Wenn man nicht aufpasst, verläuft man sich – im Kunstzentrum "Pushkinskaja-10". Das Zentrum ist das traditionsreichste in St. Petersburg. Ende der 80er-Jahre haben es Künstler besetzt. Jetzt leben sie hier und haben hier ihre Ateliers – auf gut 4000 Quadratmetern, verteilt auf zwei Häuser, die in der Mitte miteinander verbunden sind. "Pushkinskaja-10" befindet sich auf dem Ligovsky Prospekt, also mitten im Zentrum. Neben den Ateliers der Künstler ist in diesem kreativen Epizentrum noch mehr untergebracht – nämlich der Musikclub "Fish Fabrique", die Galerie "Art-Liga" und das Museum für nonkonformistische Kunst.
Valentina Kirichenko ist 26 Jahre alt und für die Ausstellungen im Museum für nonkonformistische Kunst verantwortlich. Als kulturelle Programmkoordinatorin kann sie autonom entscheiden, welche Form von Kunst gezeigt wird.
"In Russland ist es das einzige unabhängige Zentrum für zeitgenössische Kunst, das weder staatlich noch kommerziell ist. Es hängt viel vom Engagement aller ab. Und wenn neue Entwicklungen aufkommen, kann man frei darüber diskutieren was das für die Kulturszene in St. Petersburg bedeutet, und zwar sowohl im russischen als auch im internationalen Kontext."
In Russland können die Künstler nicht von ihrer Arbeit leben, weil sich der russische Kunstmarkt auf niedrigem Niveau bewegt. In Moskau gibt es ein halbes Dutzend wichtiger Galerien, aber im Vergleich zu der Größe der Stadt mit ihren 15 Millionen Einwohnern ist das eher mickrig. Valentina Kirichenko sagt, es sei ein großer Unterschied, ob man es schick findet ins Museum zu gehen oder ob man sich tatsächlich ein zeitgenössisches Kunstwerk kauft, um es jeden Tag anzuschauen.
"Es gibt keinen richtigen Kunstmarkt, weil man den Umgang mit der Kunst in den vergangenen 20 Jahren verlernt hat. Kunst ist eine seelenerfüllte Arbeit und das wird nicht mehr gewürdigt. Deshalb muss man die Menschen mühsam wieder an die Kunst heranführen – man muss sie erziehen, so wie man Kinder erziehen muss."
Trotzdem spielt zeitgenössische Kunst in St. Petersburg eine größere Rolle als noch vor wenigen Jahren. Valentina Kirichenko spricht von Gentrifizierung, also dem Vorgang wenn – wie in diesem Fall – ein Stadtteil mit Kunst umstrukturiert wird.
"Wir sind vor kurzem zur Eröffnung des Loftprojekts 'Fakil' gefahren. Das befindet sich in einem abgelegenen Stadtteil, mit vielen Plattenbauten, normalen Supermärkten, gewöhnlichen Leuten – und plötzlich da taucht ein Zentrum für zeitgenössische Kunst auf, das ist absolut ungewöhnlich und neuartig… und es macht Hoffnung."
Das sind allerdings alles private Initiativen. Denn die Regierung mit ihren Prioritäten macht eher wenig Hoffnung: Russland gibt nur zwei Prozent seines Budgets für Kultur aus, für das Militär werden die Ausgaben in den nächsten Jahren auf knapp 20 Prozent des Staatshaushalts ansteigen. Und weil diese Schere immer weiter auseinanderklafft, gehen die Russen dazu über Kunst und ihre Finanzierung selber in die Hand zu nehmen – so wie beim Loftprojekt "Etashi". Vor fünf Jahren hat man mit Ausstellungen angefangen. Dann kamen ein Hostel, eine Galerie, ein Buchladen und ein Café dazu. Der 36-jährige Sawelij Archipenko ist seit Beginn an dabei. Er sagt, dass man die Idee hatte vor allem junge, unbekannte Künstler zu fördern und einmal im Jahr eine Blockbuster-Ausstellung zu organisieren, die richtig Geld einbringt.
Im zweiten Stock steigt der Duft von Kaffee in die Nase. Das Café "Zelonaja Komnata" – zu Deutsch "Grüner Raum" – ist angesagt bei den Petersburger Studenten und Kreativen. Sie sitzen hier mit ihren Mac Powerbooks – oder bereiten Seminare für die Uni vor. Vor drei Jahren hat hier das erste Café Russlands mit rein organischen Produkten eröffnet. Die Produkte hat man aus Finnland importiert. Aber schon nach wenigen Monaten war das Café pleite. Zu teuer für das hippe Publikum in St. Petersburg. Jetzt kostet ein Cappuccino 2,50 Euro – ein durchschnittlicher Preis in der Fünf-Millionen-Metropole an der Newa. In dem großzügigen Gebäude war einst die Brotfabrik "Smolninskij Chlebazavod" untergebracht. Davon ist heute allerdings nicht mehr viel zu spüren. Die Räume sind von Grund auf saniert.
