Jeden Morgen eilt Denisa Comanescu durch den Cismigiu-Park unweit des Bukarester Zentrums. Vorbei an der großen Uhr mit ihrem Glockenspiel und den Schneeglöckchenwiesen. Ihr Arbeitsplatz liegt nicht weit von hier.
"Wir befinden uns hier in der schönen Humanitas-Buchhandlung. Ich selbst bin Dichterin, Verlegerin, Übersetzerin."
Denisa Comanescu ist in ihrem Heimatland Rumänien eine bekannte Poetin. Zur Leipziger Buchmesse erscheint erstmals eine Anthologie ihrer Gedichte in deutscher Übersetzung. Titel des Bandes: "Rückkehr aus dem Exil".
"Es geht um das Exil, in dem ich mich befinde, wenn ich nicht schreibe. Denn das Schreiben ist meine Heimat. Doch seit der Jahrhundertwende habe ich genau dafür immer weniger Zeit - weil ich mich in der Literatur, die ich verlege, verliere."
Seit Jahren gibt Comanescu in Rumäniens zweitgrößtem Verlag eine vielbeachtete Reihe mit Weltliteratur heraus. Sie wolle der Überschwemmung des rumänischen Buchmarktes mit billigen Übersetzungen etwas entgegensetzen, sagt sie:
"Der rumänische Buchmarkt ist klein und hat einen Gesamtumsatz von gerade einmal 60 Millionen Euro. Zwar haben wir rund 20 Millionen Einwohner. Aber nur 1,2 Millionen Menschen lesen Bücher."
Schreiben als Zweitberuf
Rumäniens Autoren schreiben auch 29 Jahre nach dem Sturz der Diktatur noch in einem politisch und wirtschaftlich schwierigen Umfeld. Die meisten arbeiten tagsüber in anderen Jobs, Schreibstipendien wie in Westeuropa gebe es in Rumänien nicht, erzählt der Dichter Claudiu Komartin. Er leitet den kleinen unabhängigen Max-Blecher-Verlag und beobachtet seit langem die Entwicklungen in der jungen Lyrik und Prosa Rumäniens:
"Die Lyrik vor dem Jahr 2000 war eher dunkel und transportierte noch Traumata der kommunistischen Zeit. Heute sind die jüngeren Autoren lockerer, die jungen Prosaautoren beschäftigen sich fast ausschließlich mit der Gegenwart."
Orientierungslos und nicht selten unglücklich treiben die Helden der jüngeren Schriftstellergeneration durch das im Umbruch befindliche Nachwende-Rumänien. So entstehen lebendige Abbilder des Lebens von heute. Alle schauten nach vorn, niemand zurück, konstatiert Lucian Dan Teodorovici, einer der meistübersetzten rumänischen Autoren:
"Die postkommunistische Gesellschaft, die Phase des gesellschaftlichen Umbruchs ist für die jungen rumänischen Autoren von heute kein wichtiges Thema. Sie meinen, dass darüber bereits zu viel gesprochen wurde. Gegenwart und Zukunft sind für sie ausreichend. Aber das ist ein großer Fehler."
Tabuthemen der rumänischen Geschichte
So sind es vor allem ältere Autoren, die dem deutschen Lesepublikum nahebringen, wie die Vergangenheit sich in der heutigen rumänischen Gesellschaft spiegelt. Sie sind es, die sich immer noch vorhandener Tabus annehmen. Catalin Mihuleac etwa erinnert in seinem furiosen Roman "Oxenberg & Bernstein" an ein Kapitel rumänischer Geschichte, über das niemand sprechen will - die rumänische Mitverantwortung an der Ermordung von mehr als 13 000 Juden in seiner Heimatstadt Iasi. Als Autor, schreibt Mihuleac den jüngeren Kollegen ins Stammbuch, habe man eben auch die Verantwortung, gegen das Vergessen zu kämpfen:
"Bei Lesungen wurde ich beschimpft und angebrüllt, ob mich die Juden für dieses Buch bezahlt hätten. Und ein anderer sagte mir, er werde nun nie wieder ein Buch von mir lesen."
Ernest Wichner wollte Mihuleacs Roman wegen seiner äußerst drastischen Sprache zunächst nicht übersetzen. Zu unangemessen schien sie ihm angesichts des sensiblen Themas. Nun ist er gerade mit dieser Übersetzung für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Tatsächlich ist Mihuleacs Roman einer der wichtigsten, den Rumänien als Gastland im Gepäck hat.