Archiv

Rumänien
"Worschtkoschtprob" bei den Banater Schwaben

Viele Rumäniendeutsche gibt es im Banat zwar nicht mehr - aber, die, die noch da sind, pflegen ihre Tradition und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl. Einmal im Jahr bittet die deutschsprachige "Banater Zeitung" zur "Worschtkoschtprob". Das ist - auf Hochdeutsch - eine öffentliche Wurstverkostung.

Von Thomas Wagner |
    Banater Schwaben bei der "Worschtkoschtprob" (31.1.2015)
    Banater Schwaben bei der "Worschtkoschtprob". (Banater Zeitung / Zoltan Pazmany)
    An diesem Tag sprechen viele Deutsch, in jenem großen Versammlungsraum am Rande der Gemeinde Lipova im westrumänischen Arad - viele, aber eben nicht alle. Sie bereite Schmalzbrote vor, mit roten Zwiebeln drauf, sagt Maria, eine stämmige Frau Mitte 50. Und sie kennt auch den Anlass. Richtig, heute ist "Festivalu Carnatilor". Auf Deutsch heißt das: "Worschtkoschtprob - Das ist die traditionelle Wurstverkostung, das Fest der 'Banater Zeitung', das Regionalblatt der deutschen Minderheit in Westrumänien."
    Adi Ardelean trägt bantschwäbische Tracht, ist aus Arad angreist, der nächstgrößeren Stadt. Als Mitglied im Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien hat er sich, wie die übrigen rund 100 Gäste, schon lange auf diesen Nachmittag gefreut: "Ja schon, Weihnachten, das ist schon weit weg. Es beginnt jetzt gleich die Fastenzeit vor Ostern. Jetzt darf man noch ein bißchen essen und feiern. Dann ist es für eine Weile wieder aus."
    Jury beurteilt Geschmack der Würste
    Manche fühlen sich unbeobachtet, schnuppern mit der Nase. Was das für Gerüche sind im Raum! Salami, Leberwurst, Schinkenwurst, Wildschweinpastete. Würste, immer wieder Würste, angerichtet auf Tellern, stehen verlockend auf den festlich gedeckten Tischen. Noch greift niemand zu. Einige der Gäste werden in einen separaten Raum geleitet - die Wurst-Juroren. "Jeder darf Würste essen. Nur die Noten vergeben dürfen nur die Jurymitglieder. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass in der Jury jetzt Wurstexperten drin sind. Das sind halt Leute, die gerne Wurst essen und sich wahrscheinlich auch ein bisschen auskennen."
    Jetzt geht's gleich los. Raluca Nelepcu ist Redakteurin der "Banater Zeitung". Sie hält einen Block in der Hand, schaut nach, was gleich passieren wird: "Es gibt zwei Wettbewerbssektionen. Da sind zum einen die privaten Wursthersteller, also die die Wurst herstellen für den Verzehr im eigenen Haushalt, und zum anderen die für die Firmen, die Wurstwarenproduzenten. Da werden Noten von eins bis fünf vergeben. Wonach fünf die höchste Note ist und eins die niedrigste."
    Nur noch ein paar kurze Anweisungen an die Juroren, dann kann's losgehen: Mit kleinen Gäbelchen wird Wursträdchen um Wursträdchen vom Teller gepickt: "Die ist gut, ja die ist gut. Nicht perfekt, würde ich sagen. Die ist aber nicht aus normalem Schweinefleisch gemacht. Die hat etwas anderes. Kann sein, nach der Farbe her vielleicht auch Wildschwein. Aber sie ist nicht richtig gewürzt nach meinem Geschmack. Eine fünf kann ich dieser Wurst nicht geben. Eine vier, würde ich mal sagen. Ich hoffe noch auf bessere." Andreas Reinholz ist Pfarrer in der katholischen Wallfahrtskirche Maria Radna, nur einen Steinwurf vom Ort des Geschehens entfernt - und Mitglied der Jury. Der Mann gilt als guter Pfarrer - und exzellenter Wurstkenner: "Es sollte mehr Geschmack haben. Also was ich bisher gekostet habe, muss ich sagen. Es gab ein oder zwei, die besser sind, die den Namen Wurst verdienen, aber nicht Spitzenqualität."
    30 verschiedene Wurstsorten im Wettbewerb
    Helen Alba, Banater-Schwäbin mit Leib und Seele, ist aus Temeswar zur "Worschtkoschtprob" angereist - und darf ebenfalls als Jurymitglied Noten verteilen: "Eine habe ich, die mir besonders gut geschmeckt hat: Man spürt ein bisschen Knoblauch, man spürt ein bisschen Pfeffer, man spürt ein bisschen roten Paprika, nicht zu wenig und nicht zu viel Salz und nicht zu sehr geräuchert."
    Zu den Würsten werden Schmalzbrote mit Schnittlauch und roten Zwiebeln gereicht. Die Gäste gehen von Tisch zu Tisch - es gibt knapp 30 Wurstsorten zu probieren. Etwas abseits steht Werner Kremm, Redaktionschef der "Banater Zeitung". Er blickt zufrieden in die Runde - und erzählt die Geschichte über den Ursprung der "Worschtkoschtprob" im Westen Rumäniens, die untrennbar verbunden ist mit der Geschichte des Landes: "Aufgekommen ist die Worschtkoschtprob, als der kommunistische Staat das Prinzip der rationellen Ernährung der Bevölkerung lanciert hat, indem nicht zuletzt die Bezugsscheine eingeführt wurden für alle Grundnahrungsmittel, was eine Fleischkrise hervorgerufen hat."
    Fleisch und Würste waren seinerzeit in den Geschäften kaum mehr zu bekommen: Rumäniens Diktator Ceaușescu ließ alle Fleischprodukte aus dem Land ins Ausland exportieren, um Devisen zu verdienen. Doch er hatte die Rechnung ohne die Findigkeit der damaligen rumänischendeutschen Zeitungsredakteure gemacht. "Der Trick, den sich die damaligen Kollegen ausgedacht haben, bestand darin, in einer noch starken deutschen Bevölkerung trotzdem an Würste heranzukommen. Und zwar indem ein Wettbewerb der besten Wurstproduzenten ausgerufen wurde, die in die Redaktion eingeladen wurden. Und während der Wurstverkostung haben sich die Redakteure dann auch mal vollgegessen mit Wurst. Das funktionierte bis 1989."
    Verdauungsspaziergang zur Wallfahrtskirche
    Die Wallfahrtskirche Maria Radna im rumänischen Banat (31.1.2016)
    Die Wallfahrtskirche Maria Radna im rumänischen Banat. (Hermannstädter Zeitung / Werner Fink)
    Dann kam die Wende in Rumänien - und mit der Wende auch wieder Würste in den Kaufhausregalen. Und dennoch beschloss Werner Kremm, seit 1994 Redaktionschef der "Banater Zeitung": Die "Worschtkoschtprob" darf nicht sterben, "aber mit der Bedingung, dass wir es zu einer öffentlichen Veranstaltung machen. Und das ist es heute noch."
    Viele Würste und gut eine Stunde später wird es Zeit für einen Verdauungsspaziergang: Einige Gäste spazieren einen kleinen Hügel nach oben, auf dem die riesig anmutende, barocke Wallfahrtskirche Maria Radna emporragt. Ein Fremdenführer erzählt auf Rumänisch die Geschichte der zwar ursprünglich katholischen Kathedrale, die aber immer wieder auch von anderen Konfessionen genutzt wurde: 1325 errichteten die Franziskaner hier ein Kloster; 1520 wurde eine kleine Kapelle auf dem Hügel errichtet; 1767 schließlich kam es zur Weihe der Wallfahrtskirche. Vor allem in den vergangenen zwei Jahren wurde die Wallfahrtskirche umfangreich saniert. Jährlich kommen viele Tausend Pilger aus ganz Europa hierher - und dafür gibt es einen Grund: Der Überlieferung zufolge soll ein auf Papier gedrucktes Marienbild 1695, als die Vorgängerkirche von osmanischen Truppen niedergebrannt wurde, völlig unversehrt geblieben sein. Es befindet sich heute noch in der Wallfahrtskirche.
    Kommunisten schaffen Wallfahrt ab
    "Ich bin jetzt im 90sten Lebensjahr, da wollte ich die Gelegenheit nutzen, um nochmals nach Radna zum Wallfahrtsort zu kommen." Ignaz Fischer ist Banater Schwabe aus Temeswar - und sein Leben ist zum Teil verbunden mit der Geschichte der Wallfahrtskirche. Schon in seiner Jugend war er bei den Wallfahrten nach Maria Radna mit dabei. Allerdings: "Dann kamen die Kommunisten und haben das alles abgeschafft, man durfte nicht mehr."
    In den 1950er-Jahren war es Fischer selbst, der nach einer Lockerung der Regeln eine der ersten Wallfahrten von Temeswar nach Maria Radna anführte - über 60 Kilometer zu Fuß. An die Rückkehr erinnert sich der 90-Jährige heute noch so, als ob es gestern gewesen wäre: "Als wir nach Temeswar zurückgekommen sind, da war gerade Sonntag. Sie können sich nicht vorstellen: Tausende Leute haben am Rande Temeswars auf uns gewartet. Das war eine Demonstration unseres Glaubens."
    "Auch während der Zeit des Kommunismus: Natürlich haben die Behörden versucht, die Wallfahrten in gewissen Grenzen zu halten. Aber gelungen ist es ihnen nicht, die Wallfahrt zu unterbrechen. Mitten im Kommunismus sind bis zu 40.000 oder 50.000 Menschen pro Jahr nach Maria Radna gepilgert", erinnert sich Martin Roos, der als Bischof an der Spitze des katholischen BistumsTemeswar im Westen Rumäniens steht.
    Silberne Teller für die beste Wurst
    Zwischenzeitlich richtet sich die Aufmerksamkeit der Gäste wieder auf ein eher weltliches Sujet. Preisverleihung bei der "Worschtkoschtprob": Es gibt silberne Teller für die Besten. Astrid Weber darf einen mit nach hause nehmen. Sie vertritt einen winzig kleinen landwirtschaftlichen Familienbetrieb aus dem banatschwäbischen Dörfchen St. Anna, der aber mit seinen Würsten groß herauskommt: Erster Preis. Ihr Geheimrezept: "Liebe, einfach Liebe. Schweinefleisch aus der eigenen Schweinehaltung, aus der Schweinezucht. Und ein paar Gewürze dazu. Und es ist ohne Schadstoffe gehalten, also Bio, wie man heute so schön sagt. Und das schmeckt man auch in der Wurst, auch im Fleisch."
    Und so ist denn die Worschtkoschtprob 2016 im Westen Rumäniens auch schon wieder an ihrem Ende angelangt. Organisator Werner Kremm von der "Banater Zeitung" lächelt zufrieden. Er hält ein Glas Rotwein in der Hand - aber keine Wurst: "Wir schneiden die Würste auf am Vortag. Und ich schwöre: Wenn man 30 Würste aufschneidet und den Geruch einatmet, hat man am nächsten Tag keine Lust mehr auf auch nur eine Scheibe Wurst."