
Rachmaninow-Verächter, deren es ja nicht wenige gibt, können sich auf Richard Strauss berufen. Vor allem in Deutschland besteht, so scheint es, eine schwer überwindliche Blockade auf Seiten des Publikums. Dieses innerliche Zurückweichen vor der Gefahr der Selbstansteckung mit Kitsch ist völlig unverständlich für Anna Vinnitskaya, die als Absolventin des Rachmaninow-Konservatoriums in Rostow am Don nach Deutschland kam.

„Als ich nach Deutschland kam, habe ich auch seine 2. Klaviersonate gespielt, manche Préludes, und ich habe mich gefühlt, als ob man mich nicht verstanden hat, nach dem Spiel. Ich dachte: Das ist doch so eine emotionale Musik und so verständlich, diese Phrase ist zum Weinen schön – und das Publikum wirkt ein bisschen reserviert, ja, kalt!“
„Viele spielen seine Werke so ein bisschen kitschig“
Mit den Jahren habe Anna Vinnitskaya verstanden, dass Rachmaninow als Komponist vor allem in Deutschland unterschätzt werde. „Ich glaube, eine wichtige Rolle spielt die Tatsache, dass seine Musik in Hollywood benutzt oder ausgenutzt wurde. Viele spielen seine Werke so ein bisschen kitschig, banal, oder machen zu viele Rubati. Und das finde ich sehr schade, denn eigentlich haben wir doch die Aufnahmen von Rachmaninow selbst. Und die sind alles andere als kitschig. Er hat ein einzigartiges Rubato, das sich eher nach Wiener Klassik anhört als ‚überromantisch‘.“
Rachmaninow und Deutschland – es war und ist keine Romanze. Aber er war gern in diesem Land, spielte auch gern auf deutschen Flügeln, es musste nicht immer Steinway sein. Auf seinem Landgut Iwanowka stand ein Fabrikat von Rönisch, einer damals berühmten Dresdner Marke. Wo immer er auftrat, garstige Kritiken gab es kaum, soweit sie seine Klavierabende betrafen, in Dresden genauso wie in Berlin und Hamburg, in Frankfurt wie in Köln.
Nach dem 1. Weltkrieg war Rachmaninow in Deutschland out
Gemischt fiel das Urteil über die Klavierkonzerte aus: Vor dem Ersten Weltkrieg noch fast durchweg positiv, klingt der Tenor danach, gemessen am Rachmaninow-Taumel in Amerika, eher verhalten. Die Wieder-Erfindung des Virtuosenkonzerts im 20. Jahrhundert war über ihren Erfinder hinweg gegangen. Das 2. und 3. Klavierkonzert, seine Paradestücke, trafen Ende der zwanziger Jahre zumindest in Deutschland den Geschmack nicht mehr. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich daran nichts: Rachmaninow war „out“ in Ost und West, aus allerdings unterschiedlichen Gründen.
