Archiv

Russland-Experte Meister
Angst vor noch mal sechs Jahren Putin

Wirtschaft voranbringen, in Schlüsselbereiche investieren, die Armee modernisieren: Russlands Präsident Wladimir Putin habe in seiner Antrittsrede die üblichen Phrasen gedroschen, sagte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Dlf. In den intellektuellen und kreativen Kreisen Russlands sei der Frust groß.

Stefan Meister im Gespräch mit Peter Sawicki |
    Putin schreitet durch die Halle des Kremls
    Übliche Phrasen, übliche Argumente: Putin auf dem Weg zu seiner Antrittsrede (imago / Zuma press)
    Peter Sawicki: Was kommt auf Russland in den kommenden sechs Jahren zu? Und was bedeutet das für Europa? Darüber sprechen wir jetzt mit Stefan Meister. Er ist Russland-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Schönen guten Abend!
    Stefan Meister: Guten Abend.
    Sawicki: Wo steht Russland nach 18 Jahren Putin?
    Meister: Nach außen und relativ oberflächlich betrachtet ist es wieder Weltmacht. Es spielt mit im Mittleren Osten im großen Spiel um Syrien und Iran. Es ist in der Ukraine indirekt militärisch präsent und es ist Faktor auch in unseren inneren Debatten. Russland scheint, zumindest was die Außenpolitik betrifft, wieder zurück zu sein, und das erkennen die Russen auch als einen Gewinn unter Putin an.
    Innenpolitisch, ökonomisch wird es autoritärer. Ökonomisch stagniert es seit einigen Jahren. Es gibt keine Entwicklungsperspektive. Es gibt hier keine Vision auch für die Modernisierung Russlands unter Putin. Auch die russischen Kollegen reden von einer dauerhaften Stagnation.
    "Ich habe im Prinzip das Übliche gehört von ihm"
    Sawicki: Haben Sie heute eine Vision erkannt in Putins Antrittsrede?
    Meister: Nein. Ich habe im Prinzip das Übliche gehört von ihm, dass es darum geht, die Wirtschaft voranzubringen, das Pensionssystem muss reformiert werden, es muss in Schlüsselbereiche investiert werden. Gleichzeitig hat er wieder die Modernisierung der Armee und die Leistungsfähigkeit des Militärs hervorgehoben und Russlands internationale Rolle. Das sind die üblichen Argumente oder die üblichen Phrasen, kann man fast sagen, die man von Putin immer wieder hört.
    Sawicki: Also hat sich nicht viel verändert?
    Meister: Das ist im Prinzip die große Debatte, die wir im Moment in Russland sehen: die Angst vor noch mal sechs Jahren Putin. Wenn Sie in den intellektuellen Kreisen schauen, in den innovativen Kreisen schauen: Die Personen, die das Land auch verlassen – wir haben ja Brain-Drain-Wellen mit der Rückkehr Putins 2012, 2014 mit dem Ukraine-Konflikt und jetzt noch mal sechs Jahre Putin -, das ist das, was den beweglichen Teil der Gesellschaft frustriert, weil man nicht diese Entwicklungsperspektive sieht, sondern eine sich selbst bereichernde Elite, die letztlich nicht das Interesse daran hat, dieses Land zu modernisieren. Dafür steht Putin eben auch.
    "Wir haben eine Spaltung der Gesellschaft"
    Sawicki: Heißt das also, dass das Wahlergebnis von über 70 Prozent für Putin bei der Wahl vor einigen Wochen gar nicht die Realität, was die Zustimmung angeht, wiedergibt?
    Meister: Ja und nein, würde ich sagen. Es ist natürlich massiv manipuliert worden. Wir haben eine Spaltung der Gesellschaft auch, vor allem in die jüngere Generation und die ältere Generation, Stadt und Land. Aber ich glaube, wir müssen hier auch verstehen: Bei der Wahl und bei der Zustimmung zu Putin geht es gar nicht um die Person Putin, sondern es geht letztlich um den Führer der Nation. Es geht um diese Überfigur Putin, und da wird jeder Russe Ihnen sagen, ihn unterstützt man natürlich. Aber ob man damit die Politik Putins unterstützt, das ist, glaube ich, eine ganz andere Frage, und das sehen Sie in den Debatten im letzten halben, dreiviertel Jahr, dass man eben nicht das Gefühl hat, dass Putin dieses Land voranbringt. Gleichzeitig stellt man sich auch nicht gegen diesen Zaren, der eine Art Integrationsfigur ist für viele und der Russland auch wieder zur Weltmacht gemacht hat oder zumindest international Anerkennung verschafft hat.
    Sawicki: Nun ist Russland ja die zwölftgrößte Volkswirtschaft auf der Welt. Putin hat heute gesagt, dass er sie zur fünftgrößten machen will. Kann er das überhaupt alleine schaffen?
    Meister: Ich bin da sehr skeptisch, weil es einfach kein Modernisierungs- und Entwicklungsmodell, kein ökonomisches Entwicklungsmodell für Russland gibt. Unter Putin hat sich der Beamtenapparat verdoppelt. Die Abhängigkeit von Exporten von Öl und Gas hat sich massiv erhöht. Wir beobachten, dass der Staat in der Wirtschaft eine größere Rolle spielt, eine wachsende Rolle spielt, seit der Finanzkrise 2008/2009, aber insbesondere jetzt auch noch mal seit 2013/2014. Und wir haben innovative Bereiche wie den Digitalbereich, der ja im Moment durch Internetgesetze und das Vorgehen auch gegen Internet massiv unter Druck kommt. Wo soll das Wachstum herkommen? Wenn die Öl- und Gaspreise in den nächsten Jahren nicht durch die Decke schießen, und das sehe ich einfach nicht, weil sich der Öl- und Gasmarkt unter bestimmten Bedingungen nicht so entwickeln wird, wie das bis 2008 der Fall war sehe, sehe ich einfach nicht, dass dieses Wachstum irgendwo her generiert werden kann.
    "Es wird härter für die Opposition"
    Sawicki: Glauben Sie, dass es für die Opposition in Russland ungemütlich bleibt?
    Meister: Ich würde sogar sagen, es wird härter für die Opposition, und das haben die Demonstrationen am Wochenende, die der Oppositionspolitiker Nawalny organisiert hat, gezeigt, wie sogar gegen Kinder und Jugendliche vorgegangen worden ist, wie das Internet immer breiter kontrolliert wird, das chinesische Modell zumindest in Teilen auch diskutiert wird anzuwenden, also eine totale Kontrolle des Internets, aber wirklich auch das physische Vorgehen gegen Oppositionspolitiker, gegen Personen, die eine andere Meinung haben, neben den ganzen Gesetzen, die gegen NGO’s, gegen Medien erlassen worden sind, oder auch Finanzierungen erlassen worden sind. Wir sehen einfach, dass das Klima härter wird, und das wird die Opposition noch mal weiter schwächen.
    Sawicki: Gilt das auch für die Außenpolitik, dass es härter wird von Seiten Russlands?
    Meister: Das ist ein bisschen noch die Frage. Natürlich ist der Konflikt mit