert. Natürlich ist es ein nicht uninteressanter Markt und natürlich gibt es für Saudi-Arabien insbesondere im Bereich der Ausrüstungs- und Infrastrukturinvestitionen viele Dinge, die deutsche Wirtschaft dort machen kann, zum Wohl der Gesellschaft dort und vielleicht auch zur Stärkung politischer Bindungen, wie wir sie uns vorstellen, wie wir sie im Moment vielleicht nicht unbedingt – denken Sie an das Thema Gleichberechtigung – dort vorfinden.
    Heuer: Ist denn Saudi-Arabien nur für große Konzerne wirklich von ganz großem Interesse, oder reden wir auch über den Mittelstand, der da Interessen hat?
    Kempf: Es ist natürlich in beiden Fällen der Fall. Es sind sowohl Großkonzerne als auch Mittelständler. Wenn wir mit Mittelstand aber nicht nur Größe assoziieren, sondern auch unterschiedliche Führungsregime, wenn Mittelstand stärker personenbezogen geführt wird, familienbezogen geführt wird, dann sind solche Entscheidungen aufgrund der individuellen Wertegerüste deutlich leichter zu fällen als in Aktiengesellschaften, wo ich eine Vielzahl unterschiedlicher Aktionäre, Anteilseigner habe mit möglicherweise völlig anderen Wertevorstellungen und Wertepräferenzen.
    Bundesregierung lässt sich nicht auseinanderdividieren
    Heuer: Aber keiner, Herr Kempf, kein Unternehmen muss untergehen, wenn es künftig auf Geschäfte mit Saudi-Arabien verzichtet?
    Kempf: Auch das kann nur der Unternehmenslenker im Einzelfall beurteilen, indem er abwägt, wie groß der Anteil der Unternehmenswohlfahrt tatsächlich durch solche Exporte nach Saudi-Arabien bestimmt wird, und indem er zweitens abwägt, was ihm an der Stelle wichtiger ist, das Aufrechterhalten eines Wertekonsenses, eines Wertegerüstes, oder ob er das etwas in den Hintergrund stellt, um die Wohlfahrt seines Unternehmens, was ja letztlich auch oftmals die Wohlfahrt der dort beschäftigten Mitarbeiter heißt, aufrecht zu erhalten. Das ist eine sehr schwierige Entscheidung, die jeder nur individuell treffen kann.
    Heuer: Herr Kempf, während wir miteinander gesprochen haben, hat sich Peter Altmaier im Frühstücksfernsehen der ARD geäußert. Wir hören da mal rein:
    O-Ton Peter Altmaier: "Wir haben ja schon in der Vergangenheit die Rüstungsexporte sehr restriktiv gehandhabt, gerade auch gegenüber Saudi-Arabien. Es gibt dazu im Koalitionsvertrag einen Passus, der sich auf den Jemen-Krieg bezieht. Der wird im Augenblick umgesetzt.
    Zweitens ist richtig, dass sich die Bundesregierung einig ist, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Rüstungsexporte genehmigen, weil wir wissen wollen, was geschehen ist. Alle bisherigen Erklärungen sind nicht zufriedenstellend. Deshalb müssen wir gemeinsam der saudischen Regierung sagen, dass wir Antworten wollen."
    Heuer: Peter Altmaier, der Wirtschaftsminister. – Herr Kempf, jetzt wird es ernst, ja?
    Kempf: Ich fühle mich jetzt bestätigt in meiner These, dass sich die Bundesregierung an dieser Stelle nicht auseinanderdividieren lassen wird, sondern dass es auch in der Umsetzung bei der Entscheidung bleiben wird, die die Kanzlerin angekündigt hat. Natürlich ist es richtig, den Druck auf Saudi-Arabien zur Aufklärung der Vorgänge zu erhöhen.
    Heuer: Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank dafür!
    Kempf: Vielen Dank, Frau Heuer!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.