Polenz äußerte sich auch zu der Behauptung des russischen Premierministers Dmitri Medwedew, zwischen Russland und dem Westen herrsche wieder ein "Kalter Krieg". Der Begriff sei irreführend, sagte der CDU-Politiker, weil damit in der Vergangenheit eine Bipolarität zwischen der damaligen Sowjetunion und den USA gemeint gewesen sei. Heute sei die Welt aber multipolar, insofern könne von einer Rückkehr zum Kalten Krieg keine Rede sein. Zwischen den USA und Russland gebe es aber ein tiefes Zerwürfnis.
Laut Polenz befindet sich die EU angesichts der Flüchtlingsfrage und eines drohenden Brexits in keiner guten Verfassung. Der Westen müsse zu innerer Geschlossenheit und innerer Stärke zurückfinden. Die aktuelle Destabilisierung der EU sei deswegen nicht allein Putins Werk. Deutschland brauche ein gemeinsames Europa, betonte Polenz. Wenn die Union auseinanderfalle, so Polenz, dann werde die Lage nur noch verschlimmert.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Die Münchner Sicherheitskonferenz, diplomatisches Treiben im Plenum und auf den Fluren des Tagungshotels am Wochenende. Es ging um Flüchtlinge, um Syrien, um die Ukraine, es ging um das Verhältnis des Westens zu Russland. Verdorben sei es, hat Russlands Premier Dmitri Medwedew gesagt. Und mehr noch: Er sprach von einem neuen Kalten Krieg. Für seine, so wörtlich, Kriegsrhetorik wurde er sogleich kritisiert, unter anderem von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.
Am Telefon begrüße ich Ruprecht Polenz. Er war Außenpolitiker der CDU im Bundestag und ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Guten Morgen, Herr Polenz.
Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Medwedew spricht also von einem neuen Kalten Krieg. Hat er recht?
Polenz: Ich glaube, der Begriff Kalter Krieg führt in die Irre, weil diese Periode ja eine Bipolarität zwischen damals der Sowjetunion und den USA meint. Heute haben wir eine multipolare Welt, insofern gibt es eine Rückkehr zum Kalten Krieg nicht. Aber womit er Recht hat ist das tiefe Zerwürfnis zwischen Russland und den USA auf der einen Seite und natürlich die Stellvertreterkriege, die auf syrischem Territorium stattfinden. Aber das würde ich nicht als Kalten, sondern eher als einen Heißen Krieg bezeichnen.
Dobovisek: Aber was sagt uns diese Kriegsrhetorik, so wie Steinmeier sagt, tatsächlich über dieses tiefe Zerwürfnis?
Polenz: Diese Kriegsrhetorik sagt, wie ernst die Lage ist, und wenn man nach Syrien, in den Nahen Osten schaut, ist sie schon besorgniserregend.
Man darf ja nicht übersehen: Der Krieg findet unmittelbar an der Grenze eines NATO-Partners statt mit einer Eskalationsgefahr, die allein aus dieser Tatsache resultiert. Wenn es nicht gelingt, die Türkei aus diesem ganzen Syrien-Konflikt herauszuhalten, dann kann sich dieser Konflikt sehr schnell dramatisch ausweiten.
"Das Vertrauen in eine Friedenspolitik Russlands ist erschüttert"
Dobovisek: Der Westen setzt weiter auf Diplomatie, zeigt in der Ukraine-Krise aber auch Zähne, und zwar mit Sanktionen. Kann es dabei bleiben, oder bedingt ein Kalter Krieg, der an einen Heißen Krieg angrenzt, wie Sie sagen, auch wieder ein neues Wettrüsten auf beiden Seiten?
Polenz: Nein, das bedingt er nicht. Aber die NATO hat zurecht gesagt, wir müssen unsere Verteidigungsanstrengungen erhöhen. Wir können nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, nach den weiteren Angriffen aus Russland gegen die Ukraine nicht sicher sein, dass Russland beispielsweise das Territorium der NATO so respektiert, dass da nicht mit irgendwelchen Aktionen zu rechnen ist, und deshalb haben insbesondere auch die baltischen Staaten und Polen darauf gedrängt, die Anstrengungen der NATO hier sichtbar werden zu lassen, und das finde ich auch richtig. Denn nur eine klare Betonung der roten militärischen Linien, die etwa für das NATO-Territorium gelten, wenn das angegriffen würde, können den Frieden dann auch durch Abschreckung sichern, wenn das Vertrauen in eine Friedenspolitik Russlands erschüttert ist, und das ist es zurzeit.
"Russland wird an Assad festhalten"
Dobovisek: Wenn wir heute Morgen zum Beispiel die "Bild"-Zeitung lesen, dann steht da ein Interview drin mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg, und der will eine Drohung mit Atomwaffen seitens der Russen erkennen. Erkennen Sie die auch?
