Schornsteine, Gewerbehallen, Armaturen – und überall Rohre. Sie kommen aus der Asphaltdecke, bilden torähnliche Durchfahrten für die Lkw, durchlaufen Tanks und überspannen das riesige Betriebsgelände mit einem engmaschigen Netz. Westeuropas größter Erdgasspeicher liegt in dem niedersächsischen Städtchen Rehden – und er erstreckt sich deutlich weiter als die oberirdischen Anlagen ahnen lassen. Betriebsleiter Andreas Schulz fährt mit ausgestrecktem Finger die Linie des Horizonts ab.
"Ja, das ist dann schon eine Dimension von 800 Hektar, die hier über ganz Rehden – oder die Gesamtgemeinde Rehden – verteilt ist. So in 2.000 Meter Tiefe. Egal in welche Richtung ich gucke, das ist hier alles Speicher."
Ein Landstrich auf Gas: Früher gab es an dieser Stelle ein natürliches Erdgasfeld. Seit dieses leergefördert ist, bietet das Porengestein des Untergrundes Speicherplatz für 4,4 Milliarden Kubikmeter Gas, das hauptsächlich durch norwegische und russische Pipelinenetze nach Deutschland strömt - genug, um zwei Millionen Einfamilienhäuser ein Jahr lang mit Erdgas zu versorgen. Schulz deutet auf ein mächtiges Rohr, das quer über das Gelände verläuft.
"Hier sehen wir jetzt die Fernleitungen, die hier jetzt praktisch ankommen. Eine Leitung, die aus Norden kommt, hier in den Speicher reingeht, und dann wieder rausgeht, und nach Süden weitergeht. Und aus der können wir Gas entnehmen, in den Speicher einbringen und auch wieder beim Auslagern zurückführen in die Fernleitung. Die hat dann noch alle möglichen Abgriffe – in Richtung Holland, in Richtung Osteuropa, in Richtung Südeuropa."
Seit ein paar Tagen läuft der Gasspeicher im Winterbetrieb: Das Erdgas wird nicht mehr ein-, sondern ausgespeichert. Für Schulz und sein 27-köpfiges Team ist die Umstellung Routine. Das Medieninteresse aber war in diesem Jahr gewaltig: Der Krieg in der Ost-Ukraine, die Sanktionen gegen Russland, die antiwestliche Propaganda der Kreml-treuen Medien – all das hat das Gasgeschäft zum Politikum gemacht. "Werden wir warm durch den Winter kommen, wenn der Transit durch die Ukraine gestört ist und Großlieferant Gazprom seinen westeuropäischen Kunden den Gashahn zudreht?", lautet die Frage dieser Heizsaison. Markus Radmacher, der beim Speicherbetreiber Astora den Bereich Operation leitet, kann beruhigen.
"Über den Winter kämen wir locker"
"Es gab ja auch in der Vergangenheit immer mal Perioden, wo für ein paar Tage irgendwelche Ausfälle waren. Auch von Norwegen, weil auf Plattformen gestreikt wurde. Dafür gibt es Speicher. Und ich kann mir jetzt auch kein Szenario vorstellen, warum man als russische Gesellschaft den Gashahn abdrehen sollte. Dann sägt man sich den Ast ab, auf dem man selber sitzt. Das ist eine enorme Einnahmequelle, Westeuropa. Über den Winter kämen wir locker. Und: Die Gefahr halte ich für nahezu ausgeschlossen."
In Sachen Russlandgeschäft ist Markus Radmacher Insider. Denn der Erdgashandelsgesellschaft Wingas, deren Tochter der Speicherbetreiber Astora ist, steht ein Besitzerwechsel bevor. Noch ist Wingas ein Gemeinschaftsunternehmen des russischen Staatskonzerns Gazprom und des deutschen Öl- und Gasproduzenten Wintershall. Doch die langjährigen Geschäftspartner haben einen Asset-Tausch vereinbart: Wingas wird in den kommenden Wochen vollständig an Russland übergehen – zusammen mit weiteren Beteiligungen am bislang gemeinsam betriebenen Erdgashandels- und Speichergeschäft. Im Gegenzug wird Wintershall an der Erschließung weiterer Blöcke von Erdgasfeldern in Westsibirien beteiligt. Deutsche Gasspeicher in den Händen von Gazprom: Für die Gaskunden der Astora sei das eine gute Nachricht, findet Radmacher.
