Archiv


Rüstungspolitik im aufstrebenden China

China rüstet seit zwei Jahrzehnten auf. Das löst nicht nur bei seinen Nachbarn, sondern auch in den USA Unbehagen aus. In dieser Woche brachte das Pentagon in Washington in seinem Jahresbericht seine Besorgnis über die chinesische Aufrüstung zum Ausdruck - Peking reagierte umgehend und wies verärgert die Kritik der USA zurück.

Von Ruth Kirchner |
    Es war eine Show der Stärke, als China im vergangenen Oktober den 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik mit einer großen Militärparade feierte. Über den Platz des Himmlischen Friedens rollten Panzer, marschierten Soldaten, wurden modernste Raketen präsentiert.

    Die Militärparade war eine seltene Gelegenheit um einen – wenn auch nur flüchtigen Blick auf Chinas Waffenarsenale zu werfen. Denn die Entwicklung und das Wissen um neue Waffensysteme unterliegt strengster Geheimhaltung. So können auch Experten nur schätzen, wie stark Chinas Militär tatsächlich ist.

    Zum Beispiel die Atomwaffen: Nach Schätzungen des "Stockholmer Instituts für Friedens- und Konfliktforschung" hat China heute bis zu 200 einsatzfähige Spreng-köpfe. Das macht nur einen Bruchteil der mehr als 5000 amerikanischen Atomwaffen aus. Dennoch spielt China eine Sonderrolle, sagt SIPRI-Direktor Bates Gill.

    Im Vergleich zu den anderen großen Atommächten sticht China heraus, was die Bemühungen angeht, die eigenen atomaren Kapazitäten zu modernisieren, auszubauen und zu verbessern.

    Seit zwei Jahrzehnten investiert die Volksrepublik massiv in die Modernisierung und den Ausbau des Militärs. Der Verteidigungshaushalt wuchs jahrelang um zweistellige Prozentzahlen – nur in diesem Jahr lag der Zuwachs darunter. Demnach gibt China dieses Jahr 68 Milliarden Euro für die Verteidigung aus – deutlich mehr als etwa Frankreich oder Deutschland.

    Doch China insistiert: die Ausgaben seien angemessen. In einer seltenen Pressekonferenz der Volksbefreiungsarmee betonte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Geng Yansheng, vor wenigen Wochen, Chinas Militär diene rein defensiven Zwecken.


    Geng Yangsheng: "Unser militärisches Wachstum ist bescheiden. Wir wollen unsere wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung unserer nationalen Verteidigung harmonisieren. Unser Verteidigungshaushalt ist immer vernünftig und angemessen. In den letzten Jahren betrug er 1,4 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts. In vielen anderen Ländern beträgt der Anteil zwei bis vier Prozent."

    Doch unabhängige Experten gehen davon aus, dass Chinas tatsächlichen Militärausgaben weit höher sind, als die Summe, die im Verteidigungshaushalt ausgewiesen wird. Und das Geld wird nicht nur für neue Uniformen für die Soldaten ausgegeben, sagt SIPRI-Chef Gill.

    "China hat massiv in die konventionelle Aufrüstung investiert – vor allem mit Blick auf Taiwan. Die Stationierungen von konventionellen Raketen, Seestreitkräften oder anderen Dingen gegenüber von Taiwan – das hat mit Rüstungskontrolle nichts zu tun, das ist eine dramatische Erhöhung der chinesischen Kapazitäten."

    Dabei ist Taiwan vielleicht gar nicht mehr der Hauptgegner. Der Aussöhnungskurs des neuen taiwanesischen Präsidenten Ma Ying-jeou hat die Spannungen zwischen China und der Insel deutlich verringert. Aber die Waffen, die immer noch auf Taiwan gerichtet sind, könnte China auch anderweitig in der Region einsetzen, sagt Bates Gill. Er und andere Experten können über Chinas strategische Absichten nur spekulieren. In den vergangenen 15 Jahren haben sie zumindest eine deutliche Verschiebung der Bedrohungsszenarien ausgemacht.

    Gill: "”Wir sehen eine Abkehr von landgestützten Bedrohungsszenarien – etwa durch die frühere Sowjetunion, Indien oder Vietnam – hin zu Sorgen über mögliche Bedrohungen aus der Luft oder von der See her in Chinas Osten. Das ist nicht nur eine Verschiebung der Militärdoktrin, sondern erfordert auch ein Umdenken in der Volksbefreiungsarmee, die sich vorher nie wirklich um diese Bedrohungen gekümmert hat.""

    An seiner Ostküste sieht sich China der eigentlichen Ordnungsmacht im Pazifik gegenüber – den USA. Und das löst in der Volksrepublik fast reflexartige Ängste aus. Zumal die Amerikaner und ihre Verbündeten, die Südkoreaner, derzeit ihre Muskeln spielen lassen. Nach offizieller Lesart aus Washington will man mit Seemanövern – wie dem Ende Juli in der Japanischen See – vor allem gegenüber Nordkorea Härte zeigen. Seoul und Washington werfen Pjöngjang vor, ein südkoreanisches Kriegsschiff absichtlich versenkt zu haben.

    Doch in Peking sieht man die Manöver – die im September auch im Gelben Meer fortgesetzt werden sollen - mit wachsendem Misstrauen. Denn das Gelbe Meer, also die Gewässer zwischen China und der koreanischen Halbinsel, betrachtet Peking als sein Hoheitsgebiet. Dass dort Anfang September der amerikanische Flugzeugträger "USS George Washington" kreuzen könnte, empfindet man in Peking als Demütigung. Zumal dessen Kampfjets – zumindest theoretisch – auch Peking erreichen könnten. Konteradmiral Yang Yi von der Nationalen Verteidigungsuniversität in Peking gilt als einflussreicher Stratege in China.

    Yang Yi: "Das ist eine aggressive Geste der USA und für China eine Provokation. Sie kommen bis an unsere Türschwelle, um ihre militärische Macht zu demonstrieren. Das ist ein Akt des Hegemonialstrebens und eine neue Kanonenbootpolitik. Wir lehnen das entschieden ab."

    Doch viel mehr als verbal mit den Säbeln zu rasseln, kann China nicht. Auch Konteradmiral Yang räumt ein, dass man gegenüber den Amerikanern so gut wie machtlos sei. Der strategische Einfluss Chinas hinkt noch weit hinter seiner wirtschaftlichen Stärke hinterher. Die Volksrepublik sieht sich der Supermacht USA unterlegen. Zugleich wirft man den Amerikanern vor, China klein halten und die amerikanische Präsenz im Pazifik weiter ausbauen zu wollen.

    Dabei will sich China selbst in Asien als neue Regionalmacht etablieren. Und es geht dabei nicht nur um militärische Stärke, sondern auch um wirtschaftliche Interessen. Als zweitstärkste Wirtschaftsmacht der Welt will auch China für das Ringen um Rohstoffe und die Sicherung von Handelswegen gewappnet sein. Und so liegt hinter Chinas Aufrüstungskurs auch dieser Kerngedanke: Militärische Stärke nützt letztlich doch auch der Diplomatie.