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Rumänien: Das Los aidskranker Menschen

12.000 Aids-Infizierten leben in Rumänien, davon sind mehr als die Hälfte Kinder und Jugendliche. Fast alle haben sich mit dem HI-Virus durch die Fahrlässigkeit von Ärzten und medizinischem Personal angesteckt. Die meisten der Fälle passierten vor dem Sturz der Diktatur im Dezember 1989 oder kurz danach. Doch der Staat, so kritisieren rumänische Menschenrechtsorganisationen, drückt sich bis heute vor der Verantwortung. Keno Verseck hat zwei Jugendliche in Bukarest getroffen.

    Bukarest, ein winziges Dachgeschosszimmer im Stadtteil "1. Mai". Florin Manolita, ein blonder, gut aussehender 25Jähriger übt auf seiner Blockflöte rumänische Volksweisen. Straßenmusik zu machen, ist der beständigste seiner vielen Jobs. Florin ist HIV-positiv. Weil er deshalb so gut wie keine Chance hat, eine offzielle Anstellung zu finden, schlägt er sich mit Schwarzarbeit durch. Mal ist er Kellner, mal Pförtner und meistens eben Straßenmusikant.

    Infiziert wurde Florin mit HIV vor viereinhalb Jahren, als er seinen Wehrdienst bei einer Gebirgsjägereinheit ableistete.

    " In der Armee sind Impfungen üblich, vor allem bei Spezial-und Elitetruppen. Gegen Grippe und ähnliche Sachen. Ich hatte das Pech, dass genau vor mir ein bestimmter Junge aus unserer Kompanie an der Reihe war, ich weiß noch, dass er schwächlich aussah und sehr dünn war. Die Ärzte haben zuerst ihn geimpft und danach mit derselben Nadel mich. Drei Wochen später hatte ich Bauchschmerzen und Schwindelanfälle. Die Ärzte untersuchten mich. In meinem Blut stellten sie das Virus fest."

    Seit damals ist Florin in ständiger Behandlung. Er schluckt ein Dutzend Pillen am Tag und bekommt eine so genannte Verpflegungshilfe vom rumänischen Staat - monatlich umgerechnet 90 Euro. Eine Entschädigung zahlte die Armee für ihre Fahrlässigkeit nicht.

    Die Universitätsklinik Bukarest-Colentina. Mindestens einmal im Monat kommt Florin hierher. Mit Adrian Marinescu, einem Spezialisten für Infektionskrankheiten, spricht er über seinen Zustand. Der sei gut, sagt der Arzt.

    " Wenn Florin die Behandlung genau einhält, dann wird seine Entwicklung gut sein. Seine Lebenserwartung ist hoch, er soll nicht glauben, dass er nur noch einige Jahre hat. Allerdings muss neben der Therapie auch etwas im sozialen Bereich getan werden. Es darf keine Marginalisierung von Aids-Kranken geben. Doch die Mentalität in Rumänien ändert sich nur sehr schwer."

    Wieder zuhause. Florins Freundin Alina ist gekommen, eine große, hübsche 20jährige mit kastanienbraunem Haar und grünen Augen. Auch sie ist HIV-positiv. Was Marginalisierung heißt, wissen Alina und Florin nur zu gut.

    " Das ist das Schlimmste: Ich habe viele meiner Freunde verloren, eigentlich alle, außer einem einzigen. Ich habe ihnen von meiner Krankheit erzählt, und sie haben sich von mir abgewandt. Ganz einfach."

    Vor anderthalb Jahren hängte Florin ein kleines Plakat im Krankenhaus auf. Darauf stand unter einem Foto mit Telefonnummer: "Ich habe Aids und suche ein Mädchen mit demselben Problem". Alina meldete sich. Es war fast Liebe auf den ersten Blick.

    " Nachdem ich Florin kennengelernt habe, habe ich langsam wieder Zutrauen zu Menschen und vor allem zu Jungen gefasst. Ich war vorher sehr hart und verschlossen. Florin hat es geschafft, mich zu verändern."

    Alina wurde vermutlich als Säugling bei einer Magenoperation mit dem Aids-Virus infiziert. Festgestellt wurde die Infektion, als sie sieben war. Daraufhin verließ ihre Mutter sie, Alina wuchs bei ihrer Großmutter auf. Eine Entschädigung bekam auch Alina vom rumänischen Staat nie. Sie macht gerade Abitur, ab Herbst will sie Psychologie studieren. Durch Florin, erzählt sie, hat sie endlich eine Familie gefunden.

    " Als Florin mich das erste Mal zu seinen Eltern mitgenommen hat, war ich sehr unruhig und schüchtern. Aber dann habe ich gesehen, dass sie wunderbare Menschen sind. Vor allem an Florins Vater hänge ich sehr. Einmal haben wir zusammen gegrillt, und er sagte: Jetzt habe ich noch eine Tochter. Ich habe mich sehr gefreut, dass er mich als sein Kind ansieht und dass Florins Eltern mich in einer Weise aufnehmen, wie ich es nie erwartet hätte."