Nachrichten vom Schwarzen Meer. Wir erinnern uns! Ja, es ist schon eine Zeit her, da gehörte das Schwarze Meer geschichtlich ganz eng zu Europa, bespülte seine östlichen Küstenländer, bildete die natürliche, im wässrigen Horizont gelegene Grenze zu Asien, und trieb sein zwitterhaftes Wesen zwischen "Zivilisation" und "Barbarentum". Über einen langen Zeitraum hinweg schien es ruhig an diesen Gestaden, ein stillgelegter Blick vom europäischen Kernland her. Der Kalte Krieg machte diesen Raum zum toten Raum, während das Leben an den Ufern des Schwarzen Meeres weiterging und sich nur dann meldete, wenn Katastrophen, (wie etwa der Tschetschenienkrieg) sich zu Wellenbergen aufgetürmt hatten, deren Fluten nicht länger zu übersehen waren. Mit der Eingliederung Rumäniens und Bulgariens in die Europäische Union bildet das Schwarze Meer nun politisch korrekt wieder den östlichen Meeresflügel Europas, gleichsam seinen linken Arm, und öffnet seine ruhelosen, poetisch begabten Räume einer gemeinsamen Zukunft.
Katharina Raabe, Lektorin für osteuropäische Literaturen im Suhrkamp Verlag, und Monika Sznajderman, die den Verlag Czarne in Wolowiec/Südpolen leitet, haben für "Odessa Transfer" dreizehn Autoren ausgesucht, die aus den Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres stammen, diese bereist haben oder sich eng mit deren Geschichte verbunden fühlen. Sie schreiben über die Landschaften zwischen Krim und Kaukasus, über die Menschen und ihre Mentalitäten, von der türkischen Nordküste bis zum Donaudelta. Entstanden ist eine gelungene Anthologie aus literarischen Reportagen, Erzählungen, Essays, einem Gedichtzyklus sowie einer Fotostrecke rund um das Schwarze Meer, wobei der Titel, "Odessa Transfer" auf die vielschichtigen, imaginären wie realen Reisen anspielt.
In der Aufmachung erinnert dieses Buch an "Last & Lost. Ein Atlas des verschwindenden Europas", den Katharina Raabe und Monika Sznajderman vor zwei Jahren mit großem Erfolg herausgebracht haben. "Odessa Transfer" sollte auch ein Atlas werden, allerdings nicht des verschwindenden Europas, sondern des neu entstehenden, europäisch-asiatischen Raumes. Kein leichtes Unterfangen, wie Katharina Raabe feststellt:
"Wir haben die Autoren gebeten, sie sollen über einen Ort, eine Stadt, eine Landschaft am Schwarzen Meer schreiben, an der sich etwas Zukünftiges abzeichnet. Wir wollten explizit ein Zukunftsbuch haben, weil ich glaube, wir beide, Monika Sznajderman und ich glauben ja, dass das Schwarze Meer für die Zukunft eine große Rolle spielen wird. Das Merkwürdige ist, ich glaube gute Schriftsteller mögen nicht über die Zukunft schreiben. Die Autoren, die wir gebeten haben, denen haben wir fast eine paradoxe Aufgabe gestellt. Sie sollten über den poetischen Zauber von Landschaften schreiben und gleichzeitig sollten sie darin schon das sehen, was sich entwickeln wird. Das geht nicht. Alle haben zurückgeblickt. Das Einzige, was vielleicht hereinkam an Zukunftsbezug ist etwas Hochpolitisches. Das Buch ist sowieso viel härter, diskursiver, thematisch schärfer geworden als "Last & Lost". Als ob dieser Schwarzmeerraum für poetische Imagination noch nicht soviel Anlass gibt, weil so viel Bitteres noch wegzuschaffen, noch durchzuarbeiten ist."
