Die meiste Kohle, die russische Unternehmen nach Deutschland liefern, hat einen sehr weiten Weg hinter sich. Sie stammt aus dem sibirischen Kusnezker Becken und wird mit Zügen mehr als 4.000 Kilometer weit bis zu Ostseehäfen gefahren, zum Beispiel in der Nähe von Sankt Petersburg oder im Baltikum. Von dort gelangt sie per Schiff etwa zum Hamburger Hafen.
Russlands Energieministerium geht in diesem Jahr von einer landesweiten Förderung in Höhe von mehr als 420 Millionen Tonnen aus – das wäre dann mehr, als es die Sowjetunion je vermochte. Schon jetzt ist Russland das sechstwichtigste Kohle-Förderland. Etwa die Hälfte der geförderten Kohle wird im eigenen Land verbraucht, die andere Hälfte geht in den Export. Davon wiederum ist eine Hälfte für asiatische Länder bestimmt, die andere Hälfte für Europa. Dort ist die Bundesrepublik größter Abnehmer. Die jüngsten zur Verfügung stehenden Zahlen über die Abbauorte sind drei Jahre alt: Die Statistik verzeichnete 85 Zechen und 121 Tagebaue.
"Unternehmen verschmutzen Wasser und Luft"
Im Kusnezker Becken wird mehr als die Hälfte der russischen Kohleproduktion erzielt, inzwischen in weitläufigen Tagebauen, in denen qualitativ hochwertige Steinkohle lagert. Wladimir Putin hat in diesem Jahr bei einem Besuch in der Region davon gesprochen, dass rund 90.000 Menschen direkt in der Industrie beschäftigt seien. Die Städte der Region, darunter Kemerowo und Nowokusnetzk, sind weitgehend Monostädte, die der Kohleabbau dominiert.
Ein Kumpel verdient verschiedenen Angaben zufolge wohl rund 50.000 Rubel monatlich, knapp 700 Euro. Diese Arbeiter dürfen wegen ihrer schwierigen Berufsbedingungen oft schon mit 50 Jahren in Rente gehen, Frauen mit 45. Dabei bleibt es, auch wenn im nächsten Jahr andere Berufsgruppen von der Rentenreform erfasst werden. Neben den niedrigen Löhnen stützen schwache Umweltstandards den Export, sagt Wladimir Sliwjak, Co-Vorsitzender der Organisation "Ecodefense":
"Kohle aus Russland ist sehr günstig, weil die Unternehmen nicht kontrolliert werden. Manchmal müssen sie Strafen zahlen, aber keine großen und ziemlich selten. Das heißt, die Unternehmen zahlen praktisch nichts für die Umweltverschmutzung, sie nutzen ganz einfach die Infrastruktur in der Region, unter anderem Straßen in den Wohnorten. Darunter leiden die Leute. Die Unternehmen unterschreiten den Mindestabstand zu Siedlungen, und natürlich verschmutzen sie dort Wasser und die Luft."
Starke Verbreitung von Lungen- und Hauterkrankungen
Der gesetzliche Mindestabstand zwischen Wohnhäusern und Tagebau beträgt einen Kilometer. "Ecodefense" gibt an, in der Region seien die Bagger in 54 Fällen bereits näher herangerückt, in manchen Fällen bis auf nur noch 100 Meter Abstand. 90 Prozent der Trinkwasserquellen seien verschmutzt. Der Staat achte nicht darauf, ob die Normen eingehalten würden. Größtes Problem sei der Staub: Der entstehe beim Abbau selbst, werde aber auch von den Abraumhalden herangeweht, die in großem Umfang aufgeschüttet worden seien.
Zahlen über Erkrankungen von Anwohnern zeigen: Lungen- und Hauterkrankungen kommen überdurchschnittlich oft vor. Umweltschützer registrieren mehr Proteste. Wie in Russland üblich handelt es sich aber nicht um große Demonstrationen, sondern, wenn überhaupt, wird Unmut begrenzt angezeigt. Viele Menschen sind zudem mit ihrem Einkommen vom Kohleabbau abhängig, weil es in der Region nur wenige Alternativen gibt. Schwere Unglücke gibt es in jedem Jahr, die meisten aber in Zechen, weniger in Tagebauen.
Die russische Regierung will den Kohleexport weiter steigern. "Wie Sie wissen, werden der Ausbau der Bahntrassen im Osten, die Beseitigung von Flaschenhälsen entlang der Baikal-Amur-Magistrale und Transsibirischen Eisenbahn als wichtigste Ziele der nächsten Jahre beim Ausbau der Infrastruktur Russlands betrachtet", so Wladimir Putin im August. Die Trassen, die mit Milliardeninvestitionen ausgebaut werden, verweisen darauf, wo die Regierenden die wichtigsten Märkte der Zukunft sehen: Sie führen nach Asien, nicht nach Europa.