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Russische Provinz
Von der Gefahr, Unliebsames zu posten

Es war nur ein unvorsichtiger Post im Netz. In Twer, zwei Stunden nördlich von Moskau, steht Andrej Bubejev vor Gericht, weil er den kritischen Artikel eines anderen Autors über die Krim gepostet hat. Dafür droht ihm nun eine mehrjährige Haftstrafe. Unsere Korrespondentin Gesine Dornblüth hat Bubejevs Frau getroffen, die fassungslos daneben steht.

Von Gesine Dornblüth |
    Sie sehen eine Frau in einem blauen Mantel.
    Andrej Bubejevs Frau Anastasija auf dem Weg zum Gericht. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    Anastasija Bubejeva rührt Zitrone und Zucker in den Tee und reicht ihrem Sohn den Becher. Der vierjährige Jartschik spielt auf dem Küchenboden mit einem Auto. Mutter und Kind wohnen in einem Plattenhochhaus im Zentrum von Twer. Die Einzimmerwohnung ist spärlich eingerichtet. In der Küche stehen ein Tisch, zwei kleine Bänke, der Kühlschrank.
    "Mein Leben hat sich grundlegend verändert. Andrej war und ist alles für mich. Wir waren immer zusammen. Die erste Zeit nach seiner Verhaftung konnte ich weder richtig essen noch schlafen."
    Andrej ist Anastasijas Mann. Der 40jährige sitzt in Twer im Gefängnis. Im August wurde er zu zehn Monaten Haft verurteilt, weil er im Internet regierungskritische Artikel und Karikaturen geteilt hatte, auf seiner privaten Seite in dem russischen Netzwerk "vkontakte". Nach Ansicht des Gerichts habe er damit Hass geschürt. Zurzeit läuft noch ein zweites Verfahren gegen Andrej. Dieses Mal wird ihm Aufruf zum Separatismus vorgeworfen. Wieder geht es um einen fremden Artikel. Der Autor fordert darin, die Krim der Ukraine zurückzugeben, und ruft dazu auf, für den Zerfall Russlands zu kämpfen. Dafür, dass Andrej diesen Artikel gepostet hat, drohen ihm noch einmal bis zu fünf Jahre Haft. Seine Frau lächelt.
    "Das ist doch völlig daneben"
    "Die Anklage ist absurd. Andrej hatte zwölf Abonnenten bei vkontakte, die Staatsanwaltschaft tut aber so, als habe er von einer Bühne aus zu den Massen gesprochen. Die ganze Welt erkennt die Annexion der Krim nicht an. Aber in Russland gibt es ein Gesetz, das den bestraft, der die Krim ukrainisch nennt. Das ist doch auch völlig daneben."
    Sie zieht ihrem Sohn Schuhe und Jacke an. Am Nachmittag ist eine Verhandlung, es ist eine der wenigen Gelegenheiten für Anastasija, ihren Mann zu sehen. Vorher muss sie Jartschik bei der Oma vorbeibringen. Der Kleine ist sehbehindert. Am Tag, als sein Vater verhaftet wurde, fiel er hin. Eine Gehirnerschütterung, der Sehnerv wurde beschädigt. Er braucht ständige Betreuung.
    "Einmal hatten wir fast einen Kindergartenplatz. Als die Direktorin meinen Namen hörte, hat sie gefragt: Ist das Ihr Mann, über den im Fernsehen berichtet wurde? Als ich bejahte, sagte sie: Ihr Kind wird nicht in diesen Kindergarten gehen."
    Anastasija selbst hat Schwierigkeiten, in Twer Arbeit zu finden. Eine Ausbildung als Krankenschwester hat die 23jährige abgebrochen, um für den Sohn da zu sein. Nun jobbt sie stundenweise, verteilt Werbezettel.
    "Durch den Prozess habe ich drei Leute in Twer kennengelernt, die Andrej unterstützen und Putins Politik nicht. Das ist ein guter Schnitt."
    "Nichts passiert doch ohne Grund"
    Twer hat rund 400.000 Einwohner. Anastasijas Mutter ist Ärztin. Sie arbeitet in einer Poliklinik in Twer. Auf dem Flur vor ihrem Behandlungszimmer warten Patienten. Sie hat eigentlich gar keine Zeit, küsst ihren Enkel, rückt ihm einen Hocker zurecht, legt Zettel und Malstift darauf. Zu dem Prozess gegen ihren Schwiegersohn äußert sie sich nur widerwillig.
    "Ich habe da meine eigene Meinung. Natürlich will ich, dass mein Schwiegersohn so schnell wie möglich freikommt. Damit die Familie wieder zusammen ist. Aber irgendetwas wird schon dran sein an den Vorwürfen. Nichts passiert doch ohne Grund."
    Im Gericht warten vier Zuschauer: Zwei Aktivisten aus Moskau, ein Lokaljournalist und der örtliche Menschenrechtler, Artjom Waschenkow. Er beschreibt die Stimmung in Twer so:
    "Die meisten Leute haben Mitleid mit Andrej. Aber seine Meinung über die Krim teilen sie nicht. Der Tenor ist: Er hat Unrecht, aber ihn dafür einzusperren, ist zu viel."
    Keine Tonaufnahmen im Gericht
    Die Verhandlung findet in einem großen Saal statt. Andrej Bubejew ist schon da, er sitzt aufrecht auf der Bank hinter Glas, bewacht von zwei Polizisten. Anastasija lächelt ihrem Mann zu, zu winken, traut sie sich nicht. Der Richter, ein junger Mann mit roten Wangen, verbietet Tonaufnahmen; dabei sind die in Russland per Gesetz erlaubt. Andrejs Verteidigerin Swetlana Sidorkina schüttelt den Kopf.
    "In dem Prozess gibt es mehrere grobe Verfahrensfehler. Allein deshalb muss Andrej Bubejew freigesprochen werden."
    Sidorkina ist aus Moskau angereist, wird von einer unabhängigen Anwaltsvereinigung bezahlt. Im Gericht werden an diesem Tag zwei Zeuginnen der Anklage verhört. Als der Geheimdienst Screenshots der verdächtigen Internetseite anfertigte, wollen die beiden Frauen als Zeuginnen dabei gewesen sein. Einige der Ausdrucke, die sie unterschrieben haben, datieren vom Mai 2015. Die Frauen sagen aber aus, sie seien im Februar 2015 als Zeuginnen beim FSB gewesen, drei Monate vorher. Ein Widerspruch.
    Zu Hause sitzen. Still sein.
    Nach zwei Stunden wird der Prozess vertagt. Anastasia streift sich ihre Jacke über, sie ist in Eile, muss ihr Kind abholen. Sie glaubt nicht, dass ihr Mann bald frei kommt. Vielmehr solle an ihm ein Exempel statuiert werden. Die Abschreckung wirke bereits.
    "Kürzlich gab es ein Solidaritätskonzert für politische Gefangene. Im Internet haben die Leute gefragt: Ich habe darüber etwas geschrieben, werde ich jetzt auch verhaftet? Die Leute beginnen, Angst zu haben. Und das ist das Ziel der Politik: Mit solchen Schauprozessen wie dem gegen Andrej den Massen zu signalisieren, dass es besser ist, still zu Hause zu sitzen und sich mit dem zufrieden zu geben, was man hat."