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Rumänien
Leben auf einer Müllkippe - mitten in der EU

Am Stadtrand von Cluj in Rumänien leben knapp 2.000 Menschen in Pata Rat: auf und neben einer Müllkippe. Sie sortieren Müll und verkaufen, was sich verkaufen lässt. Schon seit den 1990er-Jahren siedeln hier Roma. Irgendwann wird die Halde geschlossen, vielleicht schon im Juli - und was passiert mit den Menschen?

Von Florian Elsemüller |
    Plastikmüll auf einem Haufen
    Leben am Rande der Gesellschaft - auf dem Müll. (dpa / picture alliance / Stefan Sauer)
    Am Stadtrand von Cluj-Napoca fliegen hunderte Krähen und tausende Plastiktüten am Himmel. Schweine laufen frei herum, wilde Hunde streunen über die Felder. Ein Kind reitet auf einem Pferd und zieht einen Karren hinter sich her.
    "Das ist Altpapier. Sie werden es verkaufen, um Geld für Lebensmittel zu haben."
    Mit "sie" meint Fechete Petru Alexandru, den hier alle nur Pepe nennen, die anderen etwa 2.000 Roma, mit denen er in Pata Rat, lebt. In kleinen Hütten, aus Müll gebaut, die meisten ohne eigene Toilette. Vier mal vier Meter müssen oft für zehn Personen reichen.
    "Sie müssen es sich aussuchen: Entweder hast Du Deine vier Wände oder nichts. Zumindest ist es besser, als draußen zu schlafen."
    Manche Hütten stehen sogar auf der Müllhalde.
    "So was wie Pata Rat sollte es in einem EU-Land nicht geben. Menschen sollten nicht so leben wie in der Hölle."
    Arbeiten und leben auf der Halde
    Viele der Menschen, die hier wohnen, arbeiten auch auf der Müllhalde. Sie suchen nach Papier, Plastikflaschen, Metall, vor allem Kupfer. Zwei bis vier Euro können sie so am Tag verdienen.
    Manche von ihnen kamen freiwillig, andere nicht: Im Dezember 2010 hatte die Stadtverwaltung 76 Roma-Familien aus der Stadt vertrieben und sie an der Müllhalde angesiedelt. Heute geht die aktuelle Vize-Bürgermeisterin Anna Horvath auf Distanz zur damaligen Entscheidung:
    "Ich war damals nicht im Gemeinderat, noch nicht mal in der Nähe des Gemeinderates. Die Entscheidung war eine absolut unmenschliche und nicht zu rechtfertigende Maßnahme."
    Und trotzdem droht die Stadtverwaltung jetzt erneut, Roma aus der Stadt zu vertreiben. Diesmal geht es um eine Siedlung mit knapp 70 Menschen in der Strada Stephenson.
    In einem zwölf Quadratmeter großen Zimmer wohnt dort Janos mit seiner Frau, acht Kindern und Enkelkindern.
    "Hier, wir nehmen die Matratzen, und legen sie hier und da auf den Boden."
    In ihrer Nachbarschaft werden gerade neue Bürogebäude gebaut, bald sollen hier internationale Firmen einziehen. Die Roma-Siedlung passt dann nicht mehr ins Bild. Die Bewohner werden aufgefordert, von hier zu verschwinden.
    "Wir haben geweint, aber was können wir machen?"
    "Letzes Jahr haben wir schon unser Gepäck vorbereitet, um auf der Straße zu leben."
    Siedlung existiert seit Jahrzehnten
    Bewohnt ist die Siedlung schon seit Jahrzehnten. Doch die Vize-Bürgermeisterin beharrt darauf, dass die Gebäude illegal seien.
    "Sie respektieren keine Gesetze. Wir müssen damit fertig werden."
    Aktivisten, die sich für die Roma aus der Stephenson-Straße einsetzen, fordern, diese Siedlung endlich zu legalisieren. Doch Horvath lehnt das strikt ab.
    "Wurden solche Siedlungen in Paris oder Rom legalisiert? Ich denke nicht. Sie dürfen nicht glauben, dass Rumänien ein anderer Teil Europas ist, als Ihr Land. Rumänien hat die gleichen Gesetze, die respektiert werden müssen, wie Deutschland. Diese Menschen sind Migranten für uns, aus sehr armen sozialen Schichten, mit denen es sehr sehr schwierig ist umzugehen."
    Die Vertreibung von 2010 hängt der Stadt noch immer nach wie ein dunkler Schatten. Auf Druck der EU läuft nun ein Programm, um zumindest die Roma von Pata Rat wieder in die Stadt zu integrieren. Manche von ihnen sollen eine Berufsausbildung erhalten und selbst am Bau und bei der Renovierung von Sozialwohnungen mitarbeiten. Schließlich bewirbt sich Cluj darum, im Jahr 2021 europäische Kulturhauptstadt zu werden.
    Horvath verweist in diesen Tagen daher gerne an ihre Kollegen von Pata-Cluj, einer Hilfsorganisation, die sich um die Roma in Pata Rat kümmert.
    Doch genau genommen sind das nicht ihre Kollegen. Pata-Cluj ist eine Nichtregierungsorganisation, finanziert mit Geldern aus Norwegen. Gabriella Tonk ist die Managerin. Sie kennt das Problem, dass die Stadtverwaltung die Verantwortung gerne auf die NGO abwälzt.
    "Sie versuchen es. Aber wir achten darauf, ihnen nicht die Verantwortung abzunehmen. Die Stadtverwaltung wird das Problem nicht loswerden, ohne es zu lösen."
    Auch Pepe arbeitet in diesem Projekt mit. Er ist einer von sechs Roma aus Pata Rat, die mit den anderen Sozialarbeitern in die Familien gehen.
    "Wir machen das in ganz kleinen Schritten: Du gehst heute hin und morgen und erklärst ihnen, wie ihre Rechte aussehen."
    Doch ihre Chancen, sich irgendwann erfolgreich um eine Sozialwohnung zu bewerben, sind gering. Pepe selbst glaubt nicht daran, eines Tages von hier wegzuziehen.
    "Es ist keine Hoffnung, es ist ein Traum. Träume sind weniger wahrscheinlich als Hoffnungen."