Die Autoren dieses Buches sind Berichterstatter dessen, was sich an den Küsten des Schwarzen Meeres ereignet hat: die Vertreibung von Völkern, die Vernichtung kultureller Identitäten, die Auslöschung vieler Sprachen, Verbannung und politische Unterdrückung sowie wirtschaftliche Miseren. All das scheint sich im Meer dunkel zu bewahren, gleich einem kollektiven Gedächtnis, das diese Wasser nicht zuletzt auch mit der Sintflut in Verbindung bringt. So wird man vergeblich in "Odessa Transfer" nach einem Hohelied der Liebe oder einer dramatischen Liebesgeschichte Ausschau halten. Versteckte Liebeserklärungen an dieses unheimlichste aller Meere lassen sich indes aufspüren.
Die mehrfach preisgekrönte, türkisch-deutsche Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar erinnert in ihrem Essay an den Armenier Hirant Dink, dessen türkische Mörder vom Schwarzen Meer kamen. Sie verleiht dabei dem Meer selbst eine Stimme, lässt die Dichtung dieser Region in Klagelieder und Beschwörungen des Meeres übergehen.
Oy gidi karadeniz
Sularin ne karadir
Senin de benim gibi
Yüregin mi yaradir
Oy Schwarzes Meer
Wie schwarz dein Wasser ist
Ist dein Herz, ja dein
Auch voller Wunden wie mein
In mir gibt es so viele Tote: Pontos-Griechen, Armenier, Türken, Araber, Römer, Skythen, Makronen, Kolkhlaren, Kardukhen, Georgier, Abchasen. Schaut auf ihre Gesichter. Ihre Münder murmeln noch die Namen ihrer Dörfer. Hört, hört.
Asofoliza, Balaban, Ancibranos, Zenozena, Istavri, Muskarisufla, Magiiftiriyali, Holomakidanoz, Köseli.
Hört, hört, eine nennt die Namen des Obstes in pontos-griechischer Sprache. Milo – Apfel, ihr sagt dazu Elma. Stafil – Weintraube, ihr sagt dazu Üzüm. Hamucera – Erdbeere, ihr sagt Cilek dazu.
Korpakoris – ihr Verdammten.
Kursemenos – ihr Armen.
Sehlukas – ihr Blöden.
Bleibt hier, schaut in die Gesichter der Pontos-Toten, werdet Kinder der Toten, nicht Kinder des Mordens. O belas, o belas, o Unglück. Bleibt hier, ihr Korpakoris – ihr Verdammten.
Der in Athen lebende Schriftsteller und Übersetzer Takis Theodoropulos führt uns zu den fest verwurzelten Mythen der abendländischen Geistesgeschichte zurück, die nicht erst mit der Ilias und der Odyssee beginnt, sondern mit den Argonauten, den Astronauten der damaligen Zeit. Als kühne Abenteurer stachen sie in die unbekannte, unendlich scheinende See, deflorierten das herbe, ungastliche Meer in der Gegend des Bosporus, um aus der Kolchis, im heutigen Georgien gelegen, das Goldene Vließ zu rauben. Nach den Worten Mircae Cartarescus, des bedeutendsten zeitgenössischen Schriftstellers Rumäniens, könnte das Goldene Vließ auch das gleißend verführerische Schamhaar der Medea gewesen sein, die bereit war, für ihre Liebe über Leichen zu gehen. Tomis, das heutige Constanta in Rumänien war Schauplatz ihres Verbrechens, und ausgerechnet dorthin wurde Ovid, der Dichter der "Metamorphosen", für den Rest seines Lebens verbannt. Cartarescus Kontemplation über Ovid rechnet scharf ab mit diesem als feindlich empfundenen Schwarzen Meer. Auch für die in Deutschland geborene Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff sind diese Gewässer, zumal vor Bulgarien, wenig einladend. In ihrem Erfolgsroman "Apostoloff" hatte sie kaum ein gutes Haar an diesem Land gelassen, während sie nun in poetischer Dichte jene Bulgaren und bulgarischen Errungenschaften, die wert sind, die Zeiten zu überdauern, auf eine imaginäre Insel im Schwarzen Meer versetzt, die sie – mit Blick auf die Heimatküste – die "Insel der Glücklichen" nennt.
