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Russland droht der Ukraine wieder mit Gas-Lieferstopp

Wie in jedem Winter gibt es auch in diesem Jahr zwischen Russland und der Ukraine wieder Streit ums gleiche Thema: Der russische Gasmonopolist Gazprom und die ukrainische Regierung verhandeln bislang ergebnislos über die Tilgung der ukrainischen Gasschulden, die in Milliardenhöhe liegen. Doch zum Zurückzahlen fehlt der Ukraine das Geld, - in Zeiten der Finanzkrise erst recht. Also droht Gazprom wie schon in den Jahren zuvor damit, der Ukraine zum 1. Januar das Gas abzudrehen.

Von Clemens Hoffmann |
    Es ist winterlich in Kiew - da tut es besonders weh, wenn die Wohnung nicht warm wird. Drei Tage lang blieben jetzt in der ukrainischen Hauptstadt ganze Viertel ohne Heizung und warmes Wasser. Sogar Premierministerin Julia Timoschenko musste frieren - und solidarisierte sich prompt und öffentlichkeitswirksam:

    "Bei mir zu Hause gab es zwei Tage überhaupt kein Gas. Wir alle haben unter diesem Bürgermeister zu leiden, sogar die Leute, die ihn gewählt haben."

    Was Timoschenko und auch viele Bürger ärgert: Der kommunale Energieversorger hat zwar bei den Kunden Gasgebühren kassiert, diese aber nicht vollständig weitergeleitet. Darauf stellte der staatliche Gaslieferant Naftogas die Lieferungen an die Kiewer Kraftwerke ein. Inzwischen laufen die Heizungen zwar wieder. Aber die kalten Tage von Kiew könnten ein Vorgeschmack auf weitere Unannehmlichkeiten sein.

    Mit fast drei Milliarden Dollar steht Naftogas in diesem Winter beim russischen Konzern Gazprom in der Kreide. Diesmal ist der Streit ums Geld von der Finanzkrise überschattet. Die Russen wollen Dollar fürs Gas sehen, doch dessen Kurs steigt, der Umtausch wird immer teurer. Seit Anfang Oktober hat die ukrainische Hriwnia gegenüber dem Dollar fast 80 Prozent an Wert verloren. Kredite sind deutlich schwerer zu bekommen. Der Staatshaushalt ist überschuldet. Wenn die Außenstände nicht beglichen werden, könnte Gazprom dem Nachbarland, wie 2006, den Gashahn zudrehen. Doch internationale Beobachter beruhigen: Der Deutsche Martin Raiser ist Chef des Weltbank-Büros in der Ukraine und weiß,

    "dass die Ukraine sehr viel Gas schon importiert hat und in ihren Vorratskammern stauen kann, also sie könnten sowohl europäische Exporte als auch den eigenen Konsum gut bedienen. Das ist anders als die Situation Anfang 2006."

    Dazu kommen die gegenseitigen Abhängigkeiten: Wegen der Gaslieferungen an Europa hat keine der beiden Seiten Interesse an einer Neuauflage des Konflikts. Schließlich fließen 80 Prozent des russischen Gases für Westeuropa durch Pipelines auf ukrainischem Gebiet. Bohdan Sokolowski, energiepolitischer Berater von Präsident Juschtschenko:

    "Über 120 Milliarden von Kubikmeter liefern wir über die Ukraine nach Westen, das bedeutet viele Milliarden für Russland. Wir sind daran interessiert, die Lieferung in Europa ganz normal zu garantieren, und Russland auch interessiert. Wir müssen einen Kompromiss finden."

    Trotzdem wird sich der Konflikt im kommenden Jahr voraussichtlich weiter verschärfen. Noch zahlt die Ukraine einen Freundschaftspreis von 179 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas. Schrittweise will Gazprom aber auch Kiew zu marktüblichen Preisen beliefern. Im Gespräch sind 400 Dollar. Da der Gaspreis für Endverbraucher derzeit noch stark subventioniert wird, würde das die öffentlichen Kassen überfordern. Eine schwierige Situation, die jedoch auch Chancen für einen Wandel des jetzigen Systems bietet, glaubt Martin Raiser:

    "Mit mehr Transparenz und mehr Vertragssicherheit kann man diese Finanzierungsnotwendigkeiten besser planen. Die ukrainischen Stadtwerke und Haushalte zahlen ja weit weniger für das Gas, was die verbrauchen, als es den Ukrainischen Staat kostet, das zu importieren. Da entstehen also Defizite, wenn man das jetzt anpasst, könnte man auch die finanzielle Situation von Naftogas grundsätzlich verbessern und dann würde man nicht in diese Zahlungsversäumnisse geraten."

    Doch von mehr Transparenz kann derzeit noch keine Rede sein. Im Gegenteil. Am Milliardengeschäft mit dem Gas verdienen Politiker und zwielichtige Geschäftsleute in der Ukraine über schwarze Kassen kräftig mit. Konstantin Borodin, Leiter des Zentrums für Energieforschungen in Kiew:

    "Naftogas hat mindestens eineinhalbmal mehr Einnahmen gehabt, als es der russischen Seite schuldig ist. Ich glaube, dass die Sicherheitsbehörden in der Ukraine klären sollten, wohin das Geld verschwunden ist. Naftogas Ukraine erweist sich als Blackbox, in die alles hingerät: das Geld fließt hinein, aber nicht heraus."

    Gut möglich, dass die Ukraine ihre Schulden auf anderem Wege wird begleichen müssen: Russland würde nur zu gerne einen Teil des ukrainischen Pipelinenetzes übernehmen. Der ukrainische Politiker, der einem solchen Kuhhandel mit dem unheimlichen Nachbarn zustimmen würde, könnte seine Karriere jedoch vermutlich schnell beenden.