Archiv

Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien
"Lieferstopp fortsetzen, solange der Jemen-Krieg andauert"

SPD-Außenpolitiker Nils Schmid sieht in der Verlängerung des Lieferstopps von Rüstungsgütern an Saudi-Arabien ein starkes politisches Signal. Bei Gemeinschaftsprojekten müsse es eine Lösung mit den europäischen Partnern geben, sagte er im Dlf. Eine Option sei, die Waffenarten mit Blick auf ihre Verwendungsmöglichkeiten zu prüfen.

Nils Schmid im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Kinder in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa sammeln in Trümmern Metallteile auf, nachdem die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition Luaftangriffe geflogen hat.
Kinder in Jemens Hauptstadt Sanaa sammeln in Trümmern Metallteile auf, nachdem die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition Luaftangriffe geflogen hat (AFP / Mohammed HUWAIS )
Stefan Heinlein: Keine Waffen für Saudi-Arabien – das ist bislang die Haltung der Bundesregierung nach dem Mord an dem Journalisten Kashoggi. Schon zuvor waren im Koalitionsvertrag Rüstungsexporte in Länder, die am Jemen-Krieg beteiligt sind, auf Eis gelegt worden. Doch von den europäischen Partnern wird diese restriktive Haltung zunehmend kritisiert. Vor allem Frankreich fürchtet dauerhaft das Scheitern lukrativer europäischer Rüstungsexportprojekte. Eine Kritik, die nun die Bundesregierung offenbar zum Nachdenken zwingt. Ende März, an diesem Wochenende endet der verhängte Exportstopp nach Saudi-Arabien. In Berlin hat nun die Suche nach einer Hintertür begonnen. Doch im zuständigen Bundessicherheitsrat, einem geheimen Gremium, gab es vorerst offenbar keine Lösung.
Am Telefon ist nun der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid. Guten Morgen, Herr Schmid!
Nils Schmid: Guten Morgen, Herr Heinlein.
Heinlein: Keine Einigung im Bundessicherheitsrat über eine mögliche Verlängerung des Rüstungsexportstopps für Saudi-Arabien. Herr Schmid, können Sie uns weiterhelfen? Woran ist eine Einigung gescheitert? Geht es da um Details, oder geht es um das große Ganze?
Schmid: Nun, ich war ja nicht dabei. Ich glaube, dass die Positionen von CDU und SPD bei der Verlängerung des Lieferstopps noch ziemlich weit auseinander liegen. Deshalb ist es gut, wenn der Sicherheitsrat in den nächsten Tagen noch mal zusammentritt. Die CDU drängt auf eine sofortige Aufhebung des Lieferstopps. Ich halte das für ein völlig falsches Signal, weil Saudi-Arabien nach wie vor unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt ist und Woche für Woche dort Menschen sterben. Deshalb müssen wir den Druck auf Saudi-Arabien für eine politische Lösung des Jemen-Konflikts hochhalten.
"Gemeinsame Regeln mit den europäischen Partnern"
Heinlein: Sanktionen wirken nur, wenn sie dauerhaft und vollständig sind und nicht ein bisschen exportiert wird, was ja durchaus diskutiert wird jetzt als möglicher Kompromiss?
Schmid: Es geht erst mal um das starke politische Signal durch die Verlängerung des Lieferstopps. Dass wir gemeinsam mit den europäischen Partnern bei den Gemeinschaftsprojekten eine Lösung finden sollten, ist, glaube ich, richtig. Das hat auch Nahles und Maas immer auch vor der SPD-Fraktion ausgeführt. Schließlich handelt es sich um bereits genehmigte Lieferungen, die jetzt gestoppt werden sollen. Es ist also gar nicht so einfach, rechtlich, das auf Dauer durchzuhalten. Aber für uns Sozialdemokraten ist wichtig: Solange der Jemen-Krieg andauert, sollte der Lieferstopp von deutscher Seite fortgesetzt werden.
Heinlein: Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Der mögliche Kompromiss, der diskutiert wird, ist ja, dass Rüstungsgüter, die nicht unter das deutsche Embargo fallen, wenn der deutsche Anteil nur sehr gering ist, nur ein paar Dichtungen oder Kugellager. Ist das für die SPD ein akzeptabler Kompromiss?
