Pjotr Pawlenski war nur in Gestalt von Fotos auf der Bühne. Das hagere Gesicht des Künstlers mit zugenähten Lippen, der nackte Körper in Stacheldraht, Pawlenski nackt und blutend auf der Mauer der Moskauer Psychiatrie, schließlich das vorerst letzte Werk, Pawlenski mit einem Benzinkanister in der Hand vor der brennenden Tür der Geheimdienstzentrale Lubjanka.
"Pawlenski macht einen Aktionismus völlig neuen Typs"
Es sind Fotos mit einer starken ästhetischen Ausstrahlung. Sie sind minutiös vorbereitet und durchkomponiert. Kritiker werfen Pawlenski vor, er betreibe politischen Aktionismus, aber keine Kunst. Völlig falsch, meint Michail Ugarow, künstlerischer Leiter des teatr.doc in Moskau.
"Pawlenski macht einen Aktionismus völlig neuen Typs. Er wirkt sehr stark, mit einfachen Mitteln. In Kunstwerken spielt ja auch immer die Eigenliebe des Künstlers eine Rolle: Wie gut ich male, wie gut ich zeichne, wie gut ich spiele. Pawlenski hat das gar nicht. Er macht einfach. Um diese Ehrlichkeit beneide ich ihn."
Die meisten Menschen in Russland halten Pawlenski allerdings schlichtweg für verrückt, meinen, er müsse behandelt werden. Ugarow will dagegen angehen, unter anderem mit der Veranstaltung in seinem Theater. Mit ihm saß Oksana Schalygina auf der Bühne, die künstlerische und Lebenspartnerin Pawlenskis.
Von der Moskauer Kulturszene ignoriert
Sie hat ihn schon bei einer Retrospektive auf Kampnagel in Hamburg und in der Berliner Volksbühne vertreten. Die Moskauer Kulturszene dagegen ignoriert Pawlenski bisher weitgehend. Schalygina wird denn auch nicht müde, erst einmal das Prinzip seiner Kunst zu erläutern.
"Was ist politische Kunst? Politische Kunst heißt, Instrumente der Macht in einem anderen Kontext innerhalb des Machtsystems anzuwenden. Nehmen wir das Festnageln des Hodensacks auf dem Roten Platz. Diese Geste ist als Mittel des Protests in russischen Lagern sehr verbreitet. Aber das geschieht normalerweise weit weg von uns, im Verborgenen. Petr dagegen hat es auf den Roten Platz verlegt, und er zwingt die Machthaber zu reagieren."
Zunächst die Polizisten. Die breiteten erst mal eine Decke über dem nackten Körper aus, um das, was nicht sein darf und was sie nicht einordnen können, gleichsam unsichtbar zu machen. Auch davon waren Fotos zu sehen.
Ein Verhörprotokoll als Theaterstück
Der Höhepunkt der Veranstaltung im teatr.doc: Eine Lesung aus einem Verhörprotokoll. Der Ermittler:
"Pjotr Andrejewitsch, denken Sie nicht so global, denken Sie ein bisschen enger."
In dem Verhör geht es um die Aktion "Freiheit" auf einer Brücke in St. Petersburg. Dort verbrannte Pawlenski Autoreifen und trommelte auf Blech, eine Solidaritätsaktion mit dem Maidan in Kiew. Das Verhör gleitet unmerklich hinüber in ein Fachgespräch über politische Kunst, Pawlenski übernimmt die Gesprächsführung, rät dem Ermittler, er solle einfach ein paar Aktionen machen und diese reflektieren. Darauf der Beamte:
"Ich bin jetzt auch ein Künstler, ein Ermittlungskünstler, ein Künstler der Justiz."
Die Begegnung mit Pawlenski brachte den Mann dazu, seinen Beruf zu wechseln. Wirklich. Er arbeitet mittlerweile als Anwalt.
Die Mächtigen möchten Pawlenski in die Psychiatrie stecken
Im Publikum saß auch Maria Aljochina, ehemals Mitglied der Performance-Gruppe Pussy Riot. Sie sagt über Pawlenski:
"Er arbeitet so mit der Realität, dass sie anfängt, für ihn zu arbeiten. Das beeindruckt mich. Jedes Institut, mit dem er zu tun hat, übernimmt seine Regeln. Das ist interessant. Und er ist zurzeit der einzige Künstler, der die Macht herausfordert."
Die "Macht" hat Pawlenski kürzlich in die Psychiatrie zwangseingewiesen. Wieder einmal sollte nachgewiesen werden, dass er krank sei. Der Plan ging offenbar nicht auf. Mittlerweile sitzt Pawlenski wieder in seiner Gefängniszelle. Die Untersuchungshaft wurde kürzlich bis zum 5. April verlängert. Seine Partnerin Oksana Schalygina rechnet mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe.
"Sie können nicht anders. Er hat die Machthaber herausgefordert. Wenn sie nicht entsprechend reagieren, verspielen sie ihren Ruf."