Silvia Engels: Russland und viele westliche Staaten stecken in einem handfesten diplomatischen Konflikt. Seit der Vergiftung des früheren russischen Doppelagenten Skripal und seiner Tochter im britischen Salisbury ist die Lage diplomatisch eskaliert. Großbritannien macht staatliche Akteure in Russland für den Anschlag mit dem hochgiftigen russischen Kampfstoff Nowitschok verantwortlich. Russland weist das zurück. Westliche Staaten, darunter auch Deutschland, wiesen in einer gemeinsamen Aktion rund 150 russische Diplomaten aus, Russland wies vergangenen Freitag eine ähnliche Zahl westlicher Diplomaten aus. Am Telefon ist nun der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew. Guten Morgen!
Sergej Netschajew: Guten Morgen, Frau Engels, guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer!
Engels: Die Bundesregierung hat vier russische Diplomaten ausgewiesen, sie reisten am Wochenende aus. Russland hat umgekehrt vier deutsche Diplomaten ausgewiesen. Wie stark beeinträchtigt das auf der Arbeitsebene im Moment die Beziehungen?
Netschajew: Selbstverständlich haben wir das ganze Geschehen mit großem Bedauern aufgenommen. Aufgrund der beweislosen Erkenntnisse und ohne jeglichen Grund hat die britische Regierung ihre Verbündeten in eine Krise verwickelt mit Russland. Wie gesagt, absolut beweislos, ohne jeglichen Grund.
Engels: Da kommen wir gleich noch drauf. Ich würde gern noch einmal bei der Arbeitsebene, die Sie ja im Blick haben, bleiben. Sind Sie denn auch als Botschafter selbst über den Fall Skripal mit dem deutschen Auswärtigen Amt oder anderen deutschen Behörden im Gespräch, um hier auch möglicherweise Fragen beantworten zu können.
Netschajew: Wir sind selbstverständlich im ständigen Gespräch mit dem Auswärtigen Amt. Ich bekomme dort ein offenes Ohr, wofür ich mich ganz herzlich bedanken muss. Die Arbeitsfragen werden weiter tüchtig und sorgfältig auf Arbeitsebene bearbeitet. Also die ständige Arbeit, Business as usual, dauert an.
"Wir haben mit diesem Fall nichts zu tun"
Engels: Das ist Business as usual. Sprechen Sie denn auch über den Fall Skripal? Denn die Bundesregierung hat ja auch die Ausweisung so begründet, dass Russland sich bei der Aufklärung des Verbrechens, wo ja einige Hinweise zumindest auf die russische Herkunft des Giftstoffs deuten, nicht umfassend genug beteiligt oder sogar gar nicht.
Netschajew: Ich bin sicher, und ich habe schon mehrmals darüber gesprochen, auch in den deutschen Medie:. Wir haben mit diesem Fall nichts zu tun. Wir haben kein Motiv, wir haben keinen Grund, und wir haben von Anfang an die britische Seite aufgefordert, dass wir mitmachen, dass wir mitermitteln können. Und diese Thesen versteht man auch in Deutschland sehr. Und ich höre auch und aus der Presse lese ich, dass diese These verstanden und auch sozusagen gut aufgenommen wird. Ich glaube, dass diese Solidarität heute fehl am Platze ist. Und die letzten Ergebnisse der unabhängigen Experten in Salisbury bestätigen, dass die russische Spur nicht gefunden wird und nicht gefunden ist. Das wundert mich auch nicht, denn wir haben von Anfang an gesagt, wir haben mit diesem tragischen Fall nichts zu tun, aber wir sind weiterhin bereit, mitzuermitteln. Aber wir brauchen Zugang zu der ganzen Untersuchungszeremonie.
Engels: Sie haben es angedeutet, gestern hat der Leiter des britischen Chemiewaffenlabors Porten Down bekannt gemacht, dass die britischen Forscher keine "präzise Quelle" für das Gift haben nachweisen können. Er hat aber auch gesagt, die Qualität des Giftstoffs spricht dafür, dass ein militärischer Akteur, also letztlich ein staatlicher Akteur dahintersteckt. Da deutet doch, wenn man bedenkt, dass Nowitschok mal auf sowjetischem Boden hergestellt wurde, einiges dahin, dass Russland da eine Mitverantwortung trägt, oder?
Netschajew: Ich bin mit dieser These absolut nicht einverstanden. Die Experten haben die russische Spur nicht bestätigt. Eine andere Spur haben sie auch nicht entdeckt. Und wie gesagt, alles geht in die Richtung, dass die Beschuldigungen seitens der britischen Regierung weiterhin absolut grundlos und beweislos sind.