Schmid: So was kann man durchaus diskutieren. Man müsste sich die Waffenarten genau anschauen, für welche Handlungen sie eingesetzt werden können. Das ist jetzt Sache der Regierung, da eine Lösung zu finden.
Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir nicht den Eindruck erwecken, wir seien die besseren Menschen im Vergleich zu unseren europäischen Partnern. Schließlich wollen wir ja für die Zukunft gemeinsame Regeln mit den europäischen Partnern bei Rüstungsprojekten aufstellen.
Heinlein: Dennoch noch einmal die Frage: Auf welche Prozentquote – das ist ja nicht nur Regierungssache, sondern Sie sind als Partei und als Fraktion ja da auch gefordert -, auf welche Prozentquote könnten Sie sich denn mit der Union und den europäischen Partnern verständigen? Fünf, zehn, 20 Prozent, oder darf es auch ein bisschen mehr sein?
"Wir nehmen Kritik von europäischen Partnern sehr ernst"
Schmid: Ich glaube, die Frage einer Prozentquote ist nur eine Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit ist, dass man auf die Waffenart abstellt, inwieweit sie für einen Offensivkrieg im Jemen genutzt werden können. Ich würde da jetzt nicht von vornherein von einer bestimmten Prozentzahl ausgehen.
Tatsache ist aber auch: Für die Zukunft, wenn wir an die großen deutsch-französischen Rüstungsprojekte, Nachfolge Leopard-Panzer oder ein neues Kampfflugzeug denken, dann müssen wir sicher eine solche Prozentquote für die Zukunft festlegen.
Heinlein: Was sind denn defensive Waffen, mit denen man einen Krieg im Jemen nicht führen kann?
Schmid: Wenn wir daran denken, dass wir in der Vergangenheit nach Saudi-Arabien beispielsweise umfangreiche Grenzsicherungssysteme geliefert haben, die auch das Eindringen von Dschihadisten aus dem Irak oder aus Syrien verhindern sollten, dann kann man sich auch solche Abgrenzungen vorstellen – je nachdem, um welche Rüstungsgüter es sich handelt.
Heinlein: Herr Schmid, Sie haben das Thema Moral angesprochen. Man dürfte nicht moralischer sein als die Franzosen. Aber Frankreich scheint ja zunehmend genervt von uns Deutschen, von der deutschen Politik. Die schlagen ja sehr lautstark Alarm. Die Botschafterin – Sie haben es sicherlich gelesen – sorgt sich um den Fortbestand europäischer Rüstungszusammenarbeit wegen der – und jetzt Zitat – "Unvorhersehbarkeit der deutschen Politik". – Wie sehr muss sich Ihre Partei, die SPD von dieser Kritik angesprochen fühlen?
Schmid: Wir nehmen Kritik von europäischen Partnern, insbesondere von Frankreich sehr ernst. Und in der Tat haben wir den Lieferstopp einseitig verhängt. Europäische Partner sind dem nicht gefolgt. Auch sozialistische Regierungen wie die spanische haben das nicht übernommen. Das heißt, wir müssen schon für europäische Gemeinschaftsprojekte eine Lösung anstreben.
Auf der anderen Seite verwahre ich mich auch gegen die Vorstellung, die Frage der Rüstungsexporte sei jetzt eine Art Lackmustest für europäische Handlungsfähigkeit Deutschlands. Wir haben andere große Themen, die für die Bürgerinnen und Bürger in Europa viel bedeutsamer sind. Ich denke an die Frage der Steuergerechtigkeit, an die Frage europäischer Mindestlöhne. Wenn da das Engagement von allen europäischen Partnern, insbesondere auch vom Koalitionspartner CDU/C’SU ähnlich groß wäre, dann wäre viel gewonnen für die Menschen in Europa.
"Das deutsche Signal hat schon seine Wirkung entfaltet"
Heinlein: Herr Schmid, um es einmal zuzuspitzen: Ist Berlin, vor allem Ihre Partei die Moral, wichtiger als den Franzosen, die an Europa, an europäische Rüstungsgeschäfte denken?
Schmid: Genau diese Debatte sollten wir vermeiden. Die Franzosen haben auch ihre Regeln. Sie sind manchmal bei den Exporten, die wir genehmigen, auch nicht so begeistert. Wir haben beispielsweise aus unserer besonderen Verantwortung für die Sicherheit Israels heraus Waffenlieferungen an Israel genehmigt, die Frankreich wohl nicht genehmigt hätte. Deshalb rate ich davon ab, zu stark jetzt nur moralisch zu argumentieren. Wir brauchen eine europäische Abstimmung, denn eines ist auch klar: Wir können auch nicht nach dem Motto handeln, Hänschen klein, mein Herz ist rein, und die anderen exportieren wild Rüstungsgüter in die Welt hinaus. Da ist für den Frieden in der Welt auch wenig gewonnen. Wenn die Europäer aber gemeinsam auftreten, dann hat das am ehesten noch Einfluss.
Heinlein: Glauben Sie wirklich, dass dieser deutsche, dieser europäische Rüstungsexportstopp die saudischen Machthaber tatsächlich beeindruckt? Denn im Zweifel besorgen sich die Saudis halt die Waffen für die Kämpfe im Jemen aus Russland oder aus den USA.
Schmid: Das ist richtig. Auf der anderen Seite hat das deutsche Signal schon Wirkung entfaltet. Wenn Sie daran denken, dass jetzt der amerikanische Kongress deutlich kritischer die amerikanische Unterstützung des Krieges im Jemen anschaut und eine Aufforderung ausgesprochen hat, dass amerikanische Luftbetankung für saudische Kriegsflugzeuge unterbunden werden soll, dann hat das schon eine politische Wirkung entfaltet. Wir haben ja auch Waffenstillstandsgespräche, die laufen, die bislang nur zu einem lokalen Waffenstillstand im Hafen Hodeidah geführt haben, der auch noch nicht richtig umgesetzt worden ist. Aber dieser politische Druck hat schon gewirkt und deshalb ist ja die Verlängerung, das politische Signal der Verlängerung des Lieferstopps für uns so wichtig, dass wir in den nächsten Monaten zu einem umfassenden landesweiten Waffenstillstand im Jemen kommen. Dazu bedarf es dieser Verlängerung des Lieferstopps.
"Andere rüstungspolitische Tradition" in Frankreich und Großbritannien
Heinlein: Warum sehen die Franzosen und auch die Briten das ganz anders?
Schmid: Weil sie eine ganz andere rüstungspolitische Tradition haben. Für diese Länder ist Rüstungsindustrie Teil nationaler Industriepolitik, so wie der TGV oder Airbus oder die Informatikindustrie, während bei uns die sicherheits- und außenpolitische und auch friedenspolitische Komponente in der Debatte deutlich gewichtiger ist. Da haben wir unterschiedliche politische Kulturen in Europa und deshalb ist es wichtig, dass wir mit unseren Partnern ins Gespräch kommen für gemeinsam abgestimmte Lösungen.
Heinlein: Ist diese deutsche politische Kultur, dieser deutsche Zeigefinger das, was unsere europäischen Partner zunehmend nervt?
Schmid: Ja, das spielt auch eine Rolle. Das muss man offen einräumen. Wir haben in einigen Fragen sehr stark die deutsche Position vertreten. Da kommt ja einiges zusammen. Das war in der Flüchtlingspolitik so, das ist bei Nord Stream II so – alles gut begründete Handlungen der deutschen Regierung, aber alles auch Handlungen, wo die europäischen Partner auf eine stärkere Abstimmung dringen. Deshalb ist es so wichtig, jetzt nicht in einem Gestus moralischer Überlegenheit bei Rüstungsexporten zu argumentieren, sondern die strengen deutschen Vorschriften zu begründen, sie als Ausgangspunkt nehmen für europäisch abgestimmte Lösungen. Das braucht eine Weile, das ist sicher umstrittener als irgendein Verbraucherschutzthema, wo die Europäer sich einigen sollen. Aber wenn wir in der Welt Wirkung entfalten wollen mit Rüstungsexportregeln, ist eine europäisch abgestimmte Vorgehensweise besonders wichtig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.