Die Sportrichter des internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne müssen entscheiden, ob die vierjährige Doping-Sperre für Top-Sportereignisse gegen Russland gerechtfertigt ist. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Verhandlung immer wieder verschoben. Die Welt-Anti-Doping-Agentur hatte die große Sportnation am 9. Dezember 2019 komplett verbannt, Russland legte daraufhin Einspruch ein.
Weil sie davon überzeugt ist, dass Russland fortwährend - auch noch lange nachdem das Dopingsystem aufgeflogen war - getäuscht und betrogen hat - und damit auch die Aufklärung behindert hat. Laut den Ermittlern der WADA sind eingeforderte Daten aus dem Moskauer Dopinglabor aus den Jahren 2012 bis 2015 manipuliert und teilweise gelöscht worden - um mindestens 145 Sportler zu schützen. Chefermittler Günter Younger sagte über den Stellenwert der Daten der ARD-Dopingredaktion: "Für mich ist das digitale DNA. Wenn sie gelöscht sind, dann sind die gelöscht. Das ist nicht mehr zu diskutieren. Was zu diskutieren ist, ist die Interpretation. Unsere Experten sagen, das war absichtlich."
Die russische Seite streitet Manipulationen bei der Datenübermittlung ab und behauptet, es handele sich um Computerfehler. Formal ist die russische Anti-Doping-Agentur RUSADA vor den CAS gezogen, doch sie bekommt aus ganz Russland Unterstützung. Der russische Präsident Wladimir Putin bezeichnet die Sperre als ungerecht und politisch motiviert: "Das ist unfair und lässt sich nicht mit gesundem Menschenverstand und Recht in Einklang bringen". Mehrere russische Sportler wie zum Beispiel die Biathletin Matvej Eliseev beklagen, dass mit einer Sperre heute aktive Sportler für Dopingvergehen aus der Vergangenheit bestraft würden.
Die Nation, also das Team Russland, wird nach dem Willen der WADA für vier Jahre von Sport-Großereignissen wie Olympischen Spiele oder Weltmeisterschaften ausgeschlossen. Dabei geht es konkret um die kommenden drei Olympischen Spiele in Tokio 2021, Peking 2022 und sogar noch Paris 2024 - weil die Sanktionen überlicherweise erst nach einer möglichen CAS-Bestätigung inkrafttreten - sowie die Fußball-WM in Katar 2022. Russland kann die Wettbewerbe in diesem Zeitraum auch nicht ausrichten oder sich als Gastgeber um sie bewerben. Ausgenommen sind einzelne Athleten und Athletinnen, wenn sie nachweisen können, dass sie nicht gedopt sind und nicht vom Staatsdopingsystem profitiert haben. Sie können dann als neutrale Athleten teilnehmen.
Es geht vielen vor allem um das Signal, wie ernst man es mit dem Anti-Dopingkampf nimmt. Die Vorsitzende des Bundestags-Sportauschusses, Dagmar Freitag, ist davon überzeugt: "Ich denke, das ist einer der wichtigsten Prozesse in der Geschichte des Sports. Wenn da kein klares Signal in Richtung Russland gesendet wird, wird der Sport auf nationaler und internationaler Ebene an Glaubwürdigkeit verlieren." Ähnlich hat es Richard Pound formuliert, dienstältestes Mitglied des IOC und langjähriger WADA-Chef. Ein Urteil wird erst in einigen Wochen erwartet - von der Bestätigung der Sperre über eine Reduzierung bis hin zum Freispruch ist alles möglich.
Doch selbst wenn der CAS die Sperre bestätigt, bleibt die Kritik an der WADA, die mit ihrer Sperre nicht das schärftste Schwert ausgepackt hat. Denn noch immer können russische Athleten - auch als Team - unter neutraler Flagge antreten.
Ausgangspunkt war der nur Monate nach den Winterspielen 2014 im russischen Sotschi ausgestrahlte ARD-Dokumentarfilm "Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht". Whistleblower Julia Stepanowa und Vitali Stepanow und Drehmaterial durch versteckte Kameras lieferten erste Hinweise für systematisches und staatlich gestütztes Doping, Manipulation bei Doping-Kontrollen und Vertuschung auch von oberster Stelle: Der Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes, Lamine Diack, geriet ins Visier der WADA und damit auch die Leichtathletik.
Es folgten die McLaren-Berichte der WADA-Untersuchungskommission, die ein umfassendes Dopingsystem in Russland aufdeckten. Insgesamt sollen mehr als 1.000 russische Athleten aus 30 Sportarten zwichen 2011 und 2015 in den Dopingskandal verwickelt gewesen sein. Während das Internationale Paralympische Komitee alle russischen Sportler mit Behinderung für die Paralymics 2016 in Rio ausschloss, verweigerte das IOC einen Komplett-Ausschluss Russlands für die Spiele 2016 und überließ diese Entscheidung den einzelnen Weltsportverbänden. Die meisten von ihnen sprachen sich damals gegen Komplettsperren aus.