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Russland als Rechtsstaat auf dem Prüfstand

Seit anderthalb Jahren sitzt der russische Öloligarch Michail Chodorkowskij im Moskauer Gefängnis "Matrosenruhe". Die Staatsanwaltschaft wirft ihm und der von ihm geleiteten Ölgesellschaft Jukos Steuerhinterziehung, Betrug und Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Am 27.4. sollte das Urteil gesprochen werden.

Von Isabella Kolar |
    Am Montag, dem 11. April 2005, steht Michail Chodorkowskij, einst reichster Mann Russlands, im überfüllten Gerichtssaal in Moskau und hält seine letzte Rede. Wie ein Schwerstkrimineller steht er dabei in dem großen Gitter-Käfig, an den er sich in den vergangenen Monaten wohl immer noch nicht gewöhnt haben mag. "Ich liebe Russland" sind seine ersten Worte. Die Rede dauert 40 Minuten und danach brandet Applaus auf. Applaus der Journalisten, Anwälte und ganz normalen Bürger, die schon frühmorgens stundenlang gewartet haben, um einen Platz im Saal zu ergattern. Es ist keine Verteidigungsrede für das Gericht gewesen. Chodorkowskij weiß, egal was er sagt, die Entscheidung über sein Schicksal ist schon längst gefallen. Ganz woanders. Nein, er redet ein letztes Mal kämpferisch für die Öffentlichkeit. Er weiß, dass das, was er jetzt sagt, danach in Zeitungen gedruckt, im Internet und im Radio zitiert werden wird, in Russland, aber auch im ganzen Ausland. Ein letztes Mal kann er sich erklären, rechtfertigen und ein letztes Mal hört man ihm aufmerksam zu. 400 Bände umfassen die Akten, die die Schuld von Chodorkowskij und seines Geschäftspartners Platon Lebedjew beweisen sollen. Zehn Jahre Arbeitslager fordert die Staatsanwaltschaft. Und sie rechnet sich gute Chancen aus. Wie hatte doch der russische Präsident Vladimir Putin im Juni 2003 zu Prozessbeginn erklärt:

    " Das Signal, das von dem Prozess ausgeht: man darf nicht stehlen, alle müssen sich dem Gesetz unterordnen, unabhängig von ihrem Posten und den Milliarden auf dem Privatkonto. Nur das Gericht soll seine Entscheidung treffen."

    Das Gericht: Das ist in erster Linie die vorsitzende Richterin Irina Kolesnikowa. Sie hat jetzt eine große Verantwortung - meinen alle, die den Prozess beobachtet haben. Aber wie wird sie entscheiden? Kann SIE überhaupt allein entscheiden wie Putin behauptet? Der Markt der Spekulationen blüht, obwohl doch alles so klar zu sein scheint. Michail Deljagin, der Direktor des Instituts für Modernisierung und Ex-Berater des russischen Premierministers:

    " Jetzt haben wir die einmalige Situation, dass Richterin Kalesnikowa stärker ist Präsident Putin. Denn sie trifft die Entscheidung. Wir wissen, dass vom juristischen Standpunkt aus in diesem Prozess überhaupt nichts bewiesen wurde. Wenn der Anklage jetzt stattgegeben wird, dann ist es Richterin Kalesnikowa, die den Stellenwert russischer Gerichte als von der Macht abhängige Instanzen festschreibt."

    Nach Ansicht von Jewgenij Jasin, dem ehemaligen liberalen Wirtschaftsminister unter Jelzin, ist der Ausgang des Jukos-Prozesses weit weniger offen. Für ihn ist klar: es gibt einen Schuldspruch und er weiß auch warum:

    " Die Aufgabe der Gerichte ist es, die Anweisungen des Staates zu befolgen. Man gehorcht, wenn jemand von den Leuten anruft, von denen man sich Vorteile erhofft oder die einem sonst Unannehmlichkeiten bereiten könnten. Das ist eine alte sowjetische und auch russische Tradition."

    Das Gericht also als das traditionell ausführende Organ der Staatsgewaltigen. Doch warum sollten bei Irina Kolesnikova in diesen Tagen die Telefondrähte glühen? Warum sollte sie angerufen, warum sollte sie unter Druck gesetzt werden? Was macht diesen Fall so dringlich? Den Fall Chodorkowskij sehen viele als Wendepunkt in Russlands postsowjetischer Geschichte, als den politischen Schlüsselprozess in der Amtszeit Putins. Es geht um einen Kampf zwischen zwei Clans, zwei Fraktionen im Kreml und dieser Kampf wird - so sieht es Chodorkowskij selbst und so sehen es auch viele unabhängige Beobachter - exemplarisch auf dem Rücken von Chodorkovskijs Energie-Konzern Jukos ausgetragen.

