Auf sechs Spuren führt die mächtige Brücke über die Donau; ein monströses Bauwerk aus Beton, das zum Wahrzeichen von Bratislava geworden ist. Am südlichen Ufer erhebt sich der Brückenturm 85 Meter hoch in den Himmel, die Einheimischen haben ihn wegen seiner futuristischen Fensterstreifen kurzerhand Ufo getauft. Den besten Überblick gibt es von ganz oben.
"Bitteschön, hier geht es rein. Oben werden Sie erwartet!"
Am Empfang bedient eine junge Frau den Aufzug, der Besucher in wenigen Sekunden hoch über die Stadt befördert. Ivan Mrena heißt der junge Mann, der hier oben das Sagen hat; er leitet das Restaurant. Kreisförmig ist es oben auf den Brückenturm draufgesetzt, der Ausblick ist gewaltig.
"Da vorne ist unsere Burg mit den markanten vier Türmen, und da sehen Sie die Altstadt mit der St.-Martins-Kathedrale. Unter uns ist die Anlegestelle der Personenschiffe, ein wenig weiter donauaufwärts liegt der Lastenhafen. Und wenn wir weiter in die Ferne schauen: Die Berge dort vorne gehören schon zu Österreich, da auf der anderen Seite ist Ungarn zu sehen. Und dort hinter den Bergen liegt Tschechien."
Bratislava liegt in einem Vier-Länder-Eck, und besonders eng ist die Verbindung nach Wien: Nur 60 Kilometer trennen die beiden Hauptstädte. Von ihnen ist Bratislava die kleinere, eine Stadt mit 500.000 Einwohnern, die wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich ist; es herrscht quasi Vollbeschäftigung. Vom Aussichtsturm aus liegen beide Gesichter zum Greifen nah, die Bratislava prägen: das pittoreske und das monströse. Die Altstadt mit all ihren Kirchtürmen, Kopfsteinpflaster-Gassen und Plätzen, aber genauso die Plattenbau-Siedlungen, die von allen Seiten an die Altstadt herandrängen.
Eine Stadt mit vielen Namen
Vom Turm aus geht es in die Altstadt, die direkt am Fuß der Brücke beginnt. Sie wirkt immer noch eng und verwinkelt wie im 19. Jahrhundert. Am mondänsten ist Bratislava auf dem Hviezdoslav-Platz. In der ganzen Stadt gibt es wohl niemanden, der auf diesem baumgesäumten Boulevard so heimisch ist wie Peter Kurhajec.
Er ist Mitte 70, früher hat er die Slowakei als Fünfkämpfer bei internationalen Wettbewerben vertreten – und vor allem ist er ein Urgestein aus Bratislava.
"Da vorne, zwischen den Gebäuden, in denen heute die amerikanische und die deutsche Botschaft residieren, hatte mein Großvater seine Praxis. Er war Arzt und hat zweimal pro Woche kostenlos bedürftige Familien behandelt. Sie nannten ihn den Arzt der Armen; er war außergewöhnlich sozial eingestellt."
Solche Geschichten finden sich viele in der Familienchronik von Peter Kurhajec; einer seiner Vorfahren war für die Dauer ihrer Aufenthalte in Bratislava sogar der Hofarzt der österreichischen Kaiserfamilie. Denn in Bratislava wurden über Jahrhunderte hinweg die ungarischen Monarchen gekrönt, darunter Kaiserin Maria Theresia. Dadurch fiel etwas von dem kaiserlichen Glanz auf die Stadt, die damals allerdings noch einen anderen Namen trug.
"Bratislava heißt erst seit dem Zweiten Weltkrieg Bratislava, vorher hieß die Stadt Pressburg, Poszony, Presporok. Die Stadt hatte im Laufe der Zeit 19 verschiedene Namen. Es war eine wichtige Station zwischen Wien und Budapest – jeder Reisende hat auf seinem Weg hier Halt gemacht, um sich Bratislava anzuschauen."
Die Vielvölkermonarchie – hier war sie spürbar
Wer im Sommer durch Bratislava flaniert, taucht ein in eine Mischung aus Wiener Flair und mediterraner Leichtigkeit: Entlang des zentralen Platzes mit seinen Springbrunnen und schattenspendenden Bäumen haben die Cafés ihre Tische unter freiem Himmel aufgebaut, der Blick wandert von hier zum prachtvollen Nationaltheater auf der Stirnseite des lang gestreckten Platzes. Peter Kurhajec:
"Meine Mutter war Deutsche, mein Vater Slowake, seine Großeltern waren Polen und Slowaken, auf der anderen Seite stammten sie aus Bayern und Mähren. Das ist eben das tatsächliche Europa hier, auch früher schon. Wenn Sie rumfragen, hat jeder Vorfahren mit ganz gemischter Geschichte."
