Als "schwuler Freund von ..." wurde der Brite Rupert Everett nach seinem Outing Anfang der 90er-Jahre oft besetzt, zum Beispiel neben Julia Roberts in "Die Hochzeit meines besten Freundes". Er glaubt, dass seine Karriere unter dem Outing gelitten hat. Zehn Jahre hat er dafür gekämpft, die letzten Lebensjahre von Oscar Wilde zu verfilmen - als Regisseur und Hauptdarsteller. "The Happy Prince", betitelt nach dem Märchenbuch von 1888, das Wilde für seine Söhne geschrieben hat, zeigt den irischen Schriftsteller in seinen letzten Lebensjahren - nach zweijährigem Zuchthausaufenthalt mit Zwangsarbeit, verurteilt wegen homosexueller Unzucht. Mit deutschem Geld und auch an deutschen Schauplätzen ist der Film entstanden.
Sigrid Fischer: Rupert Everett, die erste Regiearbeit, und dann auch noch die Hauptrolle spielen, ist das nicht ein bißchen viel auf einmal?
Rupert Everett: Ich war der beste Regisseur, den ich je hatte. Es ist mir gelungen, meine Performance im Schneideraum um vielleicht 60 Prozent zu verbessern. Wenn Schauspieler sich über ihren Film unterhalten, dann geht das immer so: "Ach, warum haben sie denn diesen Take reingenommen und nicht einen anderen?" Dieses Mal fühlt es sich richtig an. Ich denke jetzt, mit mir als Regisseur könnte ich eine ganz andere Karriere haben. Aber ich weiß es nicht, ich bin schon ziemlich alt jetzt, und ich finde, das ist ein Beruf für junge Leute.
"Ich hätte den Film vor 20 Jahren drehen sollen"
Fischer: Sie haben sich einen Traum erfüllt mit "The Happy Prince", und fast zehn Jahre dafür gekämpft. Warum ist das denn so schwer, mit den Namen "Oscar Wilde" und "Rupert Everett" einen Film finanziert zu bekommen?
Everett: Es ist so schwer geworden, Filme zu drehen, wirklich schwer. Und außerdem war es nicht die beste Zeit in meiner Karriere. Ich hätte diesen Film vor 20 Jahren drehen sollen, als ich erfolgreicher war, dann wäre es einfacher gewesen. Stattdessen hab ich es versucht, als mein Stern im Sinken war, und über die Jahre ist er noch mehr gesunken. Aber das Problem hat im Prinzip jeder.
Fischer: Ja, das hört man auch von vielen Ihrer Kollegen, dass Filme mit mittlerem Budget nicht mehr finanziert werden.
Everett: Dieser ganze Markt existiert nicht mehr in Amerika, der ist weg, wir sind so kommerziell geworden. Freitags kommt der Film raus, samstags wird schon abgerechnet, das ist die neue Welt im internationalen Kino, das ist hier sicher genauso. Früher konnte ein Film zwei, drei Wochen im Kino bleiben, konnte sein Publikum finden. Heute ist es so kommerziell. Dadurch werden Filme wie meiner aus dem Markt gedrängt, das ist jammerschade. Außerdem: je virtueller wir werden, desto ungeselliger sind wir auch. Die Leute kommen nur noch beim Fußball in Gruppen zusammen.
Fischer: Wenn man so lange ein Projekt verfolgt, Sie haben Oscar Wilde in der Zwischenzeit schon auf der Bühne gespielt, wird man nicht irgendwann besessen davon?
"Wenn ich scheitere, sterbe ich"
Everett: Ich denke schon, in dem Film steckt alles, was ich zu geben hatte. Weil es so lange gedauert hat, und ich derweil immer älter wurde, dachte ich: wenn ich scheitere, sterbe ich. Ich dachte irgendwann, mein ganzes Leben hängt am Erfolg dieses Projekts. Aber es gibt auch eine Parallele zwischen dem Leben eines schwulen Schauspielers in Hollywood und der Tragik eines Oscar Wilde, und zwar, dass man nie dazugehört. Als schwuler Schauspieler ist man immer der Außenseiter. In dem Punkt fühle ich mich der Geschichte des Films schon sehr verbunden.
