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Rütli-Schule
"Zuckerbrot und Peitsche, das hat funktioniert"

Lehrer im Saarland haben einen Hilferuf an die Politik geschickt. Sie bemängeln Respekt- und Disziplinlosigkeit der Schüler. Heinz Buschkowsky war SPD-Bezirksbürgermeister von Neukölln, als in seinem Bezirk die Rütli-Schule wegen ähnlicher Umstände in die Schlagzeilen geriet. Er erzählte im Dlf, wie die Hauptschule es schaffte, eine angesehene Gemeinschaftsschule zu werden.

Heinz Buschkowsky im Gespräch mit Christoph Heinemann     |
    Der SPD-Politiker Heinz Buschkowsky war Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln.
    Der SPD-Politiker Heinz Buschkowsky war Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln. (picture alliance / dpa/ Erwin Elsner)
    Christoph Heinemann: Neu ist das alles nicht, ein Einzelfall auch nicht. 2006 wandte sich das Lehrerkollegium der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln an den Bildungssenator und forderte die Schließung der Schule. Die Lehrerinnen und Lehrer konnten und wollten der täglichen Gewalt nicht mehr standhalten. Dass sich die verrufene Rütli-Hauptschule zum angesehenen Campus Rütli entwickeln konnte, ist auch das Verdienst des SPD-Politikers und damaligen Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky. Guten Morgen.
    Heinz Buschkowsky: Guten Morgen!
    Heinemann: Herr Buschkowsky, welche war Ihre wichtigste Idee für die Rütli-Schule?
    Buschkowsky: Die wichtigste Idee war, dass wir die Schule natürlich nicht schließen, weil es macht ja keinen Sinn, in einem sozialen Brennpunkt die einzige Bildungseinrichtung, die da ist, auch noch zuzumachen. Das heißt ja den Stadtteil aufgeben.
    "Es sind nicht alle Schüler der Schule Rabauken und Störer"
    Heinemann: Wie haben Sie die Rütli-Schule umgekrempelt?
    Buschkowsky: Wir haben damals gesagt, wir brauchen einen Spirit von Rütli. Wir brauchen Menschen, die an diesem Ort arbeiten wollen und die mit diesen Jugendlichen arbeiten wollen, weil das, was ihre Rektorin eben gesagt hat, kommt mir sehr bekannt vor. Ich war gerade etwa knappe 15 Jahre in der Zeit zurückgereist. Natürlich war das bei uns auch so, aber es ist auch bei Ihnen mit Sicherheit so, dass nicht alle Schüler der Schule Rabauken sind und Störer sind, sondern es sind 15 bis 20 Prozent maximal, die die Schule und das Lehrerkollegium terrorisieren. Das heißt, man muss erst mal das Kollegium zusammenschweißen – ist ja logisch. Man muss den Lehrern, die mit diesen Jugendlichen nicht arbeiten wollen, eine Chance geben, eine neue berufliche Herausforderung an einem anderen Ort zu finden. Und man braucht neue Kolleginnen und Kollegen, die dort ganz bewusst sind und die sagen, wir stemmen uns dagegen, wir geben nicht auf.
    Natürlich brauchen Sie dort auch muttersprachliche Sozialarbeiter, also das, was multiprofessionelles Team genannt wurde, und natürlich müssen Sie auch versuchen, unter den Eltern die zu finden, die bildungsorientiert sind. In diesen Gebieten haben Sie natürlich einen ganzen Sack voll Eltern, die keine sozialen Kompetenzen mitbringen und denen, ehrlich gesagt, scheißegal ist, was aus ihren Kindern wird.
    Heinemann: Herr Buschkowsky, 15 bis 20 Prozent Rabauken, haben Sie gerade eben gesagt. Wie sollten Lehrerinnen und Lehrer auf Beschimpfungen oder gar körperliche Gewalt reagieren?
    Buschkowsky: Mit Konsequenz. Man muss erstens auf die Jugendlichen zugehen. Wir haben zum Beispiel Sprachkurse in Arabisch angeboten als Respekt vor der Muttersprache. Aber wir haben auch konsequent bei jedem Vorfall die Polizei geholt und die Dinge zur Anzeige gebracht. Zuckerbrot und Peitsche, ein uraltes Prinzip. Das hat funktioniert. Wir haben eine gymnasiale Oberstufe auf die Schule draufgesetzt. Heute verteilen wir jährliche Abiturzeugnisse.
    "Wer sich nicht an die Regeln hält, der gehört nicht zu uns"
    Heinemann: Was passiert, wenn Regelverletzungen folgenlos bleiben?
    Buschkowsky: Das ist natürlich der Punkt, wo der Schulfrieden aufrecht erhalten werden muss, und wer nach wie vor auf der Toilette die Papierhandtücher anzündet, der muss die Schule verlassen, egal ob das Schuljahr in den letzten drei Monaten liegt und der Abschluss gefährdet ist oder nicht. Man muss klipp und klar auch an die Geschwister das Signal senden, hier ist Schluss mit lustig, wer hier nicht funktioniert, sich nicht an die Regeln hält, der gehört nicht zu uns.