"Wir wollten uns im fünften Stock ein Atelier einrichten und dann haben wir die Büroräume renoviert – und als wir angefangen haben ungewöhnliche Ausstellungen zu organisieren ist 'Etashi' zum angesagtesten Ort der Stadt geworden."
Inzwischen sei das Publikum anspruchsvoller geworden. Es gehe nicht mehr um Quantität sondern um Qualität. Und um Lifestyle, meint Sawelij Archipenko.
"Der Künstler hat einen Auftrag, oder vielmehr eine gesellschaftliche Funktion, die er erfüllen muss: Er ist anders als die anderen. Heutzutage müssen Künstler Manager sein. Und das ist überhaupt nicht cool. Früher war es cool für Mädchen mit Künstlern abzuhängen, weil das meistens interessante Leute waren. Aber das hat sich geändert. Alle, die heutzutage etwas erreichen wollen machen irgendwelche Geschäfte und beschäftigen sich erst dann mit Kunst."
Der Kreativdirektor sieht aus dem Fenster, sein Blick geht in die Ferne, über die Dächer von St. Petersburg weit hinaus Richtung Meerbusen. Wenn man ihm zuhört, klingt er ziemlich pessimistisch. Er erklärt: Seit der Finanzkrise 2008 sei alles viel schwieriger geworden, auch für das Loftprojekt "Etashi". Eine Perspektive gebe es nicht – die Planungen gingen nur bis Ende des Jahres. Was danach ist, werde man sehen. Von dieser Melancholie ist bei "ERARTA" wenig zu spüren. Hier ist die Maxime: höher, schneller, weiter. Es ist das größte private Museum Russlands und steht auf der Wassileostrowskij Insel, ein gutes Stück vom Zentrum entfernt. Das Museum vereinigt Kunst, Theater, Tanz und experimentelle Musik. Jeden Tag stehe etwas anderes auf dem Programm, sagt Museumsdirektor Mikhail Ovchinnikov.
"Unser Auftrag ist auf die zeitgenössische Kunst aus Russland so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu ziehen. Und wir wissen sehr wohl, dass es Ausdrucksformen gibt, die mehr Publikum anlocken als Malerei, ich spreche da von Theater, Musik und Mode. Dazu finden die meisten eher Zugang als zu gemalten Bildern."
Das Museum zeigt 2000 Arbeiten von zeitgenössischen Künstlern. Diese Masse ist zwar auf den ersten Blick beeindruckend, aber auf den zweiten Blick erdrückend. Denn die Ausstellung wirkt in weiten Teilen gedrängt. Großformatige Werke haben kaum Platz sich zu entfalten. Nach einem Konzept sucht man vergeblich. Der Eintritt kostet 300 Rubel, umgerechnet acht Euro. Durch die Räume huschen vereinzelt junge, modebewusste Menschen – eine von ihnen ist die 23-jährige Elena Kuznitzowa.
"Also ehrlich gesagt, war ich zeitgenössischer Kunst gegenüber eher kritisch eingestellt. Ich habe gedacht, dass man in 90 Prozent der Fälle nicht zwischen Kunst und Hingeschmiertes unterscheiden kann. Aber hier hat sich diese Einstellung geändert. Zeitgenössische Kunst hat auch ihre Berechtigung, manchmal ist sie schwierig zu verstehen, aber ja, das ist auch Kunst."
In der Ausstellung sind auch einige Kunstwerke zu sehen, die während der Sowjetzeit versteckt wurden. Museumsdirektor Mihail Ochvinnikov:
"Das ist ein Werk von David Plaksin: Zu sehen sind Früchte, die in Plastik eingewickelt sind. Natürlich ist das als Anspielung auf das sowjetische totalitäre Regime zu sehen, in dem es nicht möglich war seine Meinung frei zu äußern."