"Ich sehe es eher positiv, dass wirklich ein Investor, der strategische Interessen hat, und nicht nur rein wirtschaftliche Interessen hat, hier auf dem deutschen Erdgasmarkt investiert. Ich sage mal, ein normaler Trader, eine Bank zum Beispiel, die haben diese strategischen Interessen nicht. Dem Trader ist es letztendlich völlig egal, was mit dem Erdgas passiert, und der hat auch kein ureigenes Interesse an Liefersicherheit. Sondern der will nur schnell Geld damit verdienen. Der kauft das Gas wenn es billig ist, speichert es ein, und wenn es wieder teuer ist, speichert er es wieder aus."
Der Gasgigant Gazprom – wofür steht er? Für Liefersicherheit, garantiert durch einen potenten Produzenten, der sein langfristiges Interesse an Deutschland und Europa immer wieder durch hohe Investitionen und enge Vernetzung unter Beweis gestellt hat? Oder für Abhängigkeit von einem Kreml-hörigen Staatskonzern, der in dem Ruf steht, sein Gas als politische Waffe einzusetzen und Staaten durch dubiose Preispolitik gefügig zu machen? Politik und Medien scheinen Gazprom zurzeit vor allem Schlechtes zuzutrauen. Darum lautet jetzt für viele das Gebot der Stunde: Gasgeschäft diversifizieren, und sich aus der Energieabhängigkeit von Russland lösen. Doch macht sich Deutschland schon deshalb zum Spielball von russischen Großmachtinteressen, weil es 38 Prozent seines Erdgasverbrauchs mit Importgas aus Russland deckt? Die Abhängigkeiten seien gegenseitig, gibt Energieexpertin Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zu bedenken. Denn in Russland stehen Renten, Sozialleistungen und die heimische Energieversorgung auf dem Spiel. Ganz zu schweigen davon, dass Gazprom für die kostspielige und langwierige Erschließung neuer Rohstoffvorkommen ein stabiles Finanzierungsumfeld braucht.
"Man muss das Ganze eigentlich als System Russland betrachten. Weil natürlich die Einnahmen aus den Öl- und Gasverkäufen tatsächlich zu über 50 Prozent den russischen Staatshaushalt füttern. Aber es ist natürlich ein Punkt: Wir sind kurzfristig verwundbarer. Wir sind kurzfristig exponierter, gerade mit Blick auf den Winter, mit Blick darauf, dass 50 Prozent unserer Heizungen fast auf Erdgas laufen. Dass wir strategisch relevante Gaskraftwerke haben. Da sind wir kurzfristig sehr verletzbar. Russland ist mehr mittelfristig, langfristig exponierter, was auch seinen Staatshaushalt angeht. Also wir haben eine gewisse Asymmetrie, wenn man so will, in der Verwundbarkeit."
Doch Pipelinenetze lassen sich nicht verlegen. Und seit im Mittleren Osten die Terrormiliz Islamischer Staat um wichtige Rohstofffelder und Raffinerien kämpft, schwinden auch dort die attraktiven Alternativen – woher also soll das Gas kommen, das den deutschen Energiemarkt vor übermäßigem russischem Einfluss schützt?
Ein Schäfer in langem Umhang schreitet über die Waldlichtung, hinter ihm eine riesige Herde mit mehreren hundert Tieren. "Ein starkes Stück Natur" – so locken Informationstafeln Besucher auf den "Moorerlebnispfad" in das Naturschutzgebiet. Doch die Naturlandschaft ist bedroht – das zumindest lässt das Logo mit der Roten Hand erahnen, das Spaziergänger an Verschlägen und Hauswänden entdecken können. Es ist das Zeichen der Bürgerinitiative "No Moor Fracking".
