Archiv


Rundflug übers Ruhrgebiet

Luftbildarchäologie ist die Wissenschaft, bei der Forscher hoch aus der Luft betrachten, ob tief unter der Erde Dinge liegen, die die Natur dort nicht vorgesehen hat. Auch wenn jegliche Ruine von der Erdoberfläche verschwunden ist, können Luftbildarchäologen menschliche Siedlungen noch Jahrhunderte später ausmachen.

Von Andrea Groß | 10.11.2009
    "Five Four Delta Echo Echo Charlie Mike. Guten Tag."

    "Hallo Echo Echo Charlie Mike, Marl. Guten Tag."

    "Delta Echo Echo Charlie Mike Five Five. Erbitte Startinfo."

    "Die Piste Null Sieben Corinna Eins Null Zwo Sechs."

    Eigentlich ist der Arbeitsplatz von Baoquan Song ein Büro im Institut für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Bochum. Zur Zeit nutzt er aber jede günstige Wetterlage, um für eine Archäologie-Ausstellung im kommenden Frühjahr Schlösser und Burgen der ehemaligen Kohleregion aus luftiger Höhe zu fotografieren. Dafür hebt er in einer einmotorigen Chessna ab. Von dem Sportflughafen in Marl-Lohmühle im nördlichen Ruhrgebiet.

    Souverän richtet der Wissenschaftler die Flugzeugnase in den Himmel. Buntbelaubte Herbstwälder ziehen unten vorbei, ein Kohlekraftwerk, eine Abraumhalde. Autobahnkreuze und Ortschaften sind wie Spielzeuglandschaften. Baoquan Songs Ziel ist ein restauriertes Herrenhaus direkt am Rhein. Er ist allerdings etwas unzufrieden mit den Sichtverhältnissen.

    "Im Rahmen der Vorbereitung für eine Ausstellung nächstes Jahr sollten etwa 100 Burgenanlagen aus der Luft systematisch untersucht, dokumentiert werden. Ich habe die Aufgabe, das mit Luftbildern zu tun. Normalerweise fliegen wir immer, wenn es gute Lichtverhältnisse vorherrscht. Heute ist es leider ein bisschen feucht."

    Die hohe Luftfeuchtigkeit sorgt für eine diesige Sicht. Die hindert Baoquan Song allerdings nicht daran über seinem Ziel das Flugzeug in die Schräglage zu bringen, den Autopiloten einzustellen, das Seitenfenster hochzuklappen und sein Kameraobjektiv auf das Herrenhaus zu richten. Der Niederrhein ist ohnehin Songs liebstes Flugrevier. Gerade im ehemaligen Römerlager Xanten, ein paar Kilometer nördlich, gibt es immer wieder etwas neues zu entdecken:

    ""Man hat lange Zeit nach Spuren gesucht, wie die Römer ihr Wasser von vier oder fünf Kilometer entfernten Quellen zu ihrer Stadt gefunden haben. Und aus der Luft haben wir auf einmal entdeckt: die Wasserkanäle und vor allem auch ein Stück, wo eine Senke ist. Da haben die Römer sogar ein Aquedukt, das heißt eine Wasserbrücke gebaut."

    Die Fläche über den Resten der Wasserleitung wird heute landwirtschaftlich genutzt. Was der Luftbildarchäologie zu Gute kommt, da verborgene Anlagen nur unter offenen Flächen sichtbar sind. Dort wächst Gras höher oder Getreide nimmt eine andere Färbung an. Das hat chemische Ursachen, erklärt Baoquan Song. Auf diese Weise hat er außer der Wasserleitung in Xanten auch Militäranlagen aus dem Dreißigjährigen Krieg und eine Burganlage unter einer Burganlage entdeckt. Solche Funde versetzen den 48-jährigen jedes Mal in Hochstimmung.
    "Wenn man archäologische Spuren, die Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende alt sind, zum ersten Mal sieht und dass man das als erstes entdeckt: dieses Gefühl ist natürlich unbeschreiblich."

    Baoquan Song ist einer von sehr wenigen Luftbildarchäologen in Deutschland. Hoch aus der Luft können Wissenschaftler dabei Spuren menschlicher Siedlungen unter der Erde finden, auch wenn jegliche Ruine von der Erdoberfläche verschwunden ist. Eine besondere Ausbildung dafür gibt es gar nicht. Auch der Flugschein ist keine Voraussetzung, weil Luftbildarchäologen sich schließlich auch Flugzeuge mit Piloten mieten, und dann Anweisungen zu Flugziel und -höhe geben können. Der gebürtige Chinese hat sich entschlossen, selbst fliegen zu lernen, weil seine Heimat so groß ist, dass das Aufspüren archäologischer Anlagen dort im Flugzeug einfach viel schneller geht, als mit jedem anderen Verkehrsmittel.

    Die Fotos, die Baoquan Song zur Zeit im Ruhrgebiet macht, werden ab Februar in einer Ausstellung in Herne gezeigt. Im Zuge des Kulturhauptstadtjahres 2010 will das Herner Archäologiemuseum zeigen, dass schon im Mittelalter in der Region eine Menge los war, erklärt Museumsleiter Josef Mühlenbrock:

    "Wir wollten uns bewusst mal mit was anderem als Industriekultur beschäftigen, als Archäologen und haben dann einmal ins Mittelalter, nämlich ins 13. Jahrhundert geschaut. Es gab eine ganz spannende Mordgeschichte in dem Jahr und in dem Zusammenhang sind sehr, sehr viele Burgen hier entstanden. Wir wollten einfach mal wissen: wie viele gibt es davon noch, wie sehen die aus der Luft aus und welche kann man da noch zusätzlich aufspüren."

    Mit 400 Anlagen kann die ehemalige Bergbauregion die höchste Burgendichte in Europa nachweisen. In der Ausstellung werden allerdings nur 100 gut erhaltene oder gut restaurierte Festungen zu sehen sein. Auf den Fotos von Baoquan Song.