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Russen und Ukrainer
Subtile Schwingungen im Zwischenmenschlichen

Russische Politiker und mit ihnen das russische Staatsfernsehen stellen die ukrainische Führung als Marionetten dar, gelenkt von der EU und noch mehr von den USA. Das Feindbild heißt Amerika. Trotzdem verändert sich auch das zwischenmenschliche Verhältnis zwischen Russen und Ukrainern.

Von Gesine Dornblüth |
    Irina Biloborodova ist Tänzerin. Die 28-Jährige wuchs in Kiew auf, doch seit Jahren reist sie von Festival zu Festival und von Projekt zu Projekt durch Europa. Sie hat lange in Deutschland gelebt. Nun war sie sechs Wochen in Moskau, wie schon im letzten Jahr. Irina interessiert sich nicht für Politik, sie sieht nicht fern, verfolgt den Krieg in der Ostukraine nur sporadisch. Aber sie hat ein feines Gespür für Befindlichkeiten.
    "Wenn die Leute hören, dass ich aus der Ukraine komme, reagieren sie anders als im letzten Jahr. Nicht negativ. Aber anders. Letztes Jahr haben alles gesagt: Du kommst aus Kiew, wow! Ich wollte schon immer dahin, die Stadt gefällt mir so sehr. Dieses Jahr hat das niemand gesagt. Bei einigen glaube ich, ein Schuldgefühl zu bemerken. Bei anderen Verwunderung darüber, dass ich, eine Ukrainerin, jetzt in Moskau bin."
    Putin betont enge Beziehungen zwischen Russen und Ukrainern
    Immer wieder hat Russlands Präsident Wladimir Putin in den vergangenen Monaten auf die engen Beziehungen zwischen Russen und Ukrainern hingewiesen. Viele Menschen in Russland sagen: Die Ukrainer seien ihnen so nahe wie kein anderes Volk. Die verwandtschaftlichen Beziehungen sind vielfältig. Doch das Lewada-Zentrum, ein unabhängiges Umfrageinstitut in Moskau, hat bereits im Frühjahr eine zunehmende Gleichgültigkeit der Russen gegenüber den Ukrainern ausgemacht. Es herrscht eine gewisse Sprachlosigkeit, berichtet auch Irina:
    "Die meisten Menschen, die ich in Moskau treffe, fragen: Wie ist es in Kiew? Ich sage meist: Ich versuche, nicht daran zu denken. Dann geht es mir besser. Dann sagen sie: Wir versuchen auch, nicht daran zu denken. Aber was kann man auch sagen. Eigentlich nichts."
    Öffentliche Solidaritätsbekundungen mit den Ukrainern gibt es kaum. Sie erfordern Mut. Vor einigen Tagen erklommen junge Leute die Spitze eines Moskauer Wohnhauses. Es handelte sich um eines der sieben Stalinhochhäuser. Sie strichen den goldfarbenen Sowjetstern auf der Spitze zur Hälfte blau und hissten eine Flagge der Ukraine. Das Foto ging um die Welt. Vier jungen Leuten drohen nun mehrjährige Haftstrafen. Sie sind wegen Rowdytums und Vandalismus angeklagt.
    Eimer und Farbe als Mittel des Protests sprechen sich herum. Gleichfalls letzte Woche strichen Unbekannte einen Strommast in Moskau blau gelb. Ob die frisch blau und gelb gestrichenen Blumenkübel gegenüber vom russischen Außenministerium allerdings auch ein politisches Zeichen sind, bleibt dem Betrachter überlassen.
    Oppositionelle wollen Friedensmarsch organisieren
    Russische Oppositionsparteien wollen im September einen großen Friedensmarsch in Moskau organisieren. Der letzte fand im März statt, einen Tag vor der Annexion der Krim. Die Initiatoren wurden anschließend im Internet als Verräter beschimpft und bedroht. Einer von ihnen war der in der ehemaligen Sowjetunion populäre Rockmusiker Andrej Makarewitsch. Anfang August hat er sich noch einmal eingesetzt und in der Ostukraine ein Konzert gegeben, in Swjatogorsk, einer Stadt, die das ukrainische Militär zuvor von Separatisten befreit hatte. Prompt geriet Makarewitsch erneut in die Kritik, das russische Staatsfernsehen startete eine Kampagne, Abgeordnete der Staatsduma fordern, Makarewitsch solle seine Staatsprämien abgeben, weil er Russland verraten habe.
    Die ukrainische Tänzerin Irina Biloborodova hat in Moskau an einer Veranstaltung mit dem Titel "Dance for Peace" teilgenommen, organisiert von russischen Tanztherapeuten. Die Veranstaltung fand unbemerkt von der Öffentlichkeit statt, es ging um den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten. Es war intensiv, sagt Irina, aber eins habe sie gewundert:
    "Sie haben am Anfang erklärt: Wir tanzen zu ukrainischer, israelischer und arabischer Musik. Und zu russischer. Und dann haben sie ganz schnell hinzugefügt: Obwohl Russland mit dem Krieg nichts zu tun hat. Das war absurd. Wenn mir Russen so etwas sagen, will ich sie aufwecken und fragen: Wie ist das möglich, Russlands Beteiligung ist doch offensichtlich! Wo schaut ihr hin?"
    Irina sagt, es gäbe noch keine Entfremdung zwischen den Menschen. Sie habe auch keinerlei Feindschaft wahrgenommen. Aber irgendetwas passiere, unterschwellig, auf beiden Seiten.
    "Mein Vater hat bei der Fußballweltmeisterschaft das Spiel Russland gegen Algerien angeschaut. Er hat sich selbst beobachtet und gesagt: Komisch, früher war ich immer für Russland. Jetzt nicht mehr."