"ExxonMobil Production Bahrenbostel. Unbefugten ist das Betreten der Betriebsanlage verboten", droht eine Tafel auf einer nahegelegenen Wiese. Auf einer planierten Fläche steht ein Förderkreuz, das mit einer Absperrung umgeben ist. Als Corinna Sievers vor drei Jahren erfuhr, was der amerikanische Konzern vor den Toren ihrer Heimatstadt Wagenfeld plant, wurde die Verwaltungsfachangestellte zur Aktivistin.
"Hier sehen wir einen Bohrplatz, der nicht in Betrieb ist zurzeit, die Bohrung ist teilverfüllt worden, und ExxonMobil möchte hier ein Schiefergasfracking durchführen."
Ziel sei, so teilte der Konzern mit, eine bestehende Bohrung aus früherer Zeit über eine etwa 1.100 Meter lange Horizontalstrecke in die rund 1.000 Meter tiefe Erdgaslagerstätte abzulenken. Anschließend seien Frac-Maßnahmen vorgesehen. Zwar hat Niedersachsen seit 2011 keine Fracking-Genehmigungen mehr erteilt. Sollte sich diese Politik aber ändern, wäre das sensible Ökosystem Moor bedroht, fürchtet Corinna Sievers: Durch die eingesetzten Frac-Chemikalien, aber auch durch Schwermetalle wie Quecksilber und die radioaktiven und krebserzeugenden Stoffe wie Benzol, die zusammen mit dem Schiefergas aus der Tiefe heraufgefördert werden könnten.
Corinna Sievers: "Wir sind der Meinung, dass das weder zur Energieversorgung noch zur Unabhängigkeit vom russischen Gas beitragen wird, das Fracking, was hier in Deutschland stattfinden soll. Das reicht gerade vielleicht, möglicherweise, um die derzeitige Förderquote in Deutschland aufrecht zu erhalten. Nur auf der anderen Seite würde das auch bedeuten, das wirklich großflächig zu erschließen. Alle zwei Kilometer ein Bohrplatz mit entsprechend vielen Bohrungen und noch mehr Fracks und entsprechend Wasserverbrauch. Und anschließend muss dieses ganze Lagerstättenwasser- plus Frac-Fluid-Brühe irgendwo entsorgt werden".
Nachdenklich blickt die Aktivistin einem Schwarm Kraniche hinterher, der in den Diepholzer Moorniederungen Rast gemacht hat. Jetzt zieht er in Pfeilformation davon, in Richtung Süden. Für die Erdgasproduzenten in Deutschland – so viel ist sicher - kommt die innovative Bohrtechnik wie gerufen. Früher konnte Deutschland phasenweise bis nahezu ein Viertel seines Gasverbrauchs aus heimischen Ressourcen decken. Im Jahr 2013 dagegen waren es nur noch zwölf Prozent. Hartmut Pick, Sprecher des Wirtschaftsverbandes Erdöl- und Erdgasgewinnung in Hannover, sieht im Fracking eine Überlebensmöglichkeit für die heimische Gasförderung. Immerhin geht es um 700 bis 2.300 Milliarden Kubikmeter Erdgas.
"Zur Einordnung: Wir verbrauchen im Moment jedes Jahr 100 Milliarden Kubikmeter und fördern zehn Milliarden Kubikmeter. Das heißt, auf jetzigem Niveau könnte das Schiefergas für viele Jahrzehnte eine Basis für die Produktion sein. Und auch auf einem höheren Niveau viele Jahrzehnte uns versorgen."
Auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Umweltministerin Barbara Hendricks haben lange um einen Kompromiss zwischen Umweltschutz und Versorgungssicherheit gerungen. Von dem, was bislang dabei herausgekommen ist, zeigen sich Umweltschützer enttäuscht. Der Gesetzentwurf, der jetzt zur Ressortabstimmung im Bundeskabinett liegt, erklärt das Fracking zur Erdgasgewinnung oberhalb von 3000 Meter Tiefe zwar eigentlich für unzulässig. Erkundungsbohrungen aber sollen erlaubt werden. Und sogar Frac-Bohrungen mit kommerziellem Ziel können genehmigt werden, sofern sie von einer Expertenkommission mehrheitlich für unbedenklich erklärt werden. Der Industrievertreter Pick dagegen hofft auf einen großen Schritt in Richtung Importunabhängigkeit.