    Hauptakteure dabei sind die berühmt-berüchtigten Oligarchen Russlands. Oligarch - das Wort kommt vom griechischen "Oligopol", der "Herrschaft der Wenigen" und spielt auf die Machtfülle dieser Geschäftsleute an. Es gibt derer zwei Sorten: diejenigen, die während der Privatisierung des sowjetischen Staatsvermögens in den 90er Jahren mit meist dubiosen Mitteln ihre riesigen Privatvermögen angesammelt haben. Dies sind die so genannten "kommerziellen Oligarchen". Ende der 90er Jahre bekamen sie Konkurrenz durch die so genannten "Siloviki"-Oligarchen, die ihren Profit über die Kontrolle von Militär und Geheimdiensten machen. In deren Fadenkreuz rückten die Besitzstände der kommerziellen Oligarchen, sie versuchten sich deren finanzieller Ressourcen zu bemächtigen. Friedvolle Koexistenz der zwei Gruppen war unter solchen Umständen nicht möglich. Auf der einen Seite standen also Männer wie Abramowitsch, Friedman, Potanin und Deripaska, jeweils mehrere Milliarden Dollar reiche Geschäftsleute, ihnen gegenüber die Alt-KGBler in Militär und Geheimdienst wie Verteidigungsminister Iwanow, Präsidentenberater Setschin und Geheimdienst-Chef Patruschev. Wer würde gewinnen? - Jewgenij Jasin:

    " Eine dieser Gruppen tritt ein für die Liberalisierung der Wirtschaft und für engere Beziehungen mit dem Westen. Deshalb will sie Kapital von außen ins Land holen, um von den besten ausländischen Technologien zu profitieren. Und die andere Gruppe denkt, dass das Wichtigste die Sicherheit und die Souveränität des eigenen Landes ist und dass die Souveränität Russlands von außen bedroht wird."

    Die Souveränität Russlands - so klingt es besser, aber eigentlich meinen die Siloviki - zu deutsch in etwa: "Die Vertreter der bewaffneten Staatsmacht" - damit nur ihre eigenen Besitzstände. Und die sahen sie in Gefahr, weil sich da einer in den Vordergrund spielte, der das gesamte System in Frage zu stellen begann: Der junge aufstrebende, talentierte Unternehmer Michail Chodorkowskij. Auch er hatte in den 90er Jahren sein Vermögen gemacht, wohl auch nicht immer mit lupenrein-rechtmäßigen Methoden, eben am Rande jener Legalität, die es damals eigentlich sowieso nicht gab. Vor zehn Jahren kaufte Chodorkowskij die Ölfirma Jukos für 410 Millionen Dollar, die acht Jahre später fast das 90fache wert war - an die 36 Milliarden und drei Milliarden Dollar Gewinn im Jahr machte. Die Gesetze waren unvollkommen und widersprüchlich, und Politiker und Beamte interessierten sich bei der Anteilsvergabe vor allem dafür, selbst nicht zu kurz zu kommen. Festzuhalten bleibt: Chodorkowskij wurde zu einem der großen Privatisierungsgewinnler unter Präsident Jelzin, er machte Jukos zum erfolgreichsten Öl-Konzern Russlands, der in seinen besten Zeiten weltweit jede fünfte Tonne Öl förderte. Doch dann macht Chodorkowskij einen entscheidenden Fehler. Er wandelt sich im Jahr 2000, schon zur Zeit Putins, vom kommerziellen Oligarchen zu einem modernen Wirtschaftsführer westlichen Zuschnitts. Er schafft in seinem Konzern Jukos vorbildliche Transparenz, während sich die meisten der russischen Großfirmen weiterhin verschlossener geben als die Geheimdienstzentrale. Er holt sich internationale Buchprüfer und amerikanische Techniker ins Haus, mit deren Fachwissen er seine Ölfelder schneller und ergiebiger ausbeuten möchte. Er ist der Prototyp einer neuen russischen Business-Generation. Und er hat damit Erfolg, was sein Modell attraktiv auch für andere russische Unternehmer macht. Das aber bedeutet für die anderen: Gefahr. Gefahr für das ausgeklügelte System der Siloviki. Aleksej Kondaurov, 20 Jahre KGB-General und heutiger kommunistischer Dumaabgeordneter, weiß auch warum:

    " Wenn ein Unternehmen transparent ist, wenn dort westliche Managementmethoden angewandt werden, dann wird es unabhängiger vom Staat. Wenn es dunkle Geschäfte in einem Unternehmen gibt, dann fällt es dem Staat leichter, es zu manipulieren."

