Seit 10 Jahren ist auch der Künstler Paul Pfarr - Jahrgang 1938 - auf jenen Gebieten unterwegs, und jetzt kann man im Willy-Brandt-Haus in der Berliner Stresemannstraße ein Resümee seiner Sammelarbeit besichtigen. Paul Pfarr rechnet einer Schule zu, für die sich der Kritiker Günter Metken das Label "Spurensicherung" ausdachte. Sie wollen finden statt erfinden; statt das Material in der Gestaltung aufzulösen, exponieren sie es als solches. So steht man im Willy-Brandt-Haus vor einem Tisch, der dicht besetzt ist mit emaillierten Henkelbechern, vor allem weiß, wenige grün, angeschlagen, teilweise mit kyrillischen Buchstaben geziert, und man gedenkt der Soldaten, die daraus ihren Tee tranken und ihre Gebrauchsspuren hinterließen, eine verschwundene Armee, bloß von ihren primitiven Trinkgefäßen repräsentiert. Das macht ein starkes Gefühl.
Paul Pfarrs Arbeit hängt mit Ethnologie und Archäologie ebenso eng zusammen wie mit der Kunstgeschichte. Peter Jahn vom Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst - wo die Kapitulationsurkunde unterschrieben wurde - wies bei der Eröffnung am Mittwoch darauf hin, dass man die Ausstellungsstücke leicht seinem -historischen - Museum zuordnen könne; während Barbara Straka die Linien bis zu Marcel Duchamps Ready Mades und zu Baudelaires Figur des Lumpensammlers durchzeichnete. Das charakterisiert den großen Reiz dieser Objekte: Sie stellen historische Zeugnisse dar - das abgeschlagene Email demonstriert, wie wenig Wert die Rote Armee hier auf intaktes Equipment legte - und zugleich offerieren sich diese Objekte, weil sie in die Kunstwelt transferiert wurden, einem Staunen, das sich an ihnen nicht sattsehen kann und in keiner Deutung ankommt.
Diese breiten Gürtel aus Segeltuch beispielsweise, mit Verschlüssen aus Lederband - aber sind das überhaupt Gürtel? Und dies hier, sind das Taschenlampen? Aber was sollen die kreisrunden Metallplatten oben, die dem unverständlichen Gerät etwas Puppenhaftes verleihen? Das schaut ja aus wie von Joseph Beuys! flüsterte beim Rundgang eine Dame ihrer Freundin zu. In der Tat geht Paul Pfarr immer wieder über die einfache Exposition seiner Fundstücke hinaus; er arrangiert sie zu Assemblagen und Installationen, in denen dann der Materialwert mit der übergreifenden Komposition in Widerstreit liegt: Was wollen die Leuchtstoffröhren auf den beiden harten, mit Kunstleder bezogenen Pritschen, deren Kopfteil, immerhin, der Bequemlichkeit wegen angekippt werden kann?
Keinesfalls zu vergessen: es geht um Krieg. Die Rote Armee brachte Opfer in Hekatomben, um Nazideutschland zu besiegen. Und sie war auf einen neuen Krieg vorbereitet, der dann, glücklicherweise, 40 Jahre lang in der Latenz verharrte. Paul Pfarrs Fundstücke, wiewohl keine Waffen darunter sind, beziehen das starke Gefühl, das sie im Betrachter erzeugen, auch aus der tödlichen Gefahr, der wir entronnen sind, seit der Kalte Krieg beendet ist und es nicht mehr vom Gleichgewicht des atomaren Schreckens abhängt, dass Frieden herrscht.
Dieser Krieg liegt hinter uns, denkt der Betrachter erleichtert, und die Zeitverhältnisse verwirren sich. Das Inventar der Roten Armee, wie Paul Pfarr es einsammelt, diese primitiven Holzpflöcke, diese einfachen Sitzschemel, diese handgemalten Verbotsschilder, sie dokumentieren eine bäuerlich-handwerkliche Lebensweise, zu der wir nach dem Dritten Weltkrieg womöglich alle hätten zurückkehren müssen (träumt der Betrachter). Keineswegs tritt hier eine Supermacht in Erscheinung, der, aufgrund ihrer sozialistischen Produktionsverhältnisse, die Zukunft der Menschheit gehörte. Der siegesgewisse Sozialismus als höchste Stufe der Unterentwicklung - ein abgeschlossenes Sammelgebiet.