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Ruhe vor dem Tod

Während der Französischen Revolution werden 16 Klosterschwestern mit der Guillotine hingerichtet, weil sie sich weigern, ihrem Glauben abzuschwören. Davon handelt die Oper "Gespräche der Karmelitinnen" von Francis Poulenc. Der historisch verbürgte Stoff bietet einem Regisseur die Möglichkeit, reichlich Blut spritzen und Köpfe rollen zu lassen.

Von Mascha Drost |
    Es herrscht Eiseskälte – vom ersten bis zum letzten Moment. Ganz reale Eiseskälte im heruntergekühlten Zuschauerraum, und, schlimmer – ein Gefühl das sich im Innersten festsetzt, und dann bleibt, lange nachdem die letzten, furchtbaren, grausamen Akkorde verklungen sind. Akkorde, die Poulenc so meisterhaft, so schreckensnah instrumentierte, dass man zusammenfährt – denn mit jedem Akkord fällt das Beil, fällt eine Karmelitin nach der anderen zu Boden. Wie am Schluss die Frauen im weißen Unterkleid aufgereiht an der Rampe stehen, sich schutzlos und ängstlich an den Händen halten, das Ave Verum singend nacheinander in den Tod gehen – das ist ein Opernschluss, so einfach und dadurch so erschütternd inszeniert, dass er durch Mark und Bein fährt.

    Poulencs "Dialoge der Karmelitinen" ist eine Oper über Angst – der Angst vor dem Tod wie vor dem Leben. Angst von der die Hauptperson, die junge Blanche so sehr besetzt ist, dass sie in ein Karmelitinnen-Kloster flüchtet; dort, in der Strenge des Glaubens, der Regeln hofft sie Ruhe zu finden.

    Auf der Bühne: Vier meterhohe, tief in den Raum ragende Metallgerüste, ähnlich einer Lagerhalle. Vier Ebenen, auf jeder eine Matratze – die Zellen der Nonnen. Ein in der Strenge und Einfachheit beeindruckendes Bühnenbild – ein Raum, der zugleich Ordnung und Ruhe aber auch Beklemmung und Furcht einflößt. Ein symbolischer Raum, zeitlos wie die gesamte Inszenierung. Die Nonnen in ihren farblosen Faltenröcken, Blusen und Wollwesten, die Kommissare in hellen Mänteln – so könnte es heute wie vor 80 Jahren ausgesehen haben.

    Von einer Oper über die blutigen Unruhen der Französischen Revolution, über Fanatismus, Angst – und Schreckensfantasien, Todesfurcht und Todessehnsucht – da hatte man von Calixto Bieito anderes erwartet, offene Brutalität, viel Theaterblut, vielleicht auch eine Abrechnung mit religiösem Wahn. Rohe Gewalt aber findet hier höchstens in Andeutungen statt, stattdessen wird fast naiv-realistisch inszeniert. Bieito nimmt sich der Frauen mit einem tiefen Verständnis an – und klänge es nicht so hochtrabend, könnte man fast von Liebe sprechen. Er zeichnet keine finsteren Fanatikerinnen, keine jenseitshungrigen Märtyrerinnen, vielmehr Menschen, die nach mehr oder weniger Überwindung aus innerer Kraft heraus den freien Weg in den Tod gehen. Das klingt im wahrsten Wortsinn gutgläubig – aber vielleicht muss man wie der Jesuitenschüler Bieito Kraft und Schrecken des Katholizismus am eigenen Leib erfahren haben, um dem Publikum eine solche Oper nahezubringen, Verständnis, vielleicht sogar Mitgefühl hervorrufen zu können.

    Es ist eine Oper der Frauenstimmen, und am gestrigen Abend eine der wunderbaren. Maureen Mc Kay in der Hauptrolle der Blanche – leidenschaftlich, mit einem selbst in den angsterfülltesten Ausbrüchen noch tragenden, ausdrucksvollen Klang. Irmgard Vilsmaier als beängstigende Mutter Marie – mit einer volltönenden Glockestimme und in der Darstellung ebenso unerbittlich und hart. Berührend in Spiel und Gesang Julia Giebel als Schwester Constance, und so ließe sich das Lob bis in die Nebenfiguren fortsetzen. Gleiches gilt für Orchester und Dirigenten – mit messerscharfen, unerbittlichen Klängen betonte Stefan Blunier das Erbarmungslose in Poulencs Musik. Dieser Kraft aus dem Orchestergraben mussten sich die Sänger an einigen wenigen Stellen sogar geschlagen geben. Nicht weniger beeindruckend aber auch die vielen innigen, hoffnungsvollen, vollendet zart gespielten Momente – Momente, die in diesem zutiefst erschütternden Opernabend umso utopischer aufleuchteten.