Fischer: Sie zeigen und spielen Oscar Wilde in seiner schlimmsten Lebensphase, nach dem Gefängnisaufenthalt im Pariser Exil, als gebrochenen, verarmten und kranken Mann. Ist dieser Teil seiner Biografie genauso ein Grund für seine Berühmtheit wie der geistreiche Dandy und Autor?
Everett: Er war ein Genie, aber genauso ein Idiot. Mit tonnenweise menschlichen Impulsen wie Eitelkeit, Snobismus, Gier. Für mich hat er was von einer Christusfigur, er hat sich förmlich ins Feuer geworfen, er hätte ja jederzeit weglaufen können, das hat er aber nicht getan, er ist ins Gefängnis gegangen. Ich glaube, das hat er getan, weil er wusste, dass es ihn unsterblich machen würde. Anders gesagt: um wieder aufzuerstehen musste er sterben. Ich denke, ohne all das würde man sich weniger an ihn erinnern. Man erinnert sich an ihn, weil er so war, wie er war. Er war berühmt dafür, berühmt zu sein. Und er ist Teil der Debatten des 20. Jahrhunderts, die schwule Bewegung und Befreiung startete mit ihm. Darüber wurde vorher nie diskutiert.
Fischer: Was glauben Sie, hätte Oscar Wilde gesagt, wenn er gewusst hätte, dass er gut hundert Jahre später seinen Bosie oder seinen Robbie würde heiraten können?
Everett: Im viktorianischen England gab es ja einen richtigen Kult ums Heiraten. Ich glaube, ihm hätte das gefallen. In der Wohnung bei diesem Mann in Chelsea, wo er dann erwischt wurde, mit Prostituierten und Stallburschen, da haben sie immer Hochzeit gespielt. Zwischen einem Aristokraten und einem Stalljungen, ein anderer hat den Priester gespielt. Sie haben viel so getan, als ob. Ich hatte ursprünglich auch so eine Szene geplant, die hat es aber nicht in den Film geschafft.
"Die Millenials würden einen Herzinfarkt kriegen"
Fischer: Wie kann es eigentlich sein, dass heute, im 21. Jahrhundert, ein schwuler Schauspieler Karriereprobleme in Hollywood bekommt?
Everett: Das hat sich schon geändert, einige Schauspieler haben sich geoutet. Aber man muss da sehr vorsichtig sein. Wenn man sagt: "Ich bin schwul", dann tun alle so, als hätten sie sowas noch nie gehört. "Oh, Du bist schwul!" Es wird dann größer als der Schauspieler, der man ist. Da haben die Leute Angst vor. Bei mir war es genauso, es wurde größer als ich, ich bin darin untergegangen. Die Leute haben nur noch das gesehen, und nicht die Rollen, die ich gespielt habe.
Ich dachte neulich so - weil ich ja gerne weiter Filme drehen würde - ich weiß gar nicht, ob ich dem gewachsen bin, ob ich mit 58 den Zeitgeist noch verstehe? Ich verstehe gar nicht, wie wir die 60er und 70er haben konnten, und auch noch die 80er, und dann jetzt das? Ich kam 1976 das erste Mal nach Berlin, das war für mich die großartigste Zeit meines Lebens. Die Millenials von heute würden einen Herzinfarkt kriegen, wenn es noch so wäre. Aber für mich waren Berlin und auch New York in den 70ern - wow! Dahinter kann ich nicht mehr zurück, es hat mich zu sehr beeindruckt. Es fühlte sich nach Freiheit an. Aber die Welt ändert sich, es ist heute anders, und wann ist es schon für alle passend?
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