Jelena Misulina ist so etwas wie das Feindbild der russischen Liberalen. Als Vorsitzende des Familienausschusses der Staatsduma brachte sie das Verbot sogenannter Homosexuellenpropaganda auf den Weg. Sie ist gegen Scheidungen, gegen Abtreibungen, gegen Babyklappen. Letzte Woche präsentierte sie der Duma einen Gesetzesentwurf zum Thema häusliche Gewalt.
Wer in Russland Angehörige - Frau, Kind, Eltern, Ehemann – verprügelt, der soll demnach nicht mehr, wie bisher, bis zu zwei Jahre hinter Gitter, sondern lediglich eine Geldstrafe zahlen, im Höchstfall umgerechnet rund 500 Euro.
Vorausgesetzt, es handelt sich um den ersten Vorfall und das Opfer trägt keine schweren gesundheitlichen Schäden davon. Misulina vor den Parlamentariern:
"So fürchterlich das Wort Prügel klingen mag, in Wirklichkeit ist das Gewalt ohne Schäden für die Gesundheit, es ist sogar Gewalt ohne Gewalt."
Insbesondere für die Prügelstrafe zeigte Misulina, seit dem Herbst Senatorin im Föderationsrat, Verständnis. Sie lenkte das Augenmerk auf alleinerziehende Mütter:
"Diese Frauen arbeiten als Köchinnen, Garderobenfrauen, Verkäuferinnen. Sie haben zum Riemen gegriffen, weil ihr Kind geraucht hat. Oder weil es in der Schule schlecht war. Natürlich sind das keine guten Methoden. Aber wie kann man sonst auf die Kinder einwirken? Besonders als alleinerziehende Mutter?"
Opferverbände schlagen Alarm
Im vergangenen Sommer hat Russland bereits die Strafen für nicht-häusliche Gewalt von Gefängnisstrafen auf Geldbußen herabgesetzt. Präsident Putin wollte damit die Gerichte entlasten. Konservative Politiker, Elternverbände, die orthodoxe Kirche argumentieren nun, der Grundsatz der Gleichbehandlung sei verletzt. Misulina:
"Wer einem Verwandten eine verpasst, bekommt bis zu zwei Jahre Freiheitsentzug, wer das bei einem Fremden tut, bekommt eine Ordnungsstrafe. Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit."
Menschenrechtsorganisationen und Mitarbeiter von Opferverbänden schlagen Alarm: Anders als bei den meisten Straßenschlägereien richte sich Gewalt in der Familie immer gegen die Schwächsten. Sie bedürften eines besonderen Schutzes durch den Staat, argumentieren Experten. Genau das aber werde die Gesetzesnovelle verhindern. Bisher darf die russische Polizei bereits im ersten Verdachtsfall von selbst gegen mutmaßliche Gewalttäter in der Familie ermitteln und Anklage erheben. Kommt die Gesetzesänderung, darf das Opfer nur noch im Wiederholungsfall vor Gericht ziehen, und es muss die Beweise selbst sammeln. Das werde nicht funktionieren, warnt die Anwältin Anna Rivina. Sie hat das Netzwerk "Nasiliu.net", "Nein zur Gewalt", mitgegründet.
"Die Frauen bei uns reden auch jetzt schon nicht über das, was passiert. 70 bis 80 Prozent der Fälle bleiben im Dunklen. Da spielen psychologischer Druck und wirtschaftliche Abhängigkeiten eine Rolle."
Auch Kritik vom Europarat
Anna Rivina bezeichnet das Vorhaben, die Strafen für häusliche Gewalt in Russland zu senken, als Rückschritt. Die Gewalt in den Familien werde danach noch zunehmen. Auch der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muiznieks, kritisiert die geplante Änderung scharf.
"Häusliche Gewalt ist ein großes Menschenrechtsproblem, nicht nur in Russland, sondern in ganz Europa. Die Strafen dafür zu lockern, ist die falsche Botschaft. Es entmutigt die Opfer, Gewalt öffentlich zu machen. Denn das Signal wäre: Das ist eine Familienangelegenheit.
Ich hoffe, dass die Vernunft siegt. Häusliche Gewalt produziert neue Gewalt. Kinder, die Zeugen oder Opfer davon werden, neigen als Erwachsene selbst eher zu Gewalt. Die sozialen Kosten für Russland werden langfristig riesig sein."
In der ersten Lesung stimmten 368 der 450 Duma-Abgeordneten für die Lockerung der Strafen.