"Die USA haben uns gezeigt, dass eine Produktion im Inland geeignet ist, den Preis für das Gas zu senken. Und auch Studien zeigen, dass eine Erschließung der Schiefergaspotenziale - da muss man über Europa reden, nicht über Deutschland - durchaus das Potenzial haben, den Erdgaspreis zu senken in Deutschland."
Heimisches Fracking könnte russische Gaslieferungen keinesfalls ersetzen
Kann Fracking-Gas zu vergleichbaren Kosten gefördert werden wie Gas aus konventionellen Bohrungen? Sind die Umweltrisiken beherrschbar? Einig sind sich Experten bislang nur in einem Punkt: Es besteht weiterer Forschungsbedarf. Klar ist allerdings, dass das Frac-Verfahren aufwendig ist und dass die Ausbeute pro Bohrung in der Regel deutlich geringer ausfällt als bei der konventionellen Förderung. Selbst wenn es großflächig betrieben würde, könnte Schiefergas aus Deutschland nur Importschwankungen abfedern. Keinesfalls könnte es Pipelinegas aus Russland ersetzen.
Schwer hängt der Novemberhimmel über der Nordsee. In Windjacke steht der Bundestagsabgeordnete Hans-Werner Kammer am Ende des Bootsstegs und genießt den Wilhelmshavener Seewind. Seine Augen suchen den Horizont: Kammers Vision sind gigantische Tanker, die – aus Nordafrika, Katar oder den USA kommend – Wilhelmshaven ansteuern. Sie sollen verflüssigtes Erdgas bringen, das hier in einem Terminal in Gas zurückverwandelt, und dann ins deutsche Netz eingespeist wird - flexibel nach Tagesbedarf und ohne jede Anbindung an ein Pipeline-Netz.
"Für Wilhelmshaven wäre es hervorragend, wir brauchen jeden Arbeitsplatz. Und wir haben hier die optimalen Voraussetzungen, ein solches Terminal einzurichten."
Flüssiggas als flexible Lösung?
Seit 2005 sitzt Kammer für die CDU im Bundestag, in der Kommunalpolitik aber engagiert er sich bereits seit über 35 Jahren. In dieser Zeit hat er viele industrielle Großprojekte scheitern sehen – darunter die Idee für ein Gas-Terminal in Wilhelmshaven. In den 1970er-Jahren, zu Zeiten der Ölkrise, hatte der Energiekonzern E.ON das Bauvorhaben angestoßen, im Jahr 2008 hat er es wieder begraben: Der Gasbedarf in Deutschland entwickelte sich geringer als prognostiziert, und die bestehenden Terminals boten mehr als genug Kapazitäten. Jetzt aber ist Energiesicherheit wieder ein großes Thema im Bundestag – und Kammer stößt auf interessierte Zuhörer, wenn er Werbung macht für das 84-Hektar-Gelände nahe dem JadeWeserPort, das nach wie vor auf eine Bebauung wartet.
"Die Voraussetzungen in der Fläche, die E.ON mal gesichert hat, wären gegeben. Es sind alle Abstände eingehalten, es ist alles geprüft worden in der Planfeststellung, sodass man einen Anleger wie zum Beispiel am Ölhafen oder bei der ehemaligen Raffinerie in die Jade hineinbauen konnte, und dort konnten dann auch die Schiffe entsprechend anlegen."
Liquefied Natural Gas, kurz LNG: Wenn man Erdgas auf minus 161 Grad herunterkühlt und so in einen flüssigen Zustand versetzt, kann man es verschiffen. Und Transportschiffe können – im Gegensatz zu Pipelines – ihre Route je nach Marktlage ändern. Daher gilt LNG als hochflexibler Rohstoff, zumal sein Preis nicht an langfristige Lieferverträge gebunden ist, sondern am Spotmarkt verhandelt wird. Doch die Rechnung hat einen Pferdefuß: Der Betrieb von Terminals und der Transport in Spezial-Kühltankern ist aufwendig und teuer. Schon die bestehenden LNG-Terminals in Europa sind nicht ausgelastet. Dieses Argument aber lässt Kammer nicht gelten: Ihm geht es um Versorgungssicherheit, nicht um Wirtschaftlichkeit.
