"Unter Wladimir Putin wird die Orthodoxie wieder zu einer Staatsreligion gemacht", sagte Boris Reitschuster im Deutschlandfunk. Dass Kirche und Staat in Russland laut Verfassung offiziell getrennt seien, hält der Autor des Buchs "Putins Demokratur" für irrelevant: "Die russische Verfassung zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die wesentlichen Artikel, die darin stehen, nicht eingehalten werden." Als Beispiele nannte er die Versammlungs- und die Wahlfreiheit, die auch nur den Buchstaben nach bestünden.
Putin geht es nach Reitschusters Ansicht nicht um den Glauben, den die Kirche vertritt. Inhaltlich habe er damit wenig am Hut, wichtig sei dagegen die Symbolik, etwa wenn Putin in Kirchen auftrete oder sich mit dem Patriarchen Kyrill zeige. Die unterbewusst vermittelte Grundstimmung sei: Putin hat Gottes Segen. Welche Positionen die Kirche sonst vertrete, sei für viele Russen nicht so wichtig - eine Folge der kommunistischen Erziehung über Jahrzehnte hinweg. Die Menschen glaubten an Gott, sagte Reitschuster, aber nicht unbedingt an die Kirche.
Reitschuster: Tsipras' Glaube passt gut zu Kyrills
Reitschuster sprach von einer alten Tradition, dass die russisch-orthodoxe Kirche immer eine Art Unterstützungsverein für die Mächtigen gewesen sei - auch zu Sowjetzeiten: "Sie ist ein bisschen das, was früher die Propagandaabteilung unter den Kommunisten war."
Der frühere Focus-Korrespondent Reitschuster sagte im Deutschlandfunk, über den Patriarchen Kyrill gebe es hartnäckig das Gerücht, er sei früher beim Geheimdienst KGB gewesen, insofern sei ihm die Treue zum Staat wichtiger als die zum "obersten Dienstherrn im Himmel". Insofern, deutete Reitschuster an, passe der fehlende Glaube beim griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, der heute Kyrill in Moskau trifft, "ganz gut dazu".
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