Nimmt Russland Einfluss auf Meinungsbildung im Ausland? Und wie genau? Vor Wahlen, aber auch sonst ist das seit Jahren regelmäßig Thema in Deutschland, den USA und anderen Ländern. Mal geht es dann um Maßnahmen, die nur schwer nachweisbar sind, wie etwa die Arbeit einer sogenannten "Troll-Armee", die von Russland aus auf Social Media oder in Online-Foren unterwegs ist. Oder es geht um die offensichtliche Arbeit offizieller Staatsmedien – so wie RT DE.
Der einstmals als Russia Today bekannte Sender macht seit 2014 auch von Berlin aus Programm für den deutschen Markt. Bislang konnte RT DE seine Inhalte auch über Youtube verbreiten. Doch damit ist vorerst Schluss. Das US-Unternehmen hat zwei Kanäle des Senders bei sich gesperrt und entfernt.
Eine Art rote Karte nach einer vorherigen gelben: Man habe bereits einen Kanal bereits gesperrt, weil RT DE mit Falschinformationen in Videos gegen Richtlinien zur Corona-Pandemie verstoßen habe, erklärte Youtube. Doch RT DE habe daraufhin seinen zweiten Kanal namens "Der Fehlende Part" genutzt – der Grund für die nun endgültige Sperrung auch des offiziellen Kanals "RT DE".
Expertin: Westliche Impfstoffe negativ dargestellt
Wie RT DE nach der ersten Verwarnung durch Youtube reagierte, hat Miro Dittrich, Rechtsextremismusforscher und Mitbegründer des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), auf Twitter dokumentiert.
RT sei es bei seiner Berichterstattung darum gegangen, "westliche Impfstoffe sehr negativ darzustellen", erklärte die Osteuropa-Historikerin Susanne Spahn im Deutschlandfunk. Das sei auch in Videos auf Youtube der Fall gewesen, so die Autorin der Studie "Russische Medien in Deutschland".
Miro Dittrich begrüßte die Entscheidung von Youtube. Deplatforming, also das dauerhafte Ausschließen einzelner Accounts, wirke, das sagte "die überwältigende Mehrheit der Expert*innen zu Online-Radikalisierung". Den "Ansatz des besseren Arguments" hätten die großen Plattformen "aufgeben müssen".
"Propagandasender und kein seriöser Journalismus
RT steht im Westen immer wieder als Propagandainstrument des Kremls in der Kritik. Den zentralen Vorwurf, der Sender verbreite im Auftrag des russischen Staates Verschwörungstheorien und Desinformationen, bestätigte auch eine Anfang 2021 erschienene Studie im Auftrag der Landesmedienanstalten. Die dabei untersuchten Videos von RT DE hätten die immer gleichen Feindbilder transportiert, so Joachim Allgaier, der als Professor für Kommunikation und Digitale Gesellschaft soziale Netzwerke erforscht und an der Studie beteiligt war.
So richte sich die Berichterstattung gegen andere Medien, die Bundesregierung und wissenschaftliche Einrichtungen wie den Weltklimarat, so Allgaier gegenüber dem Deutschlandfunk. Sein Urteil: RT sei ein "russischer Propagandasender und kein seriöser Journalismus", die Sperrung geht deshalb aus seiner Sicht in Ordnung, wenn Youtube die konkreten Verstöße transparent mache.
Das grundsätzliche Vorgehen von Youtube gegen Desinformation bewertet der Wissenschaftler aber als problematisch. Die Plattform mache in der Regel nicht transparent, warum genau und wie sie gegen Kanäle vorgehe. Zwar gebe es immer wieder massenhafte Löschungen, doch zurück blieben weiterhin "viele verschwörungstheoretische und wissenschaftsfeindliche Kanäle", kritisiert Allgaier.