Die Vielvölkermonarchie – hier war sie spürbar. Hauptstadt ist Bratislava allerdings erst kurze Zeit, denn die Slowakei gab es nur während des Zweiten Weltkriegs für wenige Jahre und dann erst wieder 1993 nach der Trennung der Tschechoslowakei. Der jungen Hauptstadt einen urbanen Geist einzuhauchen, darum bemüht sich heute junge Leute wie Arthur.
Er empfängt im ersten Stock eines barocken Hauses mitten in der Altstadt. "Flat Gallery" steht auf seinem Klingelschild.
"Eigentlich ist das hier unsere Wohnung, die wir aber in eine Art Gesellschaftsraum umgewandelt haben. Früher war es ja normal in Städten, dass sich in öffentlichen Räumen kulturelle und gesellschaftliche Ereignisse abspielten. Wir wollen daran anknüpfen und haben hier eine Galerie eingerichtet, in der wir uns auf junge Künstler spezialisieren, meistens frische Absolventen der Kunsthochschulen."
Arthur ist um die 30 Jahre alt, und stolz zeigt er auf die Bilder an den Wänden: Ein slowakischer Künstler hat sie gemalt, der jetzt in London lebt, und zwei Monate lang kann jeder hier in Bratislava an der Türe klingeln und sich die Ausstellung anschauen – danach wird umdekoriert und der nächste Künstler kommt an die Reihe. Und wenn kein Gast da ist, dann sind die Ausstellungsräume das Wohnzimmer von Arthur.
"Die Leute haben lange nicht kapiert, dass das eine Wohnung ist. Sie dachten, es sei eine klassische Galerie und alles gehöre zur Ausstellung. Hier stand zum Beispiel eine Dame, die hatte mein Tagebuch in der Hand und blätterte darin herum. Und jemand anders hat alles fotografiert, sogar die Bücher im Regal, weil er dachte, das seien Exponate."
Inzwischen gehört die Flat Gallery zu den festen Adressen im Kulturleben von Bratislava, zu Vernissagen kommen jedes Mal weit mehr als 100 Gäste. Von hier aus sind es Luftlinie zwei Kilometer in einen anderen Teil von Bratislava, der sich kaum stärker von der mediterranen Leichtigkeit der Altstadt unterscheiden könnte: Das Viertel Petrzalka auf der anderen Seite der Donau bestehet aus Hunderten Plattenbau-Hochhäusern.
"Wenn man Petrzalka separat zählen würde, wäre es die drittgrößte Stadt der Slowakei. Wir haben 115.000 Einwohner und sind die größte Plattenbausiedlung in ganz Mitteleuropa."
Dem einstigen Klassenfeind in den Vorgarten geschaut
Milan Vetrak ist Abgeordneter im Stadtparlament von Bratislava und begeisterter Bewohner von Petrzalka. Jetzt steht er zwischen den Hochhäusern und zeigt auf eine Gedenktafel. Die Jahreszahl 1973 ist darauf eingraviert; damals wurde der Grundstein für die gewaltige Siedlung gelegt. Aus den oberen Stockwerken der Plattenbauten konnten die Bewohner nach Österreich schauen, quasi zum Klassenfeind in den Vorgarten – die Grenze verläuft direkt neben dem Stadtviertel.
"Ich war bei der politischen Wende 15, 16 Jahre alt. Aber wenn ich mit Älteren spreche, höre ich das immer wieder raus: Ein paar Meter von deinem Haus entfernt ist der Eiserne Vorhang, wo sie dich erschießen, wenn du zu nahe kommst. Viele haben ihren Fluchtversuch ja auch mit dem Leben bezahlt."
Die Zeit des Sozialismus hat die Stadt Bratislava tief in ihren Grundfesten erschüttert. Nicht nur die gewachsenen Beziehungen zu Wien brachen ab; auch das Stadtbild hat gelitten. Das historische Zentrum, die sozialistischen Plattenbauten und die modernen Hochhäuser aus der Gegenwart – das ist der Dreiklang, der das heutige Bratislava ausmacht. Am Donauufer, direkt im Schatten der modernen Brücke mit ihrem Ufo-Turm, startet Kapitän Rene Sowa die Motoren seines Schiffs. TwinCity-Liner heißt es, eine Express-Verbindung, die Bratislava fünfmal am Tag mit Wien verbindet. Passagiere strömen an Bord, und er setzt vom Steuerstand aus einen Funkspruch ab.
"Twincityliner aus Bratislava nach Wien"
Gleich werden die Matrosen die Leinen losmachen, in anderthalb Stunden ist das Schiff wieder in Wien. Sie funktioniert wieder, die Verbindung zwischen den beiden Städten, die über Jahrzehnte getrennt waren und sich trotzdem bis heute so ähnlich sind.