Der Kremlkritiker Michail Chodorkowski ist nach zehn Jahren im russischen Gefängnis wieder in Freiheit und sogleich nach Deutschland ausgereist. Der 50-Jährige landete am Freitagnachmittag auf dem Flughafen Schönefeld in Berlin und wurde dort von Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) in Empfang genommen.
Genscher hatte sich hinter den Kulissen schon länger um die Freilassung Chodorkowskis bemüht und dazu nach eigenen Angaben auch zweimal den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu Gesprächen getroffen. Chodorkowski kam mit einem Firmenflugzeug, das Genscher organisiert hatte, nach Berlin. Auch die deutsche Botschaft in Moskau und das Auswärtige Amt sollen an der Ausreise beteiligt gewesen sein.
Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte die Freilassung Chodorkowskis und dankte dem ehemaligen Außenminister für sein Bemühen um dessen Freilassung. Auch Merkel hatte sich in den vergangenen Jahren mehrfach bei Putin für die Freilassung des ehemals reichsten Manns Russlands eingesetzt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach angesichts der Freilassung von einer "guten Nachricht".
Genscher: "Chodorkowski ist erschöpft, aber glücklich"
Chodorkowski hat offenbar im Berliner Hotel "Adlon" eingecheckt. Genscher verließ das Hotel am frühen Abend. Er sagte "Spiegel Online", dem Putin-Kritiker gehe es den Umständen entsprechend gut. Chodorkowski sei "erschöpft, aber sehr glücklich, endlich in Freiheit zu sein". Dieser wolle sich nun zunächst zurückziehen und ausruhen. Welche Pläne er habe, und ob er in Deutschland bleiben wolle, wisse er nicht.
"Vor allem freut er sich darauf, dass er seine Familie in wenigen Stunden wie erhofft in seine Arme schließen kann", sagte der FDP-Ehrenvorsitzende im ARD-Fernsehen. Nach Aussage Genschers will die Mutter des Putin-Gegners, Marina Chodorkowskaja, am Samstag nach Berlin kommen, um ihren Sohn nach den Jahren der Haft wiederzusehen.
Die russische Strafvollzugsbehörde in Moskau hatte zuvor mitgeteilt, Chodorkowski habe um die Ausreise nach Deutschland gebeten, weil dort seine krebskranke Mutter behandelt werde. Chodorkowskis Mutter selbst sagte dagegen der Staatsagentur Itar-Tass, sie sei zurzeit in Russland, aber vor einiger Zeit in Deutschland behandelt worden.
"Kein Schuldeingeständnis"
Der frühere Öl-Milliardär hat nach eigenen Angaben keine Absprache über eine Schuld als Bedingung für seine Begnadigung getroffen. Diese Frage habe sich nicht gestellt, so Chodorkowski in einer ersten Mitteilung nach seiner Freilassung. Er habe sich Mitte November an den Präsidenten gewandt - mit der Bitte um Gnade angesichts familiärer Umstände und freue sich über die positive Entscheidung. Chodorkowski dankte seinen Unterstützern und vor allem Genscher.
Putin hatte einen Tag nach der überraschenden Ankündigung der Amnestie Chodorkowskis die Begnadigungsurkunde des früheren Öl-Magnaten unterzeichnet. Auf Grundlage der Prinzipien der Humanität befreie er Chodorkowski von seiner weiteren Haftstrafe, hieß es in dem Erlass.
Der schärfste Gegner Putins war seit 2003 in Haft, die regulär im August nächsten Jahres enden sollte. Der frühere Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos war damals festgenommen und zwei Jahre später zusammen mit seinem Geschäftspartner Platon Lebedew wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu langjähriger Haft verurteilt worden. Der Prozess gegen ihn wurde international als politisch motiviert kritisiert.
Spielte Sotschi eine Rolle?
Putin hatte am Donnerstag auch die Freilassung der beiden inhaftierten Mitglieder der Punk-Band Pussy Riot angeordnet. Möglich machte dies eine Massen-Amnestie, die das Parlament am Mittwoch gebilligt hatte. Offizieller Anlass dafür ist der 20. Jahrestag der russischen Verfassung. Experten bewerten Putins Vorgehen aber auch als einen Versuch, vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi im Februar Kritiker im Westen zu besänftigen.
Russland sah sich zuletzt zunehmend wegen der Menschenrechtslage unter internationalem Druck. Mehrere Politiker, darunter US-Präsident Barack Obama und Bundespräsident Joachim Gauck, hatten angekündigt, auf Reisen in den Schwarzmeerort Sotschi zu verzichten.