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Russisch-ukrainischer Gasstreit
"Das Vertrauen gegenüber Russland leidet"

Wird die Einigung im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine halten? Die Büroleiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew, Gabriele Baumann, ist skeptisch. Sie sagte im DLF, das ukrainische Vertrauen gegenüber Russland leide - vor allem durch den Konflikt in der Ostukraine.

Gabriele Baumann im Gespräch mit Marina Schweizer | 31.10.2014
    Ein Druckventil an einer Gasleitung der ukrainische Speicherstation Bilche-Volytsko-Uherske steht auf null.
    Druckventil an einer Gasleitung: Ob die Einigung im Gasstreit hält, sei derzeit nicht abzusehen, meint Gabriele Baumann von der Konrad Adenauer Stiftung. (AFP / Alexander Zobin)
    Zwar gibt es seit Anfang September offiziell eine Übereinkunft, dass im Osten der Ukraine die Waffen ruhen sollen. Allerdings steht das nur auf dem Papier, das damals in Minsk zwischen den beiden Verhandlungspartnern vereinbart wurde. Nach wie vor gebe es in der Ostukraine Kämpfe mit Toten, weswegen der Eindruck entstehe, dass sich die russische Aggression zurzeit noch einmal verdichte, sagte Gabriele Baumann im Deutschlandfunk. Deshalb stelle sich insgesamt die Frage, inwiefern Russland vertraut werden könne.
    Auch die Wahlen am kommenden Sonntag in den Separatistengebieten in der Ostukraine verstoßen nach Baumanns Einschätzung gegen den Minsker Vertrag - dennoch hat Russland angekündigt, das Ergebnis der Abstimmung anzuerkennen. Alles in allem sei es nicht möglich abzusehen, wie es in den nächsten Tagen weitergehen könnte, so Baumann.
    Um eine Deeskalation des Konflikts in der Ostukraine zu erreichen, müsse die Wahl entsprechend ukrainischer Gesetze ablaufen. Das sei nach derzeitigem Stand aber nicht der Fall.

    Das Interview in voller Länge:
    Marina Schweizer: Es war eine Einigung in letzter Minute - nicht nur, weil der Winter naht und die Ukraine deshalb dringend wieder Gas zum Heizen braucht, auch, weil der Schlichter in Person des EU-Energiekommissars nur noch bis morgen im Amt ist. Und am späten Abend gestern war dann klar: Es ist geglückt. Russland und die Ukraine legen ihren Gasstreit zumindest vorerst bei. Sie haben sich nach wochenlangen Verhandlungen geeinigt.
    Die Ukraine muss ihre Gasschulden begleichen und bekommt in diesem Winter Gas aus Russland nur per Vorkasse, aber immerhin. Und bei allen anderen Sorgen, die die Ukrainer momentan haben, dort können sie jetzt Sorgen um ein kaltes Wohnzimmer bei Seite legen.
    Eine Reaktion kam auch vom russischen Energiekonzern Gazprom schnell, und es ist wenig überraschend, dass man die Einigung dort begrüßt. Schließlich fließt jetzt das Geld. Interessant wird es, wenn man in der Erklärung weiterliest. Damit - so heißt es von Gazprom - werde mit etwas Glück ein neues, konstruktiveres Kapitel in den Gasbeziehungen zwischen der EU, Russland und der Ukraine aufgeschlagen. Der Optimismus dort beschränkt sich also auf wirtschaftliche Annäherung. Aber welche politischen Zeichen sendet die Einigung aus für das Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland? Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Gabriele Baumann. Sie ist die Büroleiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew. Guten Tag.
    Gabriele Baumann: Guten Tag.
    "Noch kein Schlussstrich unter dem Thema Gasverhandlungen"
    Schweizer: In den Zeitungen stand heute natürlicherweise noch nichts. Was denken Sie? Herrscht in Kiew Erleichterung?
    Baumann: Sie sagten es ja bereits im Vorfeld: Die Reaktion in der Ukraine fiel relativ knapp und nüchtern aus. So ist es auch in der Tat hier angekommen. Es gab natürlich in den Medien Informationen zu den Gasverhandlungen, zu dem positiven Abschluss der Gasverhandlungen. Das ist auch ein ganz wichtiges positives Signal, so wird es auch hier verstanden. Aber man ist sich auch der Tatsache bewusst, dass die Diskussionen, die Verhandlungen über das Thema hier noch nicht zu Ende sind. Es laufen ja immer noch Schiedsgerichtsverfahren vor dem Schiedsgericht in Stockholm und die werden erst voraussichtlich Ende nächsten Jahres entschieden werden können. So gibt es noch keinen Schlussstrich unter das Thema Gasverhandlungen und Gaspreise.
    Schweizer: Frau Baumann, gründet dieses Misstrauen möglicherweise auch darauf, dass man da Russland nicht richtig traut, oder liegt es schlicht an diesem Schiedsverfahren?
    Baumann: Nein. Diese Gasverhandlungen wurden jetzt durchaus als Vertragsverhandlungen gesehen, weniger als politische Verhandlungen, sondern als reine Vertragsverhandlungen, wo es ja auch um Preise ging und um die Einhaltung von einmal geschlossenen Verträgen. Deswegen ja auch das Schiedsgerichtsverfahren seinerzeit, weil von russischer Seite höhere Preise genannt wurden, als ursprünglich mit dem damaligen Präsidenten Janukowitsch noch vereinbart. Die Frage des Vertrauens muss natürlich verständlicherweise aus ganz anderen Gründen immer wieder gestellt werden, und wir erleben es täglich, wir erleben es auch gerade wieder in der letzten Nacht, dass Städte wie Mariupol am Asowschen Meer unter Beschuss standen, aber auch wieder die Stadt Donezk. Das heißt, die Kämpfe gehen weiter, es sind wieder Menschen gestorben und man hat den Eindruck, dass sich die russische Aggression nochmals verdichtet in der letzten Zeit, jetzt vor den bevorstehenden Wahlen am 2. November. Die Frage des Vertrauens stellt sich insgesamt und hat natürlich auch Auswirkungen auf die Frage, ob die Verträge wirklich eingehalten werden.
    "Es ist schlicht ein Geschäft"
    Schweizer: Über das Vertrauen und das gesamte Verhältnis zu Russland möchte ich gleich mit Ihnen noch sprechen. Vorerst aber noch mal auf die Preise geschaut. Die haben Sie ja gerade auch angesprochen. Kann sich die Ukraine das Gas denn jetzt leisten, nach jetzigem Stand?
    Baumann: Dieser Preis von derzeit 378 US-Dollar für 1.000 Kubik soll ja dann auch noch mal reduziert werden ab Anfang nächsten Jahres auf 365 US-Dollar. Das ist das, was Ministerpräsident Jazenjuk gefordert hatte und wofür es offensichtlich auch Mittel gibt, die bereitgestellt wurden, zum Teil auch - und das ist ja auch immer wieder in den Verhandlungen erwähnt worden - vonseiten der Europäischen Union und der Weltbank.
    Schweizer: Dann schauen wir jetzt noch mal kurz auf das Vertrauen. Heute Morgen im Deutschlandfunk gab es unterschiedliche Aussagen dazu, ob das jetzt möglicherweise auf eine Deeskalation hinsteuert, oder schlicht ein Geschäft ist. Was denken Sie?
    Baumann: Ich denke, es ist schlicht ein Geschäft. Es ging in der Tat um Vertragsverhandlungen. Deswegen wurde das hier auch nicht in den politischen Kontext eingespeist, dieses Thema. Wir haben ja zurzeit hier Koalitionsverhandlungen laufen und, wie ich es schon erwähnt habe, das Waffenstillstandsabkommen von Minsk wird seit Wochen gebrochen von russischer Seite. Und es wurde auch wieder in der letzten Nacht gebrochen, es sind wieder Menschen gestorben. Und das Vertrauen leidet, das Vertrauen der ukrainischen Seite gegenüber Russland leidet, vor allen Dingen dadurch, dass man bisher nicht absehen kann, wie es in den nächsten Tagen weitergehen wird, vor allen Dingen auch rund um diesen sogenannten Wahltag am nächsten Sonntag.
    "Wahlen widersprechen den Grundlagen des Minsker Vertrages"
    Schweizer: Auf den möchte ich jetzt auch noch ganz gerne kurz mit Ihnen blicken. Die Wahlen sind geplant in den Separatistenhochburgen am Sonntag. Das sieht die Ukraine bekanntlich kritisch und Russland hat schon angekündigt, die Ergebnisse anzuerkennen. Ist das jetzt das nächste Pulverfass für das Verhältnis?
    Schweizer: Die Ukraine wird diese Wahlen schlicht nicht anerkennen, nicht anerkennen können. Zum Einen widersprechen sie auch den Grundlagen dieses Minsker Vertrages. Zum Anderen sind es auch nicht die Wahlen, die man ursprünglich angedacht hatte für die Regionen, wo es um mehr Dezentralisierung und um kommunale Selbstverwaltung gehen sollte, sondern gewählt wird ja nach dem Verständnis der Separatisten ein Parlament und soll ein Präsident für diese Gebilde gewählt werden, und das ist etwas ganz anderes als das, was ursprünglich vereinbart worden war.
    Schweizer: Dennoch: Russlands EU-Botschafter Tschischow findet, die Wahlen jetzt am Wochenende sollten als Schritt zur Deeskalation verstanden werden. Wie könnte das denn überhaupt noch möglich sein?
    Baumann: Ich denke, das wird nicht möglich sein, weil um eine Deeskalation in diesem Punkt zu erreichen, müssen die Wahlen nach der ukrainischen Gesetzgebung stattfinden, und da gibt es auch natürlich Vorgaben und da gibt es auch ein Gesetz, was kürzlich hier von der Werchowna Rada verabschiedet wurde zum Sonderstatus der Region, die jetzt von Separatisten kontrolliert wird. Und da steht auch, welche Gesetze, welche Schritte jetzt erfolgen müssen, um Wahlen durchzuführen, und um welche Teilgebiete es geht, sprich speziell Kommunalwahlen, um auch Leiter von Behörden, von Kommunen, Bürgermeister und so weiter zu identifizieren, mit denen man dann in Zukunft Gespräche führen kann.
    Schweizer: Sagt Gabriele Baumann. Sie ist Büroleiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew. Besten Dank für Ihre Einschätzungen.
    Baumann: Ja, vielen Dank Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.