"LNG ist wirtschaftlich nicht gegenüber dem Normalgas rechenbar. Und von daher sagt die Wirtschaft: 'Nö, das wollen wir nicht. Wir nehmen lieber, solange wir das noch bekommen können, das günstigere Gas'. Ich bin aber der Ansicht, dass auch die Wirtschaft Verantwortung zeigen muss und sagen muss: 'Wir brauchen auf Dauer auch eine sichere Energiequelle, eine sichere Belieferung'. Denn davon leben wir letztendlich."
LNG - nicht als Alternative zum Pipeline-Gas, sondern als Notnagel bei Energieengpässen und als strategische Karte im Verhandlungspoker mit Russland. Doch werden die Energiekonzerne bereit sein, Milliardenbeträge zu investieren, wenn noch nicht einmal klar ist, ob der deutsche Markt dieses Gas zum angebotenen Preis überhaupt abnimmt? Da sieht Kammer den Staat in der Pflicht.
"Ein solches Terminal muss von der Wirtschaft gebaut werden. Es wird nicht vom Staat gebaut werden können. Und da fehlt einfach nach wie vor zurzeit noch der Kick, das Interesse, dort etwas zu machen. Wir müssen im Bundestag herangehen, denn die Steuerermäßigungen für Flüssiggas laufen 2018 aus. Der Impuls muss von der Politik ausgehen."
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich schon vor Jahren positiv über ein eigenes deutsches LNG-Terminal geäußert. Denn tatsächlich hat die US-amerikanische Schiefergasrevolution den LNG-Markt in Bewegung gebracht. Analysten sagen ab 2020 sogar einen Überschuss von verflüssigtem Erdgas voraus, von dem Europa durchaus profitieren könnte. Energieexpertin Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik bleibt trotzdem skeptisch.
"Natürlich schafft LNG, schaffen LNG-Terminals mehr Flexibilität für den europäischen Markt. Aber wirklich dazuzukommen, russisches Pipelinegas in großen Mengen zu ersetzen, für ganz Europa – das wäre unverhältnismäßig teuer."
Deutschlands Gasbedarf stagniert seit Jahren
Wie viele LNG-Terminals Europa auch immer baut: Die energiehungrigen asiatischen Tigerstaaten werden für Energieexporteure wohl für lange Zeit die attraktiveren Kunden bleiben - allein schon deshalb, weil diese mangels Alternativen oft die besseren Preise zahlen. In Europa dagegen gilt der Gasmarkt als weitgehend gesättigt. In Deutschland etwa stagniert der Bedarf seit Jahren: Die Winter werden wärmer, Hausbesitzer dämmen ihre Eigenheime, und Strom aus erneuerbaren Energien verdrängt die Elektrizität aus Gaskraftwerken. Tatsächlich haben in den vergangenen Jahren dezentrale Maßnahmen einen hohen Anteil an Öl- und Gas-Importen überflüssig gemacht. Und genau dort liegt für die SWP-Expertin Westphal die größte Chance, sich aus der Importabhängigkeit zu lösen: Energieeinsparungen, mehr Energieeffizienz, der Ausbau heimischer, erneuerbarer Energieträger – und das alles unterstützt durch Erdgas, das aus Pipelines kommt. Im Notfall auch aus Russland. Eine forcierte Abkopplung von Gazprom, glaubt sie, wäre kein Gewinn an Versorgungssicherheit, sondern eine Verschiebung von Risiken.
"Das Langfrist-Ziel im Energiesektor muss ganz klar sein, die Beziehungen zu erhalten. Im ureigenen wirtschaftlichen energiepolitischen Interesse sollte man wirklich gucken, dass die Energiebeziehungen mit Russland möglichst wenig belastet werden."