    Manipulation und Korruption in Russlands Wirtschaft brauchen das Geheimnis, die Verschleierung. Warum soll man gierigen Beamten noch die so genannten Vsjatki, sprich "Schmiergelder" bezahlen, wenn die eigenen Bilanzen jedermann zugänglich sind und man nichts mehr zu verbergen hat? Dieses Beispiel sollte lieber nicht Schule machen.

    Dazu kam noch: der wirtschaftliche Erfolg machte Chodorkowskij unvorsichtig. In Gegenwart von Präsident Putin kritisierte er die Korruption im Land und beschimpfte die Bürokratie. 2003 bekannte er öffentlich, Oppositionsparteien wie "Jabloko" und die SPS, die "Union rechter Kräfte", mit Spenden zu unterstützen. Jetzt sahen die Siloviki ihre Chance gekommen. Sie hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Einfluss genommen auf die Waffenindustrie, die Wodkaproduktion und das Netz der Ölpipelines. Noch lukrativer aber waren der Verkauf von Öl und Gas. Da kam der Ölkonzern Jukos gerade recht.

    Die Siloviki mussten es nur noch ihrem alten Berufskollegen, dem Staatsoberhaupt, beibringen. Putin ist ausgebildeter Geheimdienstmann, ein früherer KGB- Offizier. Während seiner Amtszeit hat ein erheblicher Elitenwechsel stattgefunden. Jeder Vierte der leitenden Staatsposten ist inzwischen in der Hand von Ex-Offizieren, in den neu geschaffenen Verwaltungsbezirken dienen bis zu 70 Prozent ehemalige Geheimdienstler. Es war offenbar nicht schwer, Putin davon zu überzeugen, dass Chodorkowskij eine Gefahr darstellte. Angeblich auch für ihn, für Putin persönlich. Es wurden und werden in Moskau hartnäckig Gerüchte kolportiert, Chodorkowskij hätte politische Ambitionen gehabt, hätte gar 2008 als Präsidentschaftskandidat antreten wollen. Chodorkowskij selbst hat dies übrigens stets vehement dementiert.

    Aber so konnten die Siloviki Putin mit dem Jukos-Konzern nicht nur einen guten Fang für den vom Öl-Export abhängigen russischen Staat präsentieren, sondern ihn zugleich mit der Beseitigung eines womöglich chancenreichen politischen Konkurrenten locken. Der fällige Deal im Kreml - so pfiffen es bald die Spatzen von den Dächern Moskaus - war rasch beschlossen, Chodorkowskijs Schicksal besiegelt; jetzt galt es, das Ganze der Welt als eine Aktion zum Wohle Russlands zu verkaufen. Es schlug die Stunde der Steuerbehörden. Im Oktober 2003 wurde Chodorkowskij überfallartig am Flughafen Novosibirsk unter dem Vorwurf des Betrugs und der Steuerhinterziehung festgenommen. Stolze 28 Milliarden Dollar sollte Jukos, der größte Steuerzahler des Landes, letztlich nachzahlen, wurde zugleich aber durch Einfrieren von Aktien und Bankguthaben daran gehindert. Und heute - 400 Aktenbände und anderthalb Jahre später - wie lautet das Ergebnis der Untersuchungen und des Prozesses? Chefankläger Schochin verkündete es vor zwei Wochen im russischen Fernsehen:

    " Die Beweise, die im Verlauf des Prozesses gesammelt wurden, legen überzeugend dar, dass die Angeklagten Chodorkowskij und Lebedjew Straftaten begangen haben. Sie haben - zig Milliarden Rubel unterschlagen. Die Unterschlagung und die Struktur dieser kriminellen Gruppe, die sie anführten, machen diesen Prozess einmalig. Auf der Grundlage der gesammelten Beweise gehen wir davon aus, dass es einen Schuldspruch und eine angemessene Strafe für die Angeklagten geben wird."

