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Russland
Ein Foltervideo sorgt für Diskussionen

Ein Gefangener wird in einem russischen Straflager malträtiert und misshandelt – alles dokumentiert in einem Video, das nun veröffentlicht wurde. Das ist nicht der erste Fall von Folter im russischen Strafvollzug. Dahinter stehe ein strukturelles Problem, sagt der Journalist Frederik Rother.

Frederik Rother im Gespräch mit Andreas Noll |
    Gefängnis in Russland
    Das Straflagersystem in Russland: 650.000 Insassen, 300.000 Wärter (dpa/Krasilnikov Stanislav)
    Andreas Noll: Es sind heftige Szenen, die in dem Video zu sehen sind: Ein junger Gefangener, der in einem russischen Straflager nordöstlich von Moskau zehn Minuten lang malträtiert und gefoltert wird. Die russische Investigativ-Zeitung "Nowaja Gaseta" hat das Video Ende letzter Woche veröffentlicht. Zugespielt wurde es dem Blatt von einer Nichtregierungsorganisation, die sich für den Schutz des Rechtsstaates einsetzt. Das Video ist im Juni 2017 entstanden, aber erst jetzt, nach der Veröffentlichung durch die Medien, hat es Konsequenzen, sechs Wärter wurden festgenommen. Bei mir im Studio ist jetzt mein Kollege Frederik Rother, der die Situation in Russland intensiv beobachtet.
    Herr Rother, beginnen wir mal mit dem Video, was ist darauf zu sehen?
    Frederik Rother: Man sieht ein wackeliges Video, aufgenommen mit einer Körperkamera, die die Strafvollzugsbeamten in Russland tragen müssen. Man sieht auch einen kahlen Raum des Lagers, in der Mitte ein Tisch und darauf wird Ewgeni Makarow von mehreren Wärtern an Armen und Beinen festgehalten, sein Gesicht nach unten gedrückt.
    Und man sieht deutlich, wie einige der Wärter mit Gummiknüppeln und Fäusten auf seine nackten Füße und Unterschenkel schlagen, es gibt Szenen, wo ihm ins Gesicht geschlagen wird, Hose und Unterhose werden ihm ausgezogen. Also alles in allem eine sehr entwürdigende Prozedur. Man hört Makarov vor Schmerzen aufschreien und wie er die Wärter bittet, aufzuhören. Mindestens einmal verliert er das Bewusstsein.
    Also alle diese Szenen sind in dem circa zehnminütigen Video zu sehen. Und der Grund für diese Behandlung soll sein, dass Makarov und zwei andere Gefangene immer wieder ihre Rechte eingefordert haben und daraufhin bestraft wurden.
    Die Untersuchungen laufen
    Noll: Entwürdigende Szenen sagen sie, wie sehen denn die offiziellen Reaktionen aus?
    Rother: Sie haben es erwähnt, inzwischen sind sechs Personen festgenommen worden, die an der Folter beteiligt gewesen sein sollen. Ihnen wird die Überschreitung ihrer Kompetenzen vorgeworfen. Es gab Durchsuchungen in der Straf-Kolonie, Dokumente wurden beschlagnahmt und ein Verfahren eröffnet. Das Untersuchungskomitee, die zuständige Strafverfolgungsbehörde ist das, die hat nach eigenen Angaben alle Männer im Video identifiziert, 17 weitere Mitarbeiter der Strafkolonie wurden suspendiert.
    Also man kann festhalten: Die Untersuchungen laufen, aber es ist noch nicht klar, was da am Ende bei rauskommt. Die russischen Behörden tun sich schwer damit, Verfehlungen im Strafvollzug angemessen zu ahnden. Das beklagen auch NGOs immer wieder
    Irina Birjukowa übrigens – die Anwältin, die das Video an die Zeitung weitergeleitet hat – hat im letzten Jahr schon versucht, als sie von der Folter erfuhr, die Verantwortlichen im Fall Makarow zur Rechenschaft zu ziehen. Aber das blieb ohne Erfolg, die Belege für ein Strafverfahren würden nicht ausreichen hieß es immer wieder von offizieller, staatlicher Seite. Und das war sogar nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Russland aufgefordert hat, dem Fall Makarov nachzugehen. Birjukowa übrigens hat Russland kurzfristig verlassen, da sie Drohungen bekommen hat und Angst hat um sich und ihre Familie.
    Strukturelle Probleme im russischen Strafvollzug
    Noll: Stichwort Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der beschäftigt sich immer wieder mit Russland und Fragen der Rechtsstaatlichkeit dort. Sind diese Fälle von Folter Teil eines größeren, strukturellen Problems?
    Rother: Zumindest ist das nicht der erste Fall von Folter, das kann man sagen. Es gibt immer wieder Meldungen in diese Richtung, übrigens auch aus der gleichen Strafkolonie Nummer 1in Jaroslawl.
    Vielleicht am bekanntesten ist der Fall Ildar Dadin. Dadin wurde wegen ungenehmigten Demonstrationen 2015 zu zweieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt. In der Haft wurde Dadin von den Wärtern körperlich malträtiert, mit dem Tod bedroht, erniedrigt. Und erst als es ihm gelungen ist, diese Informationen nach draußen zu schmuggeln und Öffentlichkeit herzustellen, kam er dann durch den entstandenen Druck dann auch frei.
    Was vielleicht auch noch wichtig ist zu wissen: Das Straflager-System in Russland ist System für sich, es gibt circa 650 000 Insassen, 300 000 Wächter, also knapp jeder zweite. Viele dieser Lager liegen weit weg von den großen Städten, sind abgeschottet und das öffnet natürlich auch Willkür Tür und Tor. Und der russische Strafvollzug setzt nicht – ich denke das kann man sagen – in erster Linie auf Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Es geht darum, die Menschen zu bestrafen. Und dann gelten eben auch körperliche Maßnahmen unter Umständen als okay.
    Also man kann hier beim Thema Folter schon von einem Problem sprechen, das in Russland nicht zum ersten mal vorkommt und strukturelle Ursachen hat.
    Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof bleibt schwierig
    Noll: Genau das kritisiert ja auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte immer wieder seit Jahren. Hat das eigentlich spürbare Folgen?
    Rother: Die Urteile werden natürlich zur Kenntnis genommen, auch in den Medien wird darüber oft breit berichtet. Aber in vielen Fällen werden die Urteile eben auch nicht akzeptiert. Das Justizministerium in Moskau legt regelmäßig Berufung ein. In anderen Fällen kommt die Regierung den Urteilen nach und leistet Kompensationszahlungen, das gibt es auch.
    Aber das Verhältnis zum EGMR, zum Europäischen Gerichtshof, ist und bleibt schwierig. Das Gericht muss oft zu Russland urteilen, die russische Seite fühlt sich oft ungerecht behandelt und damit gibt es auch immer wieder politische Stimmen, die für einen Austritt Russlands aus dem Europarat werben – also der hinter dem Gericht stehenden Institution.
    Noll: Die russische Regierung will den Fall aufarbeiten. Wie glaubwürdig ist das?
    Rother: Sobald Folterfälle wie der von Makarov bekannt werden, tut sich oft was. Die Untersuchungs- und Ermittlungsbehörden werden aktiv, die Täter werden suspendiert und es werden Gerichtsverfahren angegangen. Es gibt also immer wieder kleine Erfolge zu vermelden.
    Aber das Grundproblem bleibt: Eine nicht unabhängige Justiz, ein großer Lager- und Strafapparat, der schwer zu kontrollieren ist und ein Verständnis vom Strafvollzug, das solches Verhalten begünstigt.