Versteckt werden mussten die Bilder, weil das Sowjetregime nicht an kritischer Kunst interessiert war. Nicht selten hat es zeitgenössische Künstler ins Arbeitslager gesteckt, oder auch in die Psychiatrie. Heute ist das anders. Viele junge Russen interessieren sich für zeitgenössische Kunst, weil sie begreifen dass das Teil einer modernen Gesellschaft ist. Selbst Dmitri Medwedjew hat einmal öffentlichkeitswirksam gesagt: "Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich zeitgenössische Kunst liebe." Davon kann zwar keine Rede sein, aber es zeigt wie sehr sich Russland wünscht modern zu sein und in der Neuzeit anzukommen.
Valentina Kirichenko ist 26 Jahre alt und für die Ausstellungen im Museum für nonkonformistische Kunst verantwortlich. Als kulturelle Programmkoordinatorin kann sie autonom entscheiden, welche Form von Kunst gezeigt wird.
"In Russland ist es das einzige unabhängige Zentrum für zeitgenössische Kunst, das weder staatlich noch kommerziell ist. Es hängt viel vom Engagement aller ab. Und wenn neue Entwicklungen aufkommen, kann man frei darüber diskutieren was das für die Kulturszene in St. Petersburg bedeutet, und zwar sowohl im russischen als auch im internationalen Kontext."
In Russland können die Künstler nicht von ihrer Arbeit leben, weil sich der russische Kunstmarkt auf niedrigem Niveau bewegt. In Moskau gibt es ein halbes Dutzend wichtiger Galerien, aber im Vergleich zu der Größe der Stadt mit ihren 15 Millionen Einwohnern ist das eher mickrig. Valentina Kirichenko sagt, es sei ein großer Unterschied, ob man es schick findet ins Museum zu gehen oder ob man sich tatsächlich ein zeitgenössisches Kunstwerk kauft, um es jeden Tag anzuschauen.
"Es gibt keinen richtigen Kunstmarkt, weil man den Umgang mit der Kunst in den vergangenen 20 Jahren verlernt hat. Kunst ist eine seelenerfüllte Arbeit und das wird nicht mehr gewürdigt. Deshalb muss man die Menschen mühsam wieder an die Kunst heranführen – man muss sie erziehen, so wie man Kinder erziehen muss."
Trotzdem spielt zeitgenössische Kunst in St. Petersburg eine größere Rolle als noch vor wenigen Jahren. Valentina Kirichenko spricht von Gentrifizierung, also dem Vorgang wenn – wie in diesem Fall – ein Stadtteil mit Kunst umstrukturiert wird.
"Wir sind vor kurzem zur Eröffnung des Loftprojekts 'Fakil' gefahren. Das befindet sich in einem abgelegenen Stadtteil, mit vielen Plattenbauten, normalen Supermärkten, gewöhnlichen Leuten – und plötzlich da taucht ein Zentrum für zeitgenössische Kunst auf, das ist absolut ungewöhnlich und neuartig… und es macht Hoffnung."
Das sind allerdings alles private Initiativen. Denn die Regierung mit ihren Prioritäten macht eher wenig Hoffnung: Russland gibt nur zwei Prozent seines Budgets für Kultur aus, für das Militär werden die Ausgaben in den nächsten Jahren auf knapp 20 Prozent des Staatshaushalts ansteigen. Und weil diese Schere immer weiter auseinanderklafft, gehen die Russen dazu über Kunst und ihre Finanzierung selber in die Hand zu nehmen – so wie beim Loftprojekt "Etashi". Vor fünf Jahren hat man mit Ausstellungen angefangen. Dann kamen ein Hostel, eine Galerie, ein Buchladen und ein Café dazu. Der 36-jährige Sawelij Archipenko ist seit Beginn an dabei. Er sagt, dass man die Idee hatte vor allem junge, unbekannte Künstler zu fördern und einmal im Jahr eine Blockbuster-Ausstellung zu organisieren, die richtig Geld einbringt.
Im zweiten Stock steigt der Duft von Kaffee in die Nase. Das Café "Zelonaja Komnata" – zu Deutsch "Grüner Raum" – ist angesagt bei den Petersburger Studenten und Kreativen. Sie sitzen hier mit ihren Mac Powerbooks – oder bereiten Seminare für die Uni vor. Vor drei Jahren hat hier das erste Café Russlands mit rein organischen Produkten eröffnet. Die Produkte hat man aus Finnland importiert. Aber schon nach wenigen Monaten war das Café pleite. Zu teuer für das hippe Publikum in St. Petersburg. Jetzt kostet ein Cappuccino 2,50 Euro – ein durchschnittlicher Preis in der Fünf-Millionen-Metropole an der Newa. In dem großzügigen Gebäude war einst die Brotfabrik "Smolninskij Chlebazavod" untergebracht. Davon ist heute allerdings nicht mehr viel zu spüren. Die Räume sind von Grund auf saniert.