    Schon gestraft war zu diesem Zeitpunkt die russische Wirtschaft. Das offensichtlich politisch motivierte und nicht juristisch legitimierte Losschlagen der Steuerbehörden gegen ein erfolgreiches Unternehmen - es hatte katastrophale ökonomische Folgen. Der Ökonom Michail Deljagin:

    " Im Ergebnis war Russland als interessanter Ort für ausländische Investitionen komplett diskreditiert. Russland hat 2004 die Chance gehabt, ein Paradies für Investoren zu werden. Auf den Weltmärkten gab es in dieser Zeit eine ungeheure Menge an Kapital, es gab den Bedarf nach neuen Märkten. Und von allen neuen Märkten war Russland der bekannteste und interessanteste. Der Jukos-Prozess hat die Anstrengungen einer ganzen Generation von Managern und Beamten einfach zunichte gemacht. Das Kapital flieht aus Russland."

    In Zahlen ausgedrückt heißt das: allein im vergangenen Jahr flossen nach offiziellen Angaben knapp acht Milliarden Dollar außer Landes. Die Ölbranche zögert zur Zeit mit Investitionen, die nötig wären, um vor allem bereits in der Sowjetunion erschlossene Felder auszubeuten. Das Wirtschaftswachstum sank wegen steigender Produktionskosten und der Verunsicherung der Unternehmer im ersten Vierteljahr 2005 deutlich. Die Ölförderung wird in diesem Jahr vermutlich nur noch um knapp vier Prozent steigen. Vor zwei Jahren waren es noch elf Prozent. Die beiden liberalen Minister in Putins Regierung, Kudrin, Finanzen, und Gref, Wirtschaft, raufen sich inzwischen schon öffentlich die Haare, ob des durch den Einfluss der Siloviki verursachten Schadens.

    Welches Unternehmen konnte noch sicher sein, sich nicht doch plötzlich auf der gleichen "Schwarzen Liste" wie Jukos wieder zu finden? Dieses Risiko war vielen zu groß. Zu Recht, findet der ehemalige Wirtschaftsminister Jasin, denn er weiß, der russische Präsident Putin ist ein unberechenbarer Kandidat zwischen den Fraktionen im Kreml:

    " Putin neigt sich mal zur einen und dann wieder zur anderen Seite. 2003 hat er sich auf die Seite der Siloviki gestellt, die ihn zu Anfang des Jahres zu einer Reihe von Maßnahmen überredet haben, deren Resultat die Attacke auf Jukos und die Inhaftierung von Chod0rkowskij war. Aber dann hat er die Reaktion der Wirtschaft darauf beobachtet und das sinkende Ansehen Russlands im Ausland, und er neigte sich wieder der Seite der Liberalen zu."

    Seinen Optimismus gründet Jasin auf ein Treffen Putins mit der Gruppe der "kommerziellen Oligarchen" zu Beginn dieses Monats. Dort machte Putin diesen ein Friedensangebot und versprach, dass sich die Behörden bei der Untersuchung von Privatisierungsgeschäften künftig nur noch auf die letzten drei Jahre beschränken wollen statt wie bislang auf die vergangenen zehn Jahre. Doch dieses Angebot gleicht einer Mogelpackung. Denn dank der gesetzlichen Verjährungsfrist von zehn Jahren wird der Großteil der strittigsten Privatisierungen aus der räuberischen Phase bis 1996 ohnehin bald unantastbar werden.

    "Einen Fall Jukos wird es nicht mehr geben" gelobte Putin zudem bei der April-Konferenz im Kreml, und die sich verschlechternden Wirtschaftszahlen dürften dabei eine Rolle gespielt haben. Damit gab er auch indirekt zu, dass es eine "Lex Jukos" gibt, das Vorgehen der Steuerbehörden also als illegal bezeichnet werden kann. Denn entweder ein Gesetz gilt für alle - oder für niemanden. Bleibt Jukos somit wirklich ein Einzelfall? Die Politologin Lilia Schwezowa:

    " Auch nach dem Treffen Putins mit den Oligarchen tauchten Steuernachzahlungsforderungen für andere Unternehmen auf. Zum Beispiel für BP-TNK für das Jahr 2001. Das jetzige Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat ist so, dass der Staat bei jedem Unternehmen einen Grund zur Beschwerde finden und anschließend dort auch die Kontrolle übernehmen kann. Jukos ist kein Einzelfall, er steht symptomatisch für eine bestimmte Tendenz: der Staat will die Kontrolle über die Wirtschaft, damit er den Bereich der Korruption ausdehnen kann."