"Ich hab den Auftrag bekommen: Schwarzes Meer, über das Schwarze Meer zu schreiben. Und ich war für mein damaliges Buch mehrfach in Bulgarien und natürlich auch am Schwarzen Meer. Und es hat mich gegraust, die Vorstellung ich müsste da jetzt noch mal hinfahren. Ich gestehe es hat mich richtig gegraust – ich fand es so furchtbar dort – und dachte ich muss irgendwie einen Weg finden, dass ich nicht über diese Art der Realität schreiben muss und auch nicht noch mal hinmuss zur Recherche, sondern ich schaffe mir das selber. Es ist nicht so, wie ich es haben will und es wird auch sicher nie mehr so sein. Die kollektive Ausrückung, das ist einfach eine Idee gewesen, also sich vorzustellen, nicht es verschlägt sie mit einem Mal, aber dass sie kollektiv sich eher ein Herz fassen, natürlich unzufrieden damit, wo sie gerade sind, und sich zusammentun irgendwie und an einen Ort begeben, der nun idealiter anders ist, oder eben nicht anders ist, sondern das bewahrt, was sie wahrscheinlich an ihrem eigenen Land so geliebt haben und so ersehnen. Also das ist das Geliebte, was es ja nie ganz gibt in der Wirklichkeit. Sie können ja einen Ort noch so sehr lieben. Sie lieben ihn anders und mehr als er wirklich ist."
Die Autoren dieses Bandes schildern die südliche Hälfte des Schwarzen Meeres in ambivalenter Hassliebe. Der Norden hingegen, vor allem die Krimhalbinsel, gehört zu den ersehnten Glückslandschaften der russischen Riviera, wie auch die subtropischen Paradiesküsten Abchasiens. Selbst Leo Trotzki war ihrem einlullenden Charme erlegen und verschlief seinen historischen Auftritt gegen Stalin, wie Neal Ascherson, der wohl beste Kenner der Schwarzmeerregion erzählt. Der in Edinburgh geborene, vielfach ausgezeichnete Journalist, verfasste eine literarisch-historische Studie über das "Schwarze Meer", die 1996 auch auf deutsch erschienen ist. In "Odessa Transfer" bietet er mit seiner Analyse zum kaukasischen Fünftagekrieg Einblicke in die politischen Seiltänze und leisen Annäherungsversuche Abchasiens an die EU.
So vermittelt dieser Band ein differenziertes Bild vom Schwarzen Meer, das, so viel ist gewiss, auch künftig für Überraschungen sorgen wird.
Katharina Raabe, Monika Sznaderman: "Odessa Transfer. Nachrichten vom Schwarzen Meer", Suhrkamp Verlag, 258 Seiten, Euro 26,80
Katharina Raabe, Lektorin für osteuropäische Literaturen im Suhrkamp Verlag, und Monika Sznajderman, die den Verlag Czarne in Wolowiec/Südpolen leitet, haben für "Odessa Transfer" dreizehn Autoren ausgesucht, die aus den Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres stammen, diese bereist haben oder sich eng mit deren Geschichte verbunden fühlen. Sie schreiben über die Landschaften zwischen Krim und Kaukasus, über die Menschen und ihre Mentalitäten, von der türkischen Nordküste bis zum Donaudelta. Entstanden ist eine gelungene Anthologie aus literarischen Reportagen, Erzählungen, Essays, einem Gedichtzyklus sowie einer Fotostrecke rund um das Schwarze Meer, wobei der Titel, "Odessa Transfer" auf die vielschichtigen, imaginären wie realen Reisen anspielt.
