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Rugby-Schiedsrichter Nigel Owens
Beeindruckend auf und neben dem Platz

Rugby-Schiedsrichter Nigel Owens ist bekannter als mancher Spieler. Das liegt nicht nur an seinen souveränen und witzigen Auftritten, sondern auch an seiner Lebensgeschichte: Owens ist der erste offen homosexuell lebende Profi-Schiedsrichter im Rugby. Doch bis dahin war es ein schwieriger Weg.

Von Maximilian Rieger |
Nigel Owens bei der Rugby-WM in Japan - im Viertelfinale Neuseeland gegen Irland.
Nigel Owens bei der Rugby-WM in Japan - im Viertelfinale Neuseeland gegen Irland. (imago images / Inpho Photography)
Tobias Botes hat anscheinend nicht gewusst, mit wem er zu tun hat. Botes spielt 2012 mit seinem italienischen Verein Trevisio gegen den irischen Club Munster, und er ist unzufrieden mit einer Entscheidung von Schiedsrichter Nigel Owens. Theatralisch wirft Botes die Arme in die Luft. Owens ruft den Spieler zu sich – und stellt sich erstmal vor.
"Wir kennen uns noch nicht, aber ich bin der Schiedsrichter, nicht du", sagt Owens zu Botes. "Mach deinen Job, und ich mache meinen. Wenn ich dich nochmal rufen höre, dann werde ich dich bestrafen."
"This is not soccer, is that clear?"
Und dann folgt ein Satz, der inzwischen sogar auf T-Shirts gedruckt wurde: "This is not soccer, is that clear?"
Das ist nicht Fußball. Damit hat Owens gleich mehrfach recht. Zum einen ist Rugby deutlich transparenter als Fußball. Die Schiedsrichter sind bei den Profis mit Mikros ausgestattet, manchmal sogar mit einer Kamera an der Brust. Dann sehen die Menschen vor dem Fernseher die Gesichter der schnaufenden, muskelbepacken Spieler - die wie kleine Schuljungen zuhören, wenn Nigel Owens ihnen die Regeln erklärt.
Widerworte - praktisch keine. Und wenn doch mal einer versucht, mit Owens zu diskutieren, reicht dem Schiedsrichter manchmal nur ein Wort, damit der Spieler sich davon trollt - so wie der Engländer Chris Robshaw bei einem Spiel gegen Frankreich 2015.
"Der wichtigste Wert ist Respekt"
Lange, oft folgenlose Tiraden gegen Schiedsrichter wie beim Fußball - beim Rugby undenkbar. Nicht nur, wenn Owens pfeift. Rugby will Respekt leben - selbst wenn die Körper im Spiel mit aller Macht aufeinander prallen. Davon könnten sich nicht nur andere Sportarten etwas abgucken, meint Owens in der englischen Talkshow "London Real".
"Der wichtigste Wert ist Respekt. Ich denke, wenn es etwas gibt, was der Gesellschaft auf der ganzen Welt fehlt, dann Respekt. Und Rugby wahrt diesen Respekt. Rugby darf sich nicht moralisch überlegen fühlen, weil es viele Dinge gibt, die man verbessern kann. Aber wenn es um Respekt geht, denke ich, da ist Rugby führend."
Privat kämpft Owens lange mit seiner Sexualität
Was das bedeutet, lernt Owens früh. Mit 16 fängt er an, Spiele zu pfeifen, steigt in höherklassige Ligen auf. Privat hat Owens aber Probleme. Er wächst in einem katholischen Elternhaus in Wales auf - und merkt mit 19, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Für mehrere Jahre kämpft er mit seiner Sexualität, bekommt eine Essstörung, nimmt übermäßig Steroide und wird depressiv.
"Für mich gab es nur noch einen Weg raus. Ich wollte nicht, dass die Leute das rausfinden. Was würden die Leute sagen? Meine Mutter, mein Vater, meine Freunde? Wenn sie rausfinden, dass ich anders bin, dass ich schwul bin. Ich wollte das nicht sein. Und dann habe ich etwas gemacht, was ich für den Rest meines Lebens bereuen werde: Ich habe meiner Mutter und meinem Vater einen Brief hinterlassen und geschrieben: Ich möchte nicht mehr weiterleben."
"Mich zu akzeptieren war schwieriger, als das Finale der WM zu pfeifen"
Owens überlebt knapp, so erzählt er es dem Sportradio TalkSport. Erst als seine Mutter ihm im Krankenhaus gesagt habe, dass sie ohne ihn nicht leben könne, habe ihn das gerettet. Seine Leistung als Schiedsrichter habe in diesen Jahren allerdings unter seinem Geheimnis gelitten. Als er den Sprung auf die internationale Ebene zu verpassen droht, entscheidet er sich, sich zu outen.
"Da ist eine riesige Last von mir abgefallen. Denn egal, was man im Leben macht - wenn du nicht glücklich mit dir selbst bist, dann kannst du nicht das erreichen, was möglich wäre. Denn es gibt ein altes walisisches Sprichwort: Ein glücklicher Schiedsrichter ist ein guter Schiedsrichter."
Erzählt Owens in einem Video des Rugby-Weltverbandes. Der Verband unterstützt ihn und 2015 darf Owens das wichtigste Rugby-Spiel überhaupt pfeifen - das WM-Finale.
"Mich zu akzeptieren und damit umzugehen war schwieriger, als das Finale der Weltmeisterschaft zu pfeifen, vor 85.000 Zuschauern im Stadion und vielen Millionen Menschen vor dem Fernseher. Der Druck dort ist enorm. Aber zu akzeptieren, wer ich bin - das war die größte Herausforderung meines Lebens. Im Vergleich dazu war das Finale ein Spaziergang im Park."
Kaum negative Reaktionen auf Coming-Out
Negative Reaktionen auf seine Sexualität könne er an einer Hand abzählen, erzählt Owens bei TalkSport. Die überwältigende Mehrheit der Reaktionen sei positiv gewesen. Für Owens im Gespräch mit "London Real" auch das ein Zeichen dafür, was für ein besonderer Sport Rugby ist:
"Rugby ist ganz vorne mit dabei, wenn es um Inklusion geht. Egal, wo du her kommst, was deine Hautfarbe ist, deine Religion, deine sexuelle Orientierung - es gibt einen Platz für dich in der Rugby-Familie. Und deswegen bedeutet mir Rugby so viel. Es gibt keinen Zweifel, dass ich wahrscheinlich nicht der wäre, der ich heute bin, wenn es nicht den großartigen Sport Rugby geben würde."