Polenz: Putin hat ja mehrfach solche Andeutungen gemacht und das gehört mit zu dieser doppelten Strategie, die Russland verfolgt. Auf der einen Seite wird gedroht, auf der anderen Seite wird Zusammenarbeit allerdings zu russischen Bedingungen angeboten, und das Ziel etwa in Syrien läuft darauf heraus, dass Russland die Rebellen, die gegen Assad kämpfen, vernichten will, damit nur noch die Alternative bleibt Assad oder der sogenannte Islamische Staat. Dann werde sich, so das russische Kalkül, die Welt, der Westen schon für Assad entscheiden, den Russland von Anfang an militärisch unterstützt und wieder stark gemacht hat ...
Dobovisek: Und auch weiter an Assad festhält.
Polenz: Russland wird an Assad festhalten. Das Problem ist, dass kurzfristig diese Strategie wahrscheinlich aufgehen wird, weil militärisch dem wenig entgegenzusetzen ist. Aber langfristig wird es zum Beispiel dazu führen, dass so natürlich der sogenannte Islamische Staat nicht besiegt werden kann, denn das kann nur gelingen, wenn sich auch sunnitische Araber gegen den Islamischen Staat wenden und nicht nur eine Allianz aus dem Iran, der Hisbollah und dem alevitischen Assad.
"Die Europäische Union ist in keiner guten Verfassung"
Dobovisek: Schwarz und Weiß, Gut und Böse lassen sich in solchen Konflikten immer sehr, sehr schwer ausmachen und festmachen. Der Westen versucht es mit Sanktionen gegen Russland, offensichtlich funktionieren die nicht so richtig, jedenfalls nicht so, wie sie sollen. Welche Hebel hat denn der Westen noch und hat Europa, hat Deutschland noch gegen Russland?
Polenz: Ich glaube, es kommt entscheidend darauf an, dass der Westen zu innerer Geschlossenheit und innerer Stärke zurückfindet, und das ist ja der zweite Punkt oder der dritte Punkt, der einem Sorgen machen muss. Die Europäische Union ist in keiner guten Verfassung. Sie haben gerade über den Gipfel gesprochen, der am kommenden Wochenende stattfindet und von dem sehr viel abhängt in der Flüchtlingsfrage, aber auch darüber hinaus für den Zusammenhalt Europas. Die Frage der Währungsunion ist auch noch nicht völlig in trockenen Tüchern und Großbritannien droht mit einem Austritt aus der Europäischen Union.
"Wenn wir auseinanderfallen, dann verschlimmern wir die Lage noch weiter"
Dobovisek: Ergo: Putin hat es geschafft, Europa zu destabilisieren.
Polenz: Das ist nicht allein Putins Werk; es ist auch die Uneinigkeit der Europäer selbst gewesen, die dazu beigetragen hat. Aber wenn Sie fragen, an was man jetzt arbeiten muss, dann ist es die Arbeit an Europa, von dem gerade für Deutschland sehr, sehr viel abhängt.
Wir brauchen ein gemeinsames Europa von unserer geostrategischen Lage in Europa her, aber auch von den Verwerfungen, die wir heute auf der Welt und insbesondere im Nahen Osten her sehen. Nur als Europäer gemeinsam können wir die Dinge einigermaßen beeinflussen. Wenn wir auseinanderfallen, dann verschlimmern wir die Lage noch weiter.
Wir brauchen ein gemeinsames Europa von unserer geostrategischen Lage in Europa her, aber auch von den Verwerfungen, die wir heute auf der Welt und insbesondere im Nahen Osten her sehen. Nur als Europäer gemeinsam können wir die Dinge einigermaßen beeinflussen. Wenn wir auseinanderfallen, dann verschlimmern wir die Lage noch weiter.
Dobovisek: Und nur gemeinsam mit Russland können wir eine Waffenruhe in Syrien erzielen. Sehen Sie denn da eine Chance für diese? Die soll ja bis Ende der Woche eingeführt werden.
Polenz: Ich glaube, dass dieser Waffenstillstand, der in München geschlossen worden ist, oder die Absicht dazu im Wesentlichen mit der Münchner Sicherheitskonferenz zusammenhing. Russland wollte da als konstruktiver Partner dastehen. Ich sehe leider wenig Hoffnung, dass es tatsächlich dazu kommt. Wir werden in diesen Tagen sehen, ob wenigstens die humanitäre Versorgung der eingekesselten syrischen Städte klappt. Das wäre ein Indikator dafür, ob man auf mehr hoffen kann oder nicht.
Dobovisek: Sozusagen nur Öffentlichkeitsarbeit, nur eine Schau der Russen?
Polenz: Ich glaube, dass das eine gewisse Rolle spielt. Wir haben ja vor einem Jahr in Sachen Ukraine und Münchner Sicherheitskonferenz Ähnliches gesehen. Wir haben das auch gesehen bei dem vereinbarten Waffenstillstand Minsk I, wo dann aber die Kämpfe noch weitergingen, und Ähnliches befürchte ich im Augenblick für Syrien auch.
Polenz: Der frühere CDU-Politiker Ruprecht Polenz ist Direktor der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Ich danke Ihnen für das Interview, Herr Polenz.
Polenz: Bitte schön, Herr Dobovisek.
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