Valentin Nikolov steht vor seinem staubigen Opel und wartet darauf, dass die Donau-Fähre anlegt. Der bulgarische Narkosearzt fährt nach Dienstschluss ins benachbarte Rumänien, um dort weiter zu jobben. Eine Viertelstunde braucht die Fähre über die Donau:
"In beiden Ländern mangelt es seit vielen Jahren an Anästhesisten. Ich liebe meinen Beruf als Arzt. Und wenn ich Leben retten kann, warum sollte ich das nicht auch in Rumänien tun?"
Im rumänischen Kreiskrankenhaus Calarasi - auf der anderen Seite der Donau - teilt sich Nikolov mit anderen bulgarischen Ärzten die Bereitschaftsdienste auf der Intensivstation. Seit vier Jahren nun schon: Rumänisch spricht er inzwischen fließend. Narkoseärzte wie Nikolov verdienen in der Regel rund 500 Euro monatlich. Viele haben deshalb einen Zweitjob. Doch in Bulgarien sind Nikolov gesetzliche Grenzen gesetzt:
"Ich darf zuhause nur in einem staatlichen Krankenhaus arbeiten und das nicht länger als zwölf Stunden pro Schicht. Rumänien ist deshalb perfekt für mich. Dort wird auch länger gearbeitet: Bis zu 24 Stunden dauert der Bereitschaftsdienst auf rumänischer Seite und dann darf man gleich noch eine weitere Schicht dranhängen."
32 Stunden in Calarasi auf den Beinen zu sein, ist für Nikolov keine Seltenheit. Unter seinen Augen hat der 53-Jährige dunkle Schatten. Mediziner arbeiten in Rumänien wegen des akuten Ärztemangels oft für zwei. Narkoseärzte wie Nikolov sind besonders gefragt, denn ohne sie kann nicht operiert werden. Das Kreiskrankenhaus im rumänischen Calarasi hätte ohne die Nachbarschaftshilfe dicht machen müssen. Der Chef der Chirurgie, Paul Gasper, hat ein breites Lächeln auf dem Gesicht, als Nikolov im Krankenhausflur um die Ecke biegt:
"Das ist schon eine noble Geste der bulgarischen Ärzte, bei uns zu arbeiten. Sie könnten auch in andere Länder gehen, wo sie besser bezahlt werden. An den Tagen, wo sie nicht kommen können, ist es schlimm. Wenn wir dann einen schweren Notfall haben, müssen wir ihn mit dem Helikopter nach Bukarest schicken. Bei schweren Blutungen kann der Patient unterwegs sterben. In dieser Lage sind wir hier."
"An jedem Tag fehlt etwas anderes"
Jährlich verlassen rund 2.000 rumänische Mediziner ihre Heimat. In Deutschland stellen sie die größte Zahl der eingewanderten Ärzte dar. Sie gehen nicht nur wegen der miserablen Bezahlung. Viele stört auch die Korruption und die schlechte Ausstattung der rumänischen Kliniken. Sie sind chronisch unterfinanziert. Kein Land der EU investiert laut Statistik so wenig in sein Gesundheitssystem wie Rumänien. Chirurg Gasper spürt das täglich. Er muss an einem OP-Tisch aus den 1980er-Jahren operieren:
"Wir verwalten hier die Mangelwirtschaft. Es gibt Tage, da haben wir keine Antibiotika, an anderen fehlen uns Narkosemittel. Dann gibt es Tage, da haben wir keine OP-Nadeln. An jedem Tag fehlt etwas anderes."
Im Zimmer nebenan lenkt Nikolov gerade eine junge Patientin mit einem Zaubertrick von der anstehenden OP ab. Auf rumänischer Seite verdient der Arzt monatlich rund 300 Euro. In Bulgarien fällt sein Monatslohn mit 1.500 Euro fünfmal höher aus. Die Stadtverwaltung im bulgarischen Tutrakan zahlt ihm ein überdurchschnittliches Gehalt, damit er bleibt. Auch auf rumänischer Seite dürfen solche Prämien gezahlt werden. Der Manager des Krankenhauses in Calarasi, Dan Serban, hält sie für das richtige Mittel, um der Ärzteflucht entgegenzuwirken:
"Der Kreisrat sollte als Eigentümer des Krankenhauses neue Prioritäten bei seinen Investitionen setzen. Statt Geld für öffentliche Blumenbeete auszugeben, sollten sie Ärzte besser bezahlen. Die Bürger hier werden es zu schätzen wissen, wenn sich der Kreisrat für ihre Gesundheit stark macht."
Überzeugt hat Serban die Lokalpolitiker in Calarasi bisher noch nicht. Dabei kennen sie die verheerenden Zustände in den staatlichen Krankenhäusern. Auch die Regierungspolitiker wissen Bescheid, viele suchen ihre eigene Lösung: Sie lassen sich im Ausland operieren wie zuletzt Premier Victor Ponta in der Türkei.