Russland droht und spricht von "Medienkrieg"
Nach der Sperrung drohte Russland Youtube mit Vergeltungsmaßnahmen. Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor erklärte, in einem solchen Fall könnten "Maßnahmen zur vollständigen oder teilweisen Beschränkung" gegen die Plattform getroffen werden. Es gebe klare Anzeichen, dass Gesetze der Russischen Föderation verletzt worden seien, teilte ein Kremlsprecher mit. Die Chefredakteurin von RT mit Sitz in Moskau, Margarita Simonjan, kritisierte über Twitter den Schritt von Youtube scharf und sprach von einem "Medienkrieg".
Es handle sich um keine Entscheidung der Bundesregierung, betonte deren Sprecher Steffen Seibert. Wer das behaupte, "bastelt sich eine Verschwörungstheorie zurecht".
Die Sperre der RT-DE-Kanäle gehöre zu Youtubes "täglich Brot", findet der Politik- und Rechtswissenschaftler Torben Klausa, der zu Fragen der Plattformregulierung forscht. Die einzige Besonderheit sei, so Klausa in seiner Einschätzung des Falls für den Deutschlandfunk, "dass mit der russischen Regierung hinter RT DE ein einflussreicher politischer Akteur steckt, der nun gehörig Wind macht". Doch der russische Vorwurf eines "Medienkriegs" gehe jedenfalls ins Leere, denn der deutsche Staat habe mit den Regeln von Youtube nichts zu tun.
RT instrumentalisiere den Fall, "um wiederum Stimmung zu machen gegen die Bundesregierung und gegen deutsche Medien, obwohl die jetzt erst mal nichts damit zu tun haben", sagte der
Journalist und Internet-Experte Markus Beckedahl
im Dlf. "Andererseits zeigt das natürlich auch ein bisschen die Denkweise. Es ist ein bisschen bigott, wenn die Russia-Today-Chefin hier von Zensur redet, aber die Blockaden von Nawalny-Videos in Russland dort vollkommen unkritisch überhaupt nicht als Zensur betrachtet werden."
"Sollen Digitalkonzerne allein entscheiden dürfen?"
Statt auf politischen Druck zu setzen und Vergeltungsmaßnahmen anzukündigen, könnten die Kanalbetreiber die Sperre durch unabhängige Gerichte überprüfen lassen, erklärt Klausa. Denn Youtubes Regeln gegen Covid-19-Fehlinformationen seien Teil des Nutzungsvertrags zwischen den Nutzerinnen und der Plattform. "Sie binden nicht nur RT DE, sondern auch Youtube selbst."
"Hinter den absurden russischen Vorwürfen verbirgt sich derweil eine legitime, viel grundlegendere Frage", so Klausa weiter. "Sollen internationale Digitalkonzerne allein entscheiden dürfen, welche Videos online zu sehen sind und welche nicht? Denn nur ein Bruchteil der durch Youtube gelöschten und gesperrten Inhalte ist auch nach deutschem Recht verboten." Der Großteil werde aufgrund von Regeln entfernt, die sich das Unternehmen selbst gegeben hat, beobachtet der Wissenschaftler.
"Und so sinnvoll ein Verbot von Covid-19-Fehlinformationen auch sein mag: Derzeit prägen Youtubes Regeln den Online-Diskurs für viele Millionen deutsche Nutzer*innen – ohne jede Form von demokratischer Legitimation."
Markus Beckedahl plädiert für eine "bessere staatliche Regulierung", denn die 15 Jahre Selbstregulierung, bei der die Unternehmen eigentlich ihre eigenen Regeln setzen konnten, "ohne dass wir als Gesellschaft darauf groß einwirken konnten, das sollte vorbei sein, weil das hat nur gezeigt, dass die Macht der Konzerne größer wird, aber die Demokratie kleiner wird". Er hoffe, dass die Politik klare Regeln durchsetzt, "die aber dann auch von den Nutzer*innen (und dazu zählt dann auch Russia Today in Deutschland) angefochten werden können auf dem Rechtsweg".