Zwei Szenarien hat das DIW untersucht: Einmal einen teilweisen Lieferstopp bei Erdgas, bei dem kein Gas mehr durch die Ukraine in die EU-Staaten flösse, und zweitens einen totalen Lieferstopp bei russischem Erdgas. Im ersten Fall – dem Ukraine-Szenario – wäre ungefähr die Hälfte des für die EU-Staaten bestimmten russischen Erdgases blockiert. Die Folgen für Deutschland wären aber verkraftbar. Zwar strömt immer noch die Hälfte des für die EU bestimmten russischen Erdgases durch die Ukraine als Transitland, aber dieses Gas geht zu einem Großteil nach Ost- und Südeuropa und gelangt nur zu einem geringeren Teil nach Deutschland.
Deutschland käme glimpflich davon
Hier bezieht man russisches Gas auch zu 30 Prozent über die Jamal-Pipeline, die über Weißrussland und Polen führt, und immerhin schon zu 16 Prozent über die neue Ostseepipeline. Deshalb käme Deutschland relativ glimpflich davon. Schlimmer wären dagegen die Folgen eines totalen Lieferstopps durch Russland. Aber auch das wäre verkraftbar, weil andere Länder einspringen könnten – und das auch kurzfristig, so Claudia Kemfert, Energieexpertin beim DIW:
"Das sind in erster Linie zwei Lieferländer, die auch kurzfristig liefern können: Nordafrika und Norwegen. Deren Anteil in beiden Szenarien zunehmen würde. Bei dem Ukraineausfall natürlich geringer als wenn Russland gar nichts mehr liefern würde. Auch hier zeigt sich, Norwegen hat ausreichend Potenziale, um noch mehr Gas nach Europa zu liefern. Genauso ist es bei Ländern aus Nordafrika. Die Potenzial haben, nach Europa liefern zu können."
Ein knapperes Gasangebot schlüge allerdings auf die Preise durch, doch auch hier das gleiche Bild: Spürbare würde nur ein totaler Ausfall der Erdgaslieferungen aus Russland:
"Das ist eine Größenordnung von 20 Prozent, die auftreten kann, wenn Russland gar kein Gas mehr liefern würde. im Ukraine-Fall ist es relativ harmlos, da passiert nicht sehr viel ..."
..was auch daran liegt, dass die Gasspeicher hierzulande nach dem milden Winter mit 40 Prozent immer noch gut gefüllt sind, weshalb jetzt im Sommer auch eine mehrmonatige Durststrecke verkraftbar wäre.
"Da wird im Winter etwas anders, aber wenn wir uns vorbereiten und die Gasspeicher füllen und mehr diversifizieren, wäre ein Ausfall kompensierbar, auch über einen längeren Zeitraum."
Allerdings könnten beide Szenarien möglicherweise Gedankenspiele bleiben. Denn Russland und die Ukraine suchen derzeit unter Vermittlung von EU-Energiekommissar Günter Oettinger nach einer Lösung im beiderseitigen Gasstreit. Gestern Abend einigten sich beide Seiten auf ein Lösungsmodell, bei die Ukraine zunächst bis Donnerstag 2 Mrd. Dollar an den russischen Gazprom-Konzern überweist, um den Großteil seiner Gasschulden zu begleichen. Denn könnten am Freitag in Berlin weiter verhandelt werden über den neuen Preis, den die Ukraine ab Juni für russisches Erdgas zu zahlen hat. IN einem dritten Schritt würde Kiew Anfang Juni weitere 500 Dollar zur Begleichung seiner Altschulden überweisen. Allerdings haben beide Länder sich bis morgen Abend Bedenkzeit auserbeten, ob sie auf diesen Lösungsweg einschwenken. Bis heute Mittag gab dafür jedoch keine Anzeichen – weder in Moskau noch in Kiew.