    Die Siloviki überlassen den kommerziellen Oligarchen und den Liberalen in der Regierung wie Gref und Kudrin auch jetzt das Feld nicht kampflos. So flattern in diesen Wochen immer weiteren russischen Großunternehmen Steuernachforderungen in den Briefkasten: den Ölgesellschaften TNK-BP und Sibneft, dem Mobilfunkkonzern Vimpelcom und dem Tabakriesen Japan Tobacco. Der Vorwurf jeweils: Verdacht auf Steuerhinterziehung. Keine guten Aussichten für all jene, die ihr Geld in Russland anlegen möchten. Dabei hatten noch vor zwei Wochen Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin auf der Hannovermesse erklärt, dass die gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen noch nie so gut gewesen seien. Der Zukunftsmarkt Russland boome und locke deutsche Investoren. Vor allem die Manager von Siemens dürften sich inzwischen erstaunt die Augen reiben: Nur zwei Tage nach der Messe wurde Siemens der Kauf eines russischen Energietechnikunternehmens verboten. Obwohl - so meint zumindest Robert Amsterdam, der kanadische Anwalt von Michail Chodorkowskij -, der deutsche Bundeskanzler doch - fast - alles tut, um es sich mit seinem Freund Vladimir Putin nicht zu verscherzen. Schon sehr früh hatte der Kanzler, beraten von deutschen Wirtschaftsbossen, Jukos zu einer "innerrussischen Angelegenheit" erklärt. Robert Amsterdam kritisiert ihn scharf dafür:

    " Kanzler Schröder ist der Propagandist des Kreml. Er hat seine gesamte Glaubwürdigkeit verspielt, indem er sie in gute Beziehungen mit Herrn Putin investierte. Er hat die russische Menschenrechtsbewegung verraten und verkauft. Und er hat seine eigene Legitimität katastrophal ruiniert, indem er alle deutschen Tugenden von Gesetz und Menschlichkeit vergisst und den Opportunisten gibt. Er tut alles, um den Kreml freundlich zu stimmen, damit er für die deutsche Wirtschaft gute Aufträge an Land zieht."

    Amsterdam hat es sich zum Ziel gesetzt, im Bundestag einen Untersuchungsausschuss auf die Beine zu stellen, der die Verwicklungen des Bundeskanzlers und der deutschen Banken in den Fall Jukos untersucht. Der Vorwurf: Die deutsche Regierung habe ihren guten Ruf in internationalen Finanzkreisen genutzt, um der russischen Regierung bei der Zerschlagung des Jukos-Konzerns zu helfen. Amsterdam beschuldigt zudem die zwei deutschen Finanzhäuser "Dresdner Kleinwort Wasserstein" und die Deutsche Bank, an der Zerschlagung von Jukos beteiligt gewesen zu sein, mit der Unterstützung des Kanzlers. Die deutschen Banken hätten ohne Rücksicht auf internationale Standards der Rechtsstaatlichkeit ein gutes Geschäft machen wollen.

    Er wird lange keine Geschäfte mehr in Russland machen: Der 41jährige Michail Chodorkowskij erwartet morgen im Meschanskij-Gericht in Moskau sein Urteil. Zehn Jahre Arbeitslager sind gefordert - niemand rechnet mit einem Freispruch, die Spekulationen reichen von fünf bis zu den geforderten maximalen zehn Jahren. Wie sagte doch Michail Chodorkowskij in seiner letzten Rede vor Gericht am 11. April:

    " Ich bin stolz auf meine Arbeit der vergangenen 15 Jahre. Ich habe weder die Sowjetunion zerstört noch die sowjetische Industrie ruiniert. Ich habe diese Industrie aufgebaut. Ich bin stolz darauf, dass ich als einer der ersten in Russland zur Transparenz in der Wirtschaft aufgerufen habe. Damit waren wir ein Vorbild für die ganze russische Wirtschaft. Ich hoffe sehr, dass der heute endende Prozess die Situation und die öffentliche Meinung darüber ändert. Ich glaube daran, dass mein Land, Russland, ein Land der Gerechtigkeit und des Gesetzes werden wird."

    Sollte es tatsächlich einen Wandel in der russischen Wirtschaftspolitik geben - für Chodorkowskij wird er zu spät kommen. Richterin Irina Kolesnikowa wird die Rolle spielen, die man von ihr erwartet. Alles andere wäre eine riesige Überraschung. Eine Überraschung und eine Freude vor allem für Chodorkowskijs Eltern: Marina Filippowna und Boris Moiseevitsch haben bereits erklärt, dass sie mit ihrem Sohn gehen werden. Und sei es bis nach Sibirien.