Verschiedene Medien und Rechercheure haben zusammengearbeitet. Beteiligt waren die Nachrichtenseite "Fontanka" aus Sankt Petersburg, die britische Organisation "Bellingcat", deren russischer Partner "The Insider" sowie das tschechische Magazin "Respekt".
Deren Ergebnis: Der dritte Verdächtige im Fall Skripal heiße Denis Sergejew. Schon seit 2010 habe er unter dem Decknamen Sergej Fedotow gearbeitet, also lange vor der Vergiftung Sergej Skripals und dessen Tochter vor fast einem Jahr. Salisbury sei nicht sein erster Einsatz gewesen, erklärt der Leiter von "The Insider", Roman Dobrochotow, in einem Gespräch mit dem unabhängigen russischen Kanal "Doschd":
"Ebenso haben wir aufgedeckt, dass er in Bulgarien an genau den Tagen war, als dort ein Waffenhändler mit einem Nervengift vergiftet wurde, der unter anderem Waffen in die Ukraine und nach Syrien geliefert hatte. Sowohl er als auch sein Sohn und Top-Manager seines Unternehmens wurden vergiftet."
Verdächtiger immer im Zentrum des Geschehens
Sie alle überlebten. Chemische Analysen ergaben später, dass ein starkes Pestizid sowie ein weiterer, nicht zu entschlüsselnder Stoff in ihre Körper gelangt war. Nach den Veröffentlichungen haben Behörden in Bulgarien ihre Ermittlungen wieder aufgenommen. Die Rechercheure schlussfolgern, Denis Sergejew arbeite für den russischen Geheimdienst GRU in einer höheren Funktion, weil er Ausbildung und Erfahrung besitze. Er koordiniere wohl andere Agenten.
"Er hat an einer Vielzahl von Operationen teilgenommen. Es ist recht verdächtig, dass er während des Brexits in Großbritannien war, in Barcelona während des Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien. Er befindet sich also die ganze Zeit im Zentrum des Geschehens."
In einem online zugänglichen Bericht schildert das Recherchenetzwerk Bellingcat, wie der Geheimdienstler identifiziert worden sei. Die entscheidenden Informationen fanden die Rechercheure auch diesmal in Datenbanken, die unter anderem Passdaten, Flugpassagierdaten oder Wohnadressen enthielten. Manche Datensätze waren oder sind öffentlich, andere sind den Rechercheuren von Whistleblowern zugespielt worden.
Sie setzten die Fundstücke monatelang zusammen – und stellten fest, wie viel schwieriger diese Arbeit inzwischen geworden war. Denn die russischen Behörden haben offenbar Konsequenzen aus der Enttarnung der beiden übrigen GRU-Offiziere im vergangenen Herbst gezogen und viele Datenbanken mit verdächtigen Einträgen gesäubert. So habe es lange Zeit in Anspruch genommen, an ein Foto des Gesuchten zu gelangen.
Sergejew jahrzehntlang in russischen Militär- und Sicherheitsstrukturen tätig
Der dritte Verdächtige im Fall Skripal, Denis Sergejew, ist schon Jahrzehnte in russischen Militär- und Sicherheitsstrukturen tätig. Ein Dokumentarfilm zeigt ihn als Kommandeur einer Armeeeinheit im Krieg im Kaukasus 1999. Er sei bei einem Einsatz in Dagestan verwundet worden. Er erhielt einen staatlichen Orden. Später kam er zum Geheimdienst, erklärt Roman Dobrochotow von "The Insider":
"Die GRU-Agenten haben traditionell dieses Schema zu ihrer Tarnung: Formal sind sie Leiter und Miteigentümer einer Firma, weil sie so einfacher Visa für ihre Reisen ins Ausland erhalten können."
Das russische Außenministerium hat die Vorwürfe abgestritten. Es fehlten die Beweise, hieß es. Das stimmt zwar, aber die kann es in diesen Fällen kaum geben, da zum Beispiel keine Videos der Vergiftungen selbst existieren. Aber wie in früheren Fällen haben die Rechercheure rund um "Bellingcat" und "The Insider" auch diesmal sehr detailliert ihre Hinweise und Indizien notiert. Es bestehen daher wenig Zweifel an ihrer Darstellung.
"The Insider" kündigte an, bald weitere Rechercheergebnisse zu veröffentlichen, dann über Verbindungen zwischen dem russischen Geheimdienst GRU, dem nun enttarnten Agenten Sergejew und einer privaten, russischen Söldner-Armee. Deren Mitglieder sind als sogenannte Wagner-Kämpfer bekannt. Sie sind offenbar mit Billigung der russischen Führung in Syrien, Libyen, Venezuela, der Zentralafrikanischen Republik und andernorts im Einsatz.