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Russland
Der Fall Serebrennikow

Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow steht seit über einem Jahr unter Hausarrest. Ihm wird vorgeworfen, öffentliche Gelder unterschlagen zu haben. Das Vorgehen der Justiz wird von Kulturschaffenden kritisiert - viele glauben, es solle damit Angst in der Künstlerszene verbreitet werden.

Von Sabine Adler | 24.10.2018
    Theater- und Filmregisseur Kirill Serebrennikov nach einer Anhörung seines Falles in Moskau.
    Kirill Serebrennikow muss sich wegen des Vorwurfs der Veruntreuung vor Gericht verantworten - die erste öffentliche Anhörung ist für den 25. Oktober angesetzt (imago / Sergei Fadeichev)
    Wie führt ein Regisseur Regie, wenn er nicht im Theater, nicht am Drehort sein kann, kein Telefon, kein Internet, wohl aber einen Computer nutzen darf? Kirill Serebrennikow, der seit Sommer 2017 unter Hausarrest steht, ist so produktiv wie erfinderisch. Der britische Guardian lüftete das Geheimnis, wie etliche Inszenierungen Serebrennikows auch ohne dessen Anwesenheit Bühnenreife erlangen.
    Die Così-fan-tutte-Proben für die Zürcher Oper beispielsweise werden jeweils gefilmt, auf einen USB-Stick kopiert und dem Moskauer Star-Regisseur übergeben. Der wiederum speichert seine Kommentare und Anmerkungen auf selbigem Datenträger, gibt ihn dem Anwalt, der die Files nach Zürich schicken darf. Mühsam, praktikabel und höchst lästig. Serebrennikow fühlt sich mit der Isolation über Gebühr abgestraft, doch das Basmani-Bezirksgericht in Moskau befindet darüber, ob der Regisseur wieder auf freien Fuß gesetzt wird.
    Unscharf formulierte Gesetze
    Der Prozessauftakt vorige Woche verlief hinter verschlossenen Türen, unklar ist, ob sich die Angeklagten jetzt endlich zum Vorwurf der Veruntreuung von umgerechnet zwei Millionen Euro äußern können. Maria Stepanova, die Chefredakteurin der Kultur-Internet-Plattform colta.ru erklärt, dass die Sache nicht so einfach ist, denn russische Gesetze würden absichtlich unscharf formuliert.
    "Das Gesetz ist so konstruiert, dass jeder x-beliebige Regisseur jedes x-beliebigen Theaters festgenommen werden kann, aus dem gleichen Grund. Sobald man Geld aus dem Staatshaushalt bekommt, kann das geschehen. Meist muss man es erst einmal selbst vorstrecken und dann lässt man es sich zurückzahlen. Aber dafür gibt es keine exakt festgeschriebenen Mechanismen. Deswegen ist jeder so angreifbar. Wenn man will, kann man das gegen jeden verwenden, so wie bei Serebrennikow."
    Strafaktion als Warnung
    Erschwerend kommt hinzu, dass eine Buchhalterin des Gogol-Zentrums, also aus Serebrennikows eigenem Haus, für ihre Freilassung aus dem Gefängnis ein Geständnis ablegte, das die künstlerische Leitung belastete. Die Poetin und Autorin Stepanova von Colta.ru hat ihre eigene Theorie, warum es Serebrennikow getroffen hat.
    "Er ist ein glänzender Regisseur, aber keiner, der sich sonderlich politisch äußert. Das Ganze ist nicht zuerst als Strafaktion gedacht, sondern als Warnung an alle. Du musst dich entscheiden: Loyal zu sein, dich an die Regeln halten, wenngleich es gar keine Regeln gibt, dich vorsichtig verhalten, obwohl du gar nicht weißt, wovor du dich in acht nehmen sollst. Und das ist auch nicht nur an die Adresse der Kultur gerichtet. Damit soll allgemein Angst verbreitet werden, es geht um reine Willkür. Deswegen sollte man solchen Drohungen keine zu große Beachtung schenken."
    Grabblumen und ein abgetrennter Schafskopf
    Für Dennis Korotkow von der Nowaja Gaseta, wie für deren Chefredakteur Dmitri Muratow dürfte das leichter gesagt als getan sein, denn erst lagen vor ihrer Redaktion Grabblumen dann vorigen Donnerstag ein abgetrennter Schafskopf. Vielleicht wegen einer Korruptionsgeschichte über den Oligarchen und Präsidenten-Freund Jewegeni Prigoschin, dem auch die Söldnerfirma Wagner zugeschrieben wird. Vier Journalisten, die über sie berichteten sind jetzt tot, die Nowaja Gaseta hat in den letzten Jahrenbereits sechs Kollegen verloren.
    Der Vorwurf gegen Serebrennikow, seinen Produzenten Malobrodskij, den Direktor Itin und die Beamtin Apfelbaum aus dem Kulturministerium, sie hätten Geld in eigene Taschen gesteckt, ist in einem Fall besonders absurd. Angeblich wurde die Shakespeare-Komödie "Mittsommernachtstraum" nie inszeniert, dabei wird sie seit sechs Jahren und bis jetzt regelmäßig aufgeführt.