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Rund, drall und so süß

Die Kegelrobben galten in der deutschen Nordsee lange Zeit als ausgestorben, doch nun bevölkern sie wieder die Inselstrände. Auf Helgoland können Touristen frisch geborene Jungtiere beobachten.

Von Franz Lerchenmüller |
    "Nun bleiben Sie stehen, bleiben Sie doch endlich stehen. Wenn Sie immer hin- und herlaufen, beunruhigen Sie die Tiere. Oder setzen Sie sich in den Sand, wie die Fotografen da hinten, manchmal kommen die Robben dann von ganz allein auf Sie zu."

    So und so ähnlich weist Frank Gutzke unbotmäßige Besucher zurecht - auch wenn die ihn im pfeifenden Wind der Stärke Sieben oft kaum verstehen. Der wettergegerbte Wikinger, im richtigen Leben Rentner, hält nun schon seit über drei Wochen Wacht auf der Düne, der kleinen Sandinsel direkt vor Helgoland.

    Im Dezember und Januar werfen hier die Kegelrobben ihre Jungen und Frank Gutzke und seine Kollegen vom Vogelschutzverein Jordsand achten darauf, dass sie nicht allzu sehr gestört werden.

    "Wir sind den ganzen Tag hier draußen, ich nicht nur alleine, ich hab in diesem Fall noch drei Kollegen. Wir wechseln uns ab, achten eben darauf, dass keine Störungen bei den Robben erfolgen, die ja doch immer sehr beunruhigt werden, wenn jemand dicht rankommt - da achten wir ein bisschen drauf. So werden die Tiere an den Menschen gewöhnt und man kann also immer dichter rangehen. Früher war das so: 30 Meter, dann flüchteten die Tiere. Heute ist es tatsächlich so: Man kann an einigen Tieren ein paar Meter vorbeigehen. Aber man sollte schon möglichst immer diesen 30-Meter-Abstand einhalten, dann ist man immer auf der sicheren Seite."

    Dieter Siemens ist einer der beiden offiziell bestellten "Seehundjäger" der Insel.

    "Ein Seehundjäger sorgt also dafür, dass der Bestand gesund ist. Schaut nach, ob verletzte Tiere da sind, bei kranken Tieren versucht man zu helfen. Wenn es nicht mehr Hilfe gibt, dann nimmt man sie aus dem Bestand. Man tötet sie dann."

    Kegelrobben in Deutschland - das gab es jahrzehntelang nicht, sagt Dieter Siemens.

    "Die Kegelrobben sind normalerweise vor 100 Jahren ausgestorben in der Nordsee. Sie haben sich zurückgezogen gegen Norden, sind oben in Norwegen gewesen, oben in Schottland, Lofoten, Hebriden. Scheinbar gibt es wieder sehr viel Fisch in der Deutschen Bucht, dass sie immer weiter in die Nordsee gekommen sind."

    Zurück nach Helgoland kam die erste Robbe 1989.

    "Wir wussten erst gar nicht, was das war. Auf einmal lag da ein etwas größerer Seehund am Strand und dann haben wir gekuckt und gesagt, mein Gott, das kann kein Seehund sein. So kamen wir dann auf Kegelrobben, und die ersten die überhaupt wieder in der Nordsee waren, waren oben auf Sylt."

    1996 wurde das erste Junge auf Helgoland geboren. Seitdem wächst der Bestand kontinuierlich. Frank Gutzke zählt sorgfältig mit:

    "In diesem Jahr haben wir bereits 47 Geburten zu vermelden, im letzten Jahr waren es 31. Wir gehen davon aus, dass wir in diesem Jahr noch 50 Geburten erreichen werden oder darüber hinaus kommen."

    Wer ganz viel Glück hat, ist sogar persönlich bei einem solchen Ereignis dabei.

    "In den letzten vier Tagen haben wir drei Geburten live erlebt, was relativ selten ist. Normalerweise gebären die Robben nachts oder in den ganz frühen Morgenstunden. Die sind aber so vertraut hier, dass es in diesem Jahr so oft beobachtet werden konnte. Einige Tiere haben lange Zeit Wehen, bevor die Geburt vollzogen wird, bei anderen geht das ruckzuck. Wir haben also vor einigen Tagen eine Geburt erlebt, da flog das Flugzeug - auf der Düne befindet sich ja noch ein Flugplatz - da drüber weg, da geschah die Geburt innerhalb von Sekunden. Das war wahrscheinlich der Schreck. Da ist es also wesentlich schneller gegangen."

    Von Helgoland setzen die Besucher mit einer kleinen Fähre zur Düne über, dann stapfen sie los, querfeldein über die Sandstrände, die die 0,7 Quadratkilometer große Insel von drei Seiten einrahmen. Sand sägt und schabt und schmirgelt in weißen Schwaden über den platten Boden, und da liegen sie schon, vereinzelt in Kuhlen und halb zugeweht: 60, 70 Zentimeter lange, regungslose dicke Maden in schmutzigweißem Kuschelfell.

    Der Wind beißt, und manchmal befürchtet man, sie seien erfroren - bis einen aus dem Sand doch wieder zwei schwarze, scheinbar hellwache Kulleraugen anblicken und manchmal gar ein leises Heulen zu vernehmen ist.

    Die Mutter daneben, eine hellgraue, fast zwei Meter lange Speckrolle, hebt ab und zu aufmerksam den spitzen Kopf und aus der Gischt am Meeressaum behält der stolze Papa, eine schwarz glänzende Walze von fünf, sechs Zentnern Lebensgewicht, sein Revier und die Dame seines Herzens aufmerksam im Blick. Herumliegen, schlafen, zuzeln an Mutters Zitzen - junge Robben bersten nicht gerade vor Aktivität.

    "Da passiert überhaupt nix. Sie werden also nur dick und rund gefüttert. Die Babys werden geboren mit circa zehn Kilo und nehmen dann jeden Tag ein Kilo zu, so dass sie nach 30 Tagen ungefähr 40 Kilo wiegen, dann findet auch ein Fellwechsel statt, und sie müssen sich, da es hier kalt ist und auch die Nordsee ist kalt, eine gewisse Speckschicht ansaugen, die sie eben mit der Muttermilch kriegen, um die Temperaturen im Wasser und in der Luft zu überstehen."

    Knapp über einen Monat dauert das unbeschwerte Dasein, dann ist Schluss mit lustig und der Gratisabfüllung an Mutters Brust.

    "Nach sechs Wochen gehen sie dann ins Wasser. Den Fellwechsel haben sie hinter sich, den Haarwechsel. Das Fell ist dann ziemlich wasserdicht und das Tier ist selber geschützt durch den Speck und muss dann auch sofort für sich selber sorgen. Die Mutter lässt es dann alleine. Die Jungen gehen sofort auf Fischfang, hauptsächlich Sandaale, die es hier viele gibt, Heringe auch, und treiben sich dann bis zu Geschlechtsreife, was ungefähr so fünf Jahre dauert, dann wird das Weibchen geschlechtsreif, der Bulle etwas später, dann wird sie auch beschlagen und kommt dann also normalerweise wieder her."

    Dass es so ist, haben die Helgoländer herausgefunden, weil sie alle Jungtiere markieren.

    "Wir haben also eine Zange, damit bringen wir eine Flossenmarke an die Schwanzflosse an. Das macht man so schnell wie möglich, den je schwerer sie werden, umso kräftiger werden sie und in den ersten Wochen kann man das alleine machen. Aber, wenn sie dann so zwei, drei Wochen alt sind, dann ziehen sie einen schon durch den Sand. Wir warten bis das Muttertier im Wasser ist, dann gehen wir hin und markieren."

    Die Kinder, die mit Dieter Siemens unterwegs waren, haben heute einiges gelernt:

    "Dass wir nicht so nah rangehen dürfen, weil sie sonst beißen, weil sie Angst haben, und dass die Mutter diese Robben auch nicht aus den Augen lässt."

    "Die sind eigentlich ziemlich dick und rund, sind eigentlich ziemlich faul und liegen da und warten, gesäugt zu werden."

    "Die Flossen sind so ein bisschen dreieckig."

    "Dann gibt es auch Frischgeborene hier. Bei manchen hängt noch die Nabelschnur dran. Die Kleineren haben eher ein helles Fell, die Großen eher ein dunkleres Fell."

    "Seehunde haben so ein bisschen einen eierförmigen Kopf, die Kegelrobben haben so einen kegelförmigen Kopf."

    "Die Männlein haben eine dunklere Nase, die Weibchen haben halt eine hellere. Die Bullen können angreifen, und die Mütter passen halt auf ihre Kinder auf, und der Mann halt auf die Mütter, ist eben so eine Familie. Der Bulle hat ganz viele Weibchen. Wegen dem sind auch so viele Kinder auf der Düne."

    Die Wissenschaft aber kommt für die kleinen Besucher erst in zweiter Reihe, denn eigentlich sind Robben vor allem eins:

    "Sie sind einfach total süß, weil sie robben sich auch weiter, so wie Raupen am Boden, deshalb heißen sie wahrscheinlich auch Robben."

    "Die sehen so niedlich aus, die haben so eine kleine süße Stupsnase und ein weißes Fell, das finde ich eigentlich so süß an denen."