    Mitarbeiter des privaten Wachchutzes Germania stehen zusammen mit einigen Schülern 2007 vor dem Eingang der Rütli-Hauptschule in Berlin-Neukölln.
    Mitarbeiter des privaten Wachchutzes Germania bewachen 2007 den am Eingang der Rütli-Hauptschule in Berlin-Neukölln (imago/Christian Schroth)
    Heinemann: Herr Buschkowsky, 2006 stammten 80 Prozent der Rütli-Schüler aus muslimischen Familien. War diese Konzentration Teil des Problems?
    "Schüler erkennen die schwachen Teile des Lehrerkollegiums"
    Buschkowsky: Ja, natürlich. Sie entwickeln ja eine Monostruktur und die Schüler untereinander fühlen sich plötzlich stark. Wenn Sie dann noch schwache Teile des Lehrerkollegiums haben und die Schüler merken, sie können sich durchsetzen, dann hauen die natürlich immer noch einen drauf. Das ist klar. Jugendliche sind da sehr rücksichtslos. Man muss da schon auch als Kollegium zusammenstehen und sagen, wir decken uns gegenseitig den Rücken und wir lassen uns nichts gefallen.
    Dann ist natürlich, wie ich eben sagte, die Rosinenpickerei: Wo haben wir Eltern, die kooperieren, die mitmachen, die nicht nur reden, mein Sohn soll Pilot oder Anwalt werden oder Arzt, sondern die auch etwas dafür tun. Das ist nicht ganz einfach, weil der Stadtteil ändert sich ja nicht. Der hat sich auch bei uns nicht geändert.
    Und wir haben natürlich eins getan: Wir haben die Schule baulich in Ordnung gebracht. Wir haben da richtig Geld reingesteckt. Es ist ja heute noch nicht vollendet, aber der Spirit von Rütli auch vor Ort beim Zusammengehen und Bilden von Arbeitsgruppen einer speziellen pensionierten Lehrkraft, die dort die Fäden zusammengeknüpft hat, das alles zusammen hat dazu geführt, dass wir heute, wenn der Name Rütli fällt, überhaupt keine negativen Gedanken mehr haben.
    Heinemann: Herr Buschkowsky, die Störenfriede sind in der Regel männlich. Muss sich die Pädagogik stärker auf die Jungs konzentrieren?
    Rütli: Ja. Aber Sie werden das erzieherische Fehlverhalten, sofern es überhaupt Erziehung gibt, damit nicht negieren können.
    Heinemann: Wie denn?
    Buschkowsky: Sie müssen sich in letzter Konsequenz dort, wo alles versagt, trennen. Das ist das Signal in den Rest der Schülerschaft. Dort, wo zuhause die Kinder auf den Macho-Trip geführt werden, dort, wo Frauen Unterwesen sind, Untermenschen sind, und auch die Lehrerin, dort muss man versuchen einzuwirken. Das machen die Pädagogen mit Sicherheit. Und dort, wo alles versagt, kann man nur sagen, das ist jetzt Deine letzte Chance, ansonsten auf Wiedersehen.
    Heinemann: Nun wird kein Mensch als respektloser Macho geboren. Was muss passieren, wenn sich junge Menschen, auch ganz junge Menschen erkennbar falsch entwickeln?
    "Die Eltern sind der Ausgangspunkt einer solchen Entwicklung"
    Buschkowsky: Sie können niemand einer Gehirnwäsche unterziehen.
    Heinemann: Aber einer Kindergartenpflicht vielleicht.
    Buschkowsky: Natürlich sind die Eltern der Ausgangspunkt einer solchen Entwicklung. Wir kennen ja das pädagogische Dreieck Schule, Elternhaus, Schüler, und wenn die Eltern, das Elternhaus wegbrechen, dann wird es verflucht schwer, dort etwas zu erreichen. Und wo dann so ein richtiger Orthodoxer Zuhause seine Schreckensherrschaft ausübt, da haben es die Kinder dann auch sehr, sehr schwer, es zu einer eigenen Persönlichkeit zu packen, die Lust auf die Gestaltung des eigenen Lebens hat.
    Heinemann: Sie setzen sich für einen verpflichtenden Aufenthalt im Kindergarten ein. Wäre das ein Teil der Lösung?
    Buschkowsky: Ja, natürlich! Es hat ja einen Grund, dass gerade diese Elternhäuser versuchen, ihre Kinder von der Kita fernzuhalten, weil sie natürlich den fremden Einfluss nicht wollen. Die Kita muss ja viel offener sein in gemischten Kindergruppen und das prägt natürlich auch die Eltern und setzt ein Gleichgewicht zur Fehlentwicklung bei Papa oder Mama - meist ist es ja Papa. Der versucht, die traditionellen Werte schon vom Urgroßvater wieder weiterzugeben, und gibt den Kindern eine Perspektive, guck mal, so kann man auch leben und so kann man auch mit Frauen, mit Mädchen, mit der Schwester vernünftig umgehen, ohne ihnen andauernd eine reinzuhauen.
    Heinemann: Heinz Buschkowsky (SPD), der ehemalige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Buschkowsky: Keine Ursache!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.