"Wir haben diesen Kampfstoff nicht produziert"
Engels: Steht denn Russland bereit, Einzelheiten über das Giftgasprogramm Nowitschok den Briten oder der Organisation OPCW, die sich ja mit Chemiewaffen befasst, offenzulegen?
Netschajew: Ich möchte nochmals unsere Kollegen und meinen Minister hier zitieren: Wir haben diesen Kampfstoff nicht produziert. Russland hat das nicht produziert, nicht gelagert und nicht gebraucht.
Engels: Drei russische Forscher haben zumindest ausgesagt, an dem Programm mitgearbeitet zu haben.
Netschajew: Drei russische Forscher – ich weiß nicht, wen Sie meinen. Wir haben alle Kampfgiftstoffe, die vorrätig seit der früheren Sowjetunion in Russland gelagert wurden, im vergangenen Jahr vollständig vernichtet. Und das geschah unter der Verifizierung der ausländischen Experten, einschließlich aus Großbritannien.
Engels: Gesetzt den Fall, dass das Gift in Salisbury doch letztlich aus russischem Hoheitsgebiet kam, aber nicht von Regierungsseite, müssten Sie nicht Interesse daran haben, unter allen Umständen zu klären, wie es in die Welt kam? Und wie wollen Sie das tun?
Netschajew: Wir sind mehr als ein anderes Land daran interessiert, diesen Fall zu ermitteln. Deswegen haben wir von Anfang an der britischen Regierung unsere Zusammenarbeit vorgeschlagen, auf der bilateralen Ebene oder im Rahmen der Konvention über das Verbot der chemischen Waffen, siehe Artikel 9 oder was dazugehört. Wir haben dafür extra für heute die Sondersitzung des Exekutivkomitees der Organisation einberufen, damit wir Klarheit schaffen. Uns wird eine furchtbare Schuld zugeschoben, unverdient und beweislos. Wir sind interessiert, das zu ermitteln, aber wir müssen auch daran teilnehmen.
"Wir brauchen eine vollständige, kompetente, profunde Ermittlung"
Engels: Wie soll das dann Schritt für Schritt geschehen? Denn die Briten beklagen ja umgekehrt, dass es Fragen gab, die man Ihnen, der russischen Seite vorgelegt hat, die nicht beantwortet seien. Wollen Sie solche Fragen jetzt beantworten, aber eben nur im Rahmen der OPCW, oder wie darf man sich die Schritte vorstellen?
Netschajew: Wir können das auf der bilateralen Ebene machen, wir können das im Rahmen der Organisation für das Verbot der chemischen Waffen machen, aber nicht auf die Weise, die uns zwölf Stunden nach diesem Fall sozusagen in einer ultimativen Form vorgeschlagen wurde. Uns wurde vorgeschlagen, anzuerkennen, dass das ein Befehl des Staates war oder ein Verlust der Kontrolle. Wir brauchen eine vollständige, kompetente, profunde, ordentliche Ermittlung oder Untersuchung dieses Falls mit unserer Beteiligung natürlich. Das ist sehr wichtig.
Engels: Beide Seiten, wenn ich jetzt mal die Briten auf der einen Seite und die russische Seite auf der anderen sehe, erwarten, wenn ich das richtig höre, von der jeweils anderen Seite einen ersten Schritt. Mit Blick auf die Vertrauensbildung, haben Sie eine Idee, wie vielleicht Russland diesen ersten Schritt gehen könnte?
Netschajew: Wissen Sie, wir haben von Anfang an, sogar der Präsident Putin, ein paar Stunden nach seiner Wiederwahl, hat gesagt, wir wollen mit allen europäischen und EU-Staaten gute Beziehungen haben. Wir sind bereit, alle entsprechenden Probleme auf der Kompromissgrundlage auszuräumen. Wir sind Europäer. Wir sind in Europa. Wir wollen mit Europa gute Verhältnisse, eine gute Zusammenarbeit haben. Das ist strategisch absolut wichtig, auch mit Deutschland. Und unsere Beziehungen zu Deutschland haben einen besonderen strategischen Wert.
Engels: Wird jetzt nach der Sondersitzung der OPCW wieder eine Annäherung zwischen Russland und den erwähnten westlichen Staaten stattfinden können?
Netschajew: Eine schnelle Annäherung erwarte ich nicht. Wir müssen erst mal dieses Problem ausräumen und diese Unebenheit sozusagen vom Schreibtisch beseitigen. Man muss den Fall ermitteln. Wir sind daran interessiert. Wir brauchen Klarheit, denn alle Bären sind uns jetzt irgendwie aufgebunden, und das bedauere ich sehr, und das enttäuscht mich.
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