"Wir wollten uns im fünften Stock ein Atelier einrichten und dann haben wir die Büroräume renoviert – und als wir angefangen haben ungewöhnliche Ausstellungen zu organisieren ist 'Etashi' zum angesagtesten Ort der Stadt geworden."
Inzwischen sei das Publikum anspruchsvoller geworden. Es gehe nicht mehr um Quantität sondern um Qualität. Und um Lifestyle, meint Sawelij Archipenko.
"Der Künstler hat einen Auftrag, oder vielmehr eine gesellschaftliche Funktion, die er erfüllen muss: Er ist anders als die anderen. Heutzutage müssen Künstler Manager sein. Und das ist überhaupt nicht cool. Früher war es cool für Mädchen mit Künstlern abzuhängen, weil das meistens interessante Leute waren. Aber das hat sich geändert. Alle, die heutzutage etwas erreichen wollen machen irgendwelche Geschäfte und beschäftigen sich erst dann mit Kunst."
Der Kreativdirektor sieht aus dem Fenster, sein Blick geht in die Ferne, über die Dächer von St. Petersburg weit hinaus Richtung Meerbusen. Wenn man ihm zuhört, klingt er ziemlich pessimistisch. Er erklärt: Seit der Finanzkrise 2008 sei alles viel schwieriger geworden, auch für das Loftprojekt "Etashi". Eine Perspektive gebe es nicht – die Planungen gingen nur bis Ende des Jahres. Was danach ist, werde man sehen. Von dieser Melancholie ist bei "ERARTA" wenig zu spüren. Hier ist die Maxime: höher, schneller, weiter. Es ist das größte private Museum Russlands und steht auf der Wassileostrowskij Insel, ein gutes Stück vom Zentrum entfernt. Das Museum vereinigt Kunst, Theater, Tanz und experimentelle Musik. Jeden Tag stehe etwas anderes auf dem Programm, sagt Museumsdirektor Mikhail Ovchinnikov.
"Unser Auftrag ist auf die zeitgenössische Kunst aus Russland so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu ziehen. Und wir wissen sehr wohl, dass es Ausdrucksformen gibt, die mehr Publikum anlocken als Malerei, ich spreche da von Theater, Musik und Mode. Dazu finden die meisten eher Zugang als zu gemalten Bildern."
Das Museum zeigt 2000 Arbeiten von zeitgenössischen Künstlern. Diese Masse ist zwar auf den ersten Blick beeindruckend, aber auf den zweiten Blick erdrückend. Denn die Ausstellung wirkt in weiten Teilen gedrängt. Großformatige Werke haben kaum Platz sich zu entfalten. Nach einem Konzept sucht man vergeblich. Der Eintritt kostet 300 Rubel, umgerechnet acht Euro. Durch die Räume huschen vereinzelt junge, modebewusste Menschen – eine von ihnen ist die 23-jährige Elena Kuznitzowa.
"Also ehrlich gesagt, war ich zeitgenössischer Kunst gegenüber eher kritisch eingestellt. Ich habe gedacht, dass man in 90 Prozent der Fälle nicht zwischen Kunst und Hingeschmiertes unterscheiden kann. Aber hier hat sich diese Einstellung geändert. Zeitgenössische Kunst hat auch ihre Berechtigung, manchmal ist sie schwierig zu verstehen, aber ja, das ist auch Kunst."
In der Ausstellung sind auch einige Kunstwerke zu sehen, die während der Sowjetzeit versteckt wurden. Museumsdirektor Mihail Ochvinnikov:
"Das ist ein Werk von David Plaksin: Zu sehen sind Früchte, die in Plastik eingewickelt sind. Natürlich ist das als Anspielung auf das sowjetische totalitäre Regime zu sehen, in dem es nicht möglich war seine Meinung frei zu äußern."
Versteckt werden mussten die Bilder, weil das Sowjetregime nicht an kritischer Kunst interessiert war. Nicht selten hat es zeitgenössische Künstler ins Arbeitslager gesteckt, oder auch in die Psychiatrie. Heute ist das anders. Viele junge Russen interessieren sich für zeitgenössische Kunst, weil sie begreifen dass das Teil einer modernen Gesellschaft ist. Selbst Dmitri Medwedjew hat einmal öffentlichkeitswirksam gesagt: "Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich zeitgenössische Kunst liebe." Davon kann zwar keine Rede sein, aber es zeigt wie sehr sich Russland wünscht modern zu sein und in der Neuzeit anzukommen.