In der Aufmachung erinnert dieses Buch an "Last & Lost. Ein Atlas des verschwindenden Europas", den Katharina Raabe und Monika Sznajderman vor zwei Jahren mit großem Erfolg herausgebracht haben. "Odessa Transfer" sollte auch ein Atlas werden, allerdings nicht des verschwindenden Europas, sondern des neu entstehenden, europäisch-asiatischen Raumes. Kein leichtes Unterfangen, wie Katharina Raabe feststellt:
"Wir haben die Autoren gebeten, sie sollen über einen Ort, eine Stadt, eine Landschaft am Schwarzen Meer schreiben, an der sich etwas Zukünftiges abzeichnet. Wir wollten explizit ein Zukunftsbuch haben, weil ich glaube, wir beide, Monika Sznajderman und ich glauben ja, dass das Schwarze Meer für die Zukunft eine große Rolle spielen wird. Das Merkwürdige ist, ich glaube gute Schriftsteller mögen nicht über die Zukunft schreiben. Die Autoren, die wir gebeten haben, denen haben wir fast eine paradoxe Aufgabe gestellt. Sie sollten über den poetischen Zauber von Landschaften schreiben und gleichzeitig sollten sie darin schon das sehen, was sich entwickeln wird. Das geht nicht. Alle haben zurückgeblickt. Das Einzige, was vielleicht hereinkam an Zukunftsbezug ist etwas Hochpolitisches. Das Buch ist sowieso viel härter, diskursiver, thematisch schärfer geworden als "Last & Lost". Als ob dieser Schwarzmeerraum für poetische Imagination noch nicht soviel Anlass gibt, weil so viel Bitteres noch wegzuschaffen, noch durchzuarbeiten ist."
Die Autoren dieses Buches sind Berichterstatter dessen, was sich an den Küsten des Schwarzen Meeres ereignet hat: die Vertreibung von Völkern, die Vernichtung kultureller Identitäten, die Auslöschung vieler Sprachen, Verbannung und politische Unterdrückung sowie wirtschaftliche Miseren. All das scheint sich im Meer dunkel zu bewahren, gleich einem kollektiven Gedächtnis, das diese Wasser nicht zuletzt auch mit der Sintflut in Verbindung bringt. So wird man vergeblich in "Odessa Transfer" nach einem Hohelied der Liebe oder einer dramatischen Liebesgeschichte Ausschau halten. Versteckte Liebeserklärungen an dieses unheimlichste aller Meere lassen sich indes aufspüren.
Die mehrfach preisgekrönte, türkisch-deutsche Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar erinnert in ihrem Essay an den Armenier Hirant Dink, dessen türkische Mörder vom Schwarzen Meer kamen. Sie verleiht dabei dem Meer selbst eine Stimme, lässt die Dichtung dieser Region in Klagelieder und Beschwörungen des Meeres übergehen.
Oy gidi karadeniz
Sularin ne karadir
Senin de benim gibi
Yüregin mi yaradir
Oy Schwarzes Meer
Wie schwarz dein Wasser ist
Ist dein Herz, ja dein
Auch voller Wunden wie mein
In mir gibt es so viele Tote: Pontos-Griechen, Armenier, Türken, Araber, Römer, Skythen, Makronen, Kolkhlaren, Kardukhen, Georgier, Abchasen. Schaut auf ihre Gesichter. Ihre Münder murmeln noch die Namen ihrer Dörfer. Hört, hört.
Asofoliza, Balaban, Ancibranos, Zenozena, Istavri, Muskarisufla, Magiiftiriyali, Holomakidanoz, Köseli.
Hört, hört, eine nennt die Namen des Obstes in pontos-griechischer Sprache. Milo – Apfel, ihr sagt dazu Elma. Stafil – Weintraube, ihr sagt dazu Üzüm. Hamucera – Erdbeere, ihr sagt Cilek dazu.
Korpakoris – ihr Verdammten.
Kursemenos – ihr Armen.
Sehlukas – ihr Blöden.
Bleibt hier, schaut in die Gesichter der Pontos-Toten, werdet Kinder der Toten, nicht Kinder des Mordens. O belas, o belas, o Unglück. Bleibt hier, ihr Korpakoris – ihr Verdammten.
