Monika Grütters findet deutliche Worte. Am 22. Oktober soll der Leiter des Moskauer Gogol-Theaters, Kirill Serebrennikow, im Stuttgarter Opernhaus "Hänsel und Gretel" auf die Bühne bringen. Dafür hätte er jetzt im September einreisen sollen, um die Inszenierung vorzubereiten. Die russischen Behörden hätten dafür zu sorgen, dass er diesen vertraglichen Verpflichtungen nachkommen könne, sagte Grütters gegenüber dem Deutschlandfunk.
"Und ich fordere natürlich von meinem Kollegen, dem russischen Kulturminister, dass er sich bei seinen Behörden dafür einsetzt, dass Serebrennikow wieder auf freien Fuß gesetzt wird. Alles andere wäre nicht nur gesellschaftlich und politisch, sondern auch kulturpolitisch ein Affront."
Es sei kein Geheimnis, dass sich Serebrennikow in den letzten Jahren in Russland mächtige Feinde gemacht habe, schreibt der mit dem russischen Regisseur befreundete Dramatiker Marius von Mayenburg heute im "Tagesspiegel" – weil er in seinen Inszenierungen offen die Unfreiheit in der russischen Gesellschaft und die Willkür der staatlichen Organe kritisiert habe. Grütters nannte die Vorwürfe der Mittelverschwendung gegen Serebrennikow einen "merkwürdigen Vorwand".
"Dass die Einschränkung der künstlerischen Freiheit, der Meinungsfreiheit, der journalistischen und Pressefreiheit immer der Anfang totalitärer Systeme ist, kann man an der deutschen Geschichte auf bitterste Weise studieren."
Kunst- und Pressefreiheit weltweit unter Druck
Grütters sieht in der Causa Serebrennikow nun das jüngste von vielen dramatischen Beispielen dafür, dass die Kunst- und Pressefreiheit weltweit immer mehr unter Druck gerät - auch in Deutschlands unmittelbarer Nachbarschaft und auf europäischem Boden.
"Und für uns ist das schlimm. Wir haben auch schon mildere Fälle, aber auch die waren besorgniserregend, erlebt, als die Leiterin des polnischen Kulturinstituts hier in Berlin, Katarzyna Wielga-Skolimowska, kurz vor Weihnachten entlassen wurde."
Gegen die Absetzung der polnischen Kulturamtsleiterin durch die polnische Regierung hatten sich ebenfalls zahlreiche Berliner Kulturschaffende eingesetzt, doch vergebens. Ihr Engagement für den deutsch-polnischen Dialog, die Beschäftigung mit jüdisch-polnischen Themen, passte nicht in die kulturpolitische Linie der nationalkonservativen PiS-Partei. Dass Künstler und Journalisten immer mehr in Bedrängnis geraten, betrachte sie mit Sorge, sagte Grütters. Neben den bekannten Fällen in der Türkei, wie Dennis Yücel, Mesale Tolu, Peter Steudtner und Dogan Akhanli, gehöre dazu auch, dass der venezolanische Präsident Nicolás Maduro vor wenigen Tagen eine geplante US-Tournee des Stardirigenten Gustavo Dudamel mit dem nationalen Simón-Bolívar-Jugendorchester absagen ließ.
Fälle in Deutschland öffentlich machen
"Gustavo Dudamel gehört zu den ständigen Gästen hier bei den Berliner Philharmonikern, das heißt, wir können das nicht einfach so achselzuckend zur Kenntnis nehmen, sondern sehen derartige Einschränkungen mit großer Sorge, unter anderem auch, weil Dudamel nur ein so großer Star geworden ist, weil er mit seiner Arbeit für benachteiligte Kinder aus venezolanischen Slums berühmt geworden ist."
Dudamel war beim venezolanischen Staatschef Maduro in Ungnade gefallen, nachdem er angefangen hatte, die Verhältnisse in Venezuela öffentlich zu kritisieren. Anlass dafür war der Tod eines Bratschisten von "El sistema" gewesen, der von Sicherheitskräften auf einer Kundgebung gegen die Regierung getötet worden war. Grütters glaubt, dass es wichtig ist, diese Fälle in Deutschland noch stärker öffentlich zu machen.
"Wir müssen sie ansprechen, aber wie vielleicht wie im Fall Serebrennikow auch wirklich anprangern. Serebrennikow ist wegen Betrugsvorwürfen bis zum 19. Oktober unter Hausarrest gestellt worden. Das ist milde gesagt mindestens Schikane. Aber das berührt uns und den internationalen Künstleraustausch existenziell. Und insofern können wir nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern solche Fälle müssen Teil der künstlerischen und diplomatischen Auseinandersetzung sein."