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Russischer TV-Kanal Doschd
Ein Sender lässt sich nicht beirren

Doschd gilt nach zehn Jahren auf Sendung als wichtigster unabhängiger Fernsehsender in Russland. Auseinandersetzungen mit der repressiven Regierung in Moskau gehören von Anfang an zum Redaktionsgeschäft. Doch die Macher lassen sich nicht von ihren Zielen abbringen.

Von Thielko Grieß |
20 Uhr Moskauer Zeit, die abendliche Nachrichtensendung "Sejes i Sitschass" ("Hier und Jetzt") eine der populärsten Sendungen des Senders Doschd. Die drei Hauptthemen des vergangenen Donnerstags sind: Wie lange noch dauern die Corona-Ausgangsbeschränkungen? Will die Aufsichtsbehörde den Messenger Telegram womöglich doch nicht blockieren? Und wie Autoren der Zeitung Wedomosti um ihre redaktionelle Unabhängigkeit ringen.
Doschd bewegt sich auf finanziell äußerst dünner Grundlage: Seit der Kanal 2014 wohl auf Druck des Kremls nur noch in wenigen Regionen Russlands über Kabel empfangbar ist, sind seine Werbeeinnahmen drastisch geschrumpft.
"Fake News"-Gesetz verschärft
Medien, die in Russland nicht den Kurs der Regierung unterstützen, haben es vor allem seit Einführung eines russischen "Fake News"-Gesetzes schwer. Nun ist das Gesetz noch einmal verschärft worden – wegen der Coronakrise.
Er überlebt heute anders: im Netz und hinter einer Bezahlschranke, also mit Abonnenten, die im Jahr umgerechnet rund 100 Euro für den Komplettzugang zahlen. Ein wenig Werbung gibt es noch – und Unterstützung, zum Beispiel von der Europäischen Union.
Natalja Sindejewa, Miteigentümerin des Senders, nennt im Gespräch mit dem Radiosender Echo Moskwy die Größenordnungen.
"Im Großen und Ganzen bewegen wir uns im Bereich von 50.000 bis 60.000 Abonnenten, manchmal 65.000, manchmal 50.000. Und wir sehen, dass das Grundbudget aus Jahresabonnenten besteht, die ihr Abo verlängern. Jetzt hat sich die Situation aber drastisch verändert."
Von Beginn an Auseinandersetzungen mit Staat
Denn jetzt hat die Coronakrise Russland im Griff, und nicht nur arbeitet ein Großteil der 180 Beschäftigten von zu Hause aus, sondern der Sender hat auch die Preise für Abos gesenkt und die Nachrichtenformate für alle, auch Nicht-Abonnenten, freigeschaltet.
Ähnlich war er im vergangenen Sommer schon während der Proteste verfahren. "Hab keine Angst, frei zu sein", hieß damals der Claim. Zum zehnten Gründungsjubiläum heißt er nun: "Swoboda wopreki" - "Trotzdem Freiheit".
Kampf um Deutungshoheit
Die EU-Kommission warnt in der Corona-Krise vor Desinformationskampagnen. Vor allem Russland und China könnten versuchen, Unsicherheit zu verbreiten. Dabei gehe es um Deutungshoheit, sagte Bettina Klein, Deutschlandfunk-Korrespondentin in Brüssel.
Wegen Corona wurden manche Produktionen vorläufig gestrichen und durch Wiederholungen ersetzt – ausgebaut dagegen die Informationssendungen.
Die Auseinandersetzung mit dem repressiven russischen Staat gehört für Natalja Sindejewa prägend zur Geschichte des Senders. Sie erinnert an die Moskauer Großdemonstrationen gegen Wahlfälschungen in den Jahren 2011/12; damals war der Sender noch jung.
"Die Ziele, mit denen die Leute auf die Straße gingen, teilten wir völlig. Diese Ereignisse waren für uns eine Wegmarke und haben in vielem die Agenda des Kanals definiert, dass wir für die Freiheit, für Toleranz sind. Das heißt, damals wurde ganz deutlich und klar, was für uns Doschd bedeutet."
Journalismus und Haltung fließen ineinander
Der Sender und seine Macher begreifen sich als ein liberales und vor allem oppositionelles Medium, das Position ergreift, das Position ist.
Dafür ist die Sendung Fake News markantes Beispiel, die Falschinformationen und Narrative des Staatsfernsehens, der mit Steuergeldern üppig ausgestatteten und übermächtigen Konkurrenz, aufgreift und sie auf deren meist mickrigen Wahrheitsgehalt abklopft.
Doch ob nun in einem solchen Format oder auch in den Nachrichten: Lehrbuch-Zurückhaltung und Bemühen um Neutralität ist häufig kein Kennzeichen des Programms. Die Journalisten von Doschd verhalten sich wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, die im autoritär-repressiven Russland leben und arbeiten. Journalismus und Haltung fließen ineinander.
"Wenn ich ehrlich bin, bin ich mit Doschd nicht immer einverstanden", bekundet der Schauspieler Jewgenij Mironow in einem Glückwunsch-Video. "Doch welches Glück, dass ich die Möglichkeit habe nicht zuzustimmen, zu streiten. Und dass das in zivilisierten Bahnen abläuft. Die Fähigkeit, einander zuzuhören, diese Fähigkeit gibt es bei uns im Land einfach nicht. Ich glaube, das ist eines eurer großen Verdienste."
Doschd heißt übersetzt Regen. Schon einmal stand der Sender buchstäblich ohne Dach über dem Kopf da, als er gezwungen wurde, aus einer zentralen, hippen Innenstadtlage einige Kilometer Richtung Stadtrand auszuweichen. Es gibt keine Gewähr, dass er nicht doch noch gänzlich schließen muss. Die politischen Verhältnisse in Russland sind so, dass man besser jederzeit auch damit rechnet.