Der in Athen lebende Schriftsteller und Übersetzer Takis Theodoropulos führt uns zu den fest verwurzelten Mythen der abendländischen Geistesgeschichte zurück, die nicht erst mit der Ilias und der Odyssee beginnt, sondern mit den Argonauten, den Astronauten der damaligen Zeit. Als kühne Abenteurer stachen sie in die unbekannte, unendlich scheinende See, deflorierten das herbe, ungastliche Meer in der Gegend des Bosporus, um aus der Kolchis, im heutigen Georgien gelegen, das Goldene Vließ zu rauben. Nach den Worten Mircae Cartarescus, des bedeutendsten zeitgenössischen Schriftstellers Rumäniens, könnte das Goldene Vließ auch das gleißend verführerische Schamhaar der Medea gewesen sein, die bereit war, für ihre Liebe über Leichen zu gehen. Tomis, das heutige Constanta in Rumänien war Schauplatz ihres Verbrechens, und ausgerechnet dorthin wurde Ovid, der Dichter der "Metamorphosen", für den Rest seines Lebens verbannt. Cartarescus Kontemplation über Ovid rechnet scharf ab mit diesem als feindlich empfundenen Schwarzen Meer. Auch für die in Deutschland geborene Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff sind diese Gewässer, zumal vor Bulgarien, wenig einladend. In ihrem Erfolgsroman "Apostoloff" hatte sie kaum ein gutes Haar an diesem Land gelassen, während sie nun in poetischer Dichte jene Bulgaren und bulgarischen Errungenschaften, die wert sind, die Zeiten zu überdauern, auf eine imaginäre Insel im Schwarzen Meer versetzt, die sie – mit Blick auf die Heimatküste – die "Insel der Glücklichen" nennt.
"Ich hab den Auftrag bekommen: Schwarzes Meer, über das Schwarze Meer zu schreiben. Und ich war für mein damaliges Buch mehrfach in Bulgarien und natürlich auch am Schwarzen Meer. Und es hat mich gegraust, die Vorstellung ich müsste da jetzt noch mal hinfahren. Ich gestehe es hat mich richtig gegraust – ich fand es so furchtbar dort – und dachte ich muss irgendwie einen Weg finden, dass ich nicht über diese Art der Realität schreiben muss und auch nicht noch mal hinmuss zur Recherche, sondern ich schaffe mir das selber. Es ist nicht so, wie ich es haben will und es wird auch sicher nie mehr so sein. Die kollektive Ausrückung, das ist einfach eine Idee gewesen, also sich vorzustellen, nicht es verschlägt sie mit einem Mal, aber dass sie kollektiv sich eher ein Herz fassen, natürlich unzufrieden damit, wo sie gerade sind, und sich zusammentun irgendwie und an einen Ort begeben, der nun idealiter anders ist, oder eben nicht anders ist, sondern das bewahrt, was sie wahrscheinlich an ihrem eigenen Land so geliebt haben und so ersehnen. Also das ist das Geliebte, was es ja nie ganz gibt in der Wirklichkeit. Sie können ja einen Ort noch so sehr lieben. Sie lieben ihn anders und mehr als er wirklich ist."
Die Autoren dieses Bandes schildern die südliche Hälfte des Schwarzen Meeres in ambivalenter Hassliebe. Der Norden hingegen, vor allem die Krimhalbinsel, gehört zu den ersehnten Glückslandschaften der russischen Riviera, wie auch die subtropischen Paradiesküsten Abchasiens. Selbst Leo Trotzki war ihrem einlullenden Charme erlegen und verschlief seinen historischen Auftritt gegen Stalin, wie Neal Ascherson, der wohl beste Kenner der Schwarzmeerregion erzählt. Der in Edinburgh geborene, vielfach ausgezeichnete Journalist, verfasste eine literarisch-historische Studie über das "Schwarze Meer", die 1996 auch auf deutsch erschienen ist. In "Odessa Transfer" bietet er mit seiner Analyse zum kaukasischen Fünftagekrieg Einblicke in die politischen Seiltänze und leisen Annäherungsversuche Abchasiens an die EU.
So vermittelt dieser Band ein differenziertes Bild vom Schwarzen Meer, das, so viel ist gewiss, auch künftig für Überraschungen sorgen wird.
Katharina Raabe, Monika Sznaderman: "Odessa Transfer. Nachrichten vom Schwarzen Meer", Suhrkamp Verlag, 258 Seiten, Euro 26,80