Sarah Zerback: "America first", das gilt nun auch für Atomwaffen. Nachdem Donald Trump schon im Wahlkampf mit Tweets und Aussagen über seine nukleare Strategie für Verwirrung gesorgt hatte, hat sich der neue US-Präsident jetzt zum ersten Mal seit Amtsantritt zu dem Thema geäußert und das Wettrennen offiziell eröffnet. Trump will das Atomwaffenarsenal ausbauen und die USA zur führenden Atommacht ausbauen. Aus Washington Rolf Böhlmann.
Donald Trump spricht über atomare Aufrüstung. Das war der Bericht von Rolf Böhlmann. Und zugehört hat Oliver Thränert. Er ist Abrüstungsexperte und leitet das Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich. Guten Tag, Herr Thränert.
Oliver Thränert: Schönen guten Tag, Frau Zerback!
Zerback: Wir haben die Rhetorik gehört. Ist das nun die Rückkehr zum Kalten Krieg?
Thränert: Nein, ich bin nicht so sehr besorgt wie vielleicht manch anderer Beobachter. Natürlich, solange es Atomwaffen gibt, muss man immer über diese Waffen besorgt sein. Aber das, was Trump dort anspricht, ist, dass die Amerikaner schon seit den Zeiten von Präsident Barack Obama in einem Prozess der Modernisierung ihrer Trägersysteme für ihre Kernwaffen sind. Ein Prozess, der vor allen Dingen vom damals schon republikanisch dominierten Kongress auch eingefordert worden war.
Der sich aber auch daraus ergibt, dass Amerika eigentlich seit Ende des Kalten Krieges, also seit weit über 20 Jahren in diese Infrastruktur nur sehr wenig hineingesteckt hat. Und Trump möchte das jetzt offenbar fortführen. Was mir eher Sorgen bereitet, ist, dass er eben diesen Anspruch hat, Donald Trump, dass er die Nummer eins in der Welt sein möchte. Und dass die Verträge, die mit Russland bestehen, für ihn keine guten Geschäfte sind. Das deutet darauf hin, dass er nicht sehr interessiert ist an Abrüstung und Rüstungskontrolle mit Russland, und das ist eher ein negatives Zeichen.
Thränert: Trump habe ältere Äußerung zur Atompolitik nicht wiederholt
Zerback: Ja, und so moderat zumindest ein Teil Ihrer Antwort da ja auch klingt, wir haben von Donald Trump auch schon im Vorfeld gehört, Sprüche wie: Warum sollen wir das nicht einsetzen, wenn man die Atomwaffen schon hat? Ist das nicht doch eine Rhetorik, die uns da um Jahrzehnte bewährter Abschreckungstheorie zurückwirft?
Thränert: Diese Äußerung, die Sie jetzt zitieren, ist in der Tat eine gewesen, die mich sehr besorgt gemacht hat, weil sie darauf hingedeutet hat, dass dieser Präsident keine Ahnung oder zu wenig Verständnis dafür hat, was Atomwaffen und der Einsatz von Atomwaffen eigentlich bedeuten. Diese Äußerung hat er aber in dem Interview, über das jetzt berichtet worden ist aus Washington von Ihrem Korrespondentenkollegen, nicht wiederholt. Insofern hoffe ich, dass Donald Trump in der Zwischenzeit ein bisschen, was die Frage des Einsatzes von Atomwaffen anbelangt, dazugelernt hat.
Zerback: Er selbst oder auch durch einen Berater und Sicherheitsteam im Rücken?
Thränert: Sicherlich hat er eine ganze Menge von Briefings zu nuklearen Fragen bekommen und ist sich hoffentlich der Sachlage bewusst, dass es sich hier um eine sehr heikle und sehr gefährliche Angelegenheit handelt.
Zerback: Was ja auch zumindest verwundert, sind Aussagen, dass es einerseits wunderbar wäre, "ein Traum" sogar, sagt er wortwörtlich in diesem jüngsten Interview, wenn es keine Atomwaffen gäbe, wenn kein Staat diese Waffen hätte, und gleichzeitig dann aber über Aufrüstung spricht – wie passt das in Ihren Augen zusammen?
Thränert: Wenn wir das mal Wort für Wort sozusagen nehmen, ist es eigentlich nichts viel anderes als das, was Barack Obama im April 2009 vor der Prager Burg gesagt hat. Es geht darum, möglichst eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen. Barack Obama hat das natürlich noch sehr viel deutlicher ausgedrückt, dass dies sein Ziel ist und das Ziel der amerikanischen Regierung, als es jetzt unter Trump der Fall ist. Aber solange es Atomwaffen gibt, müssen die Amerikaner natürlich über moderne und effektive und einsatzbereite Atomwaffen verfügen. Vor allen Dingen auch zuverlässige Atomwaffen, und das hat Obama damals in Prag auch schon gesagt. Eine solche Modernisierung muss nicht zwangsläufig mit der Anzahl von Kernwaffen einhergehen. Man kann sogar umgekehrt sagen, je besser, je moderner, je zuverlässiger die Kernwaffen sind, desto eher kann ich es mir erlauben, die Anzahl zu reduzieren. Ob Trump das im Sinn hat, das weiß ich nicht.
Zerback: Im Moment geht es um eine großangelegte Modernisierung. Wir haben es gerade im Beitrag gehört, da ist die Zahl von einer Billion Dollar gefallen. Können sich die USA das aktuell leisten?
Thränert: Nun, das ist eine riesige Summe, und ich gehe auch davon aus, dass das vom Kongress noch hier und da zurechtgeschnitten werden wird. Zum Beispiel wollen die Amerikaner ja auch einen nuklearfähigen neuen luftgestützten Marschflugkörper anschaffen, ein sehr teures Vorhaben. Das ist umstritten. Es kann sein, dass hier zum Beispiel gestrichen wird, und dass auch noch andere Dinge zusammengestrichen werden. Aber sicherlich werden die Amerikaner eben für die Modernisierung ihrer nuklearen Infrastruktur in den nächsten Jahren sehr viel Geld ausgeben.
Zerback: Jetzt ist gerade das Stichwort Marschflugkörper gefallen. Kritik kam ja in diesem Interview auch an Russland. Es war der Vorwurf von Trump, Russland hätte das Abrüstungsabkommen gebrochen von 1987, und zwar mit der Stationierung von Marschflugkörpern. Wo könnte das noch hinführen?
Trumps Vorwürfe an Rusland: "Eine sehr gefährliche Entwicklung"
Thränert: Das ist in der Tat auch eine sehr gefährliche Entwicklung. Dieser Vertrag über das Verbot von nuklearen Mittelstreckenraketen ist ja das einzige wirkliche nukleare Abrüstungsabkommen, dass die Sowjetunion damals mit den Vereinigten Staaten, mit Reagan und Gorbatschow wirklich geschlossen hat. Das war ein sehr großer Fortschritt. Es gibt schon seit Jahren eine Diskussion darüber, dass die Russen gegen diesen Vertrag verstoßen. Die Hinweise darauf, die Indizien haben sich jetzt verdichtet. Die "New York Times" hat ja auch darüber berichtet vor einigen Tagen. Und insofern ist dieses Abkommen in großer Gefahr.
Die Russen machen natürlich den Amerikanern auch Vorhaltungen, dass die Raketenabwehrstellungen in Rumänien und Polen, das also noch errichtet werden soll, dass diese Vorrichtungen auch gegen das nukleare Abrüstungsabkommen von 1987 verstoßen. Also gegenseitige Vorwürfe, und von dem her ist dieses Abkommen in Gefahr. Und wenn wir dann auch noch sehen, dass Trump offenbar auch das Abkommen über die strategischen Kernwaffen zwischen Russland und den USA, zwischen Medwedjew damals noch und Obama, auch für schlecht hält, dann sieht es danach aus, als ob die nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle jedenfalls im Moment nicht weiter vorankommen können wird.
Zerback: Im Gegensatz zu den USA haben sich die Russen und auch China ja gegen eine First-Use-Option ausgesprochen, also werden keinen Erstschlag, wie es immer so schön heißt, machen. Unter welchen Umständen, wie würden Sie das einschätzen, sieht denn Trump den Ernstfall gegeben?
Thränert: Es geht um die Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Alliierten, und laut NATO-Doktrin ist der Einsatz von Kernwaffen nur unter den äußerst unwahrscheinlichen oder extremen Umständen wirklich vorstellbar. Gleichzeitig, im Lichte der neueren Entwicklungen, auch was die russischen Kernwaffen anbelangt, hat aber die NATO in der Vergangenheit ihre nukleare Deklaratorik angepasst und hat darauf verwiesen, dass Kernwaffen dafür da sind, einen Angriff einer anderen Seite auf die Allianz abzuschrecken, und dass man eben im Notfall sozusagen auch bereit wäre, diese Kernwaffen dann auch einzusetzen.
Zerback: Und der Kampf gegen den Terrorismus, auch dieses Stichwort ist von Donald Trump schon gefallen, wäre das so ein Ernstfall?
Thränert: Das glaube ich eher nicht, denn – toi, toi, toi – bisher verfügen Terrororganisationen nicht über Kernwaffen, und es ist auch recht unwahrscheinlich, dass sie jemals welche in ihren Besitz bringen. Und insofern denke ich, dass amerikanische Kernwaffen im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus keine Rolle spielen werden.
Zerback: Sagt Oliver Thränert. Er ist Leiter des Zentrums für Sicherheitsstudien der ETH Zürich. Besten Dank, Herr Thränert, für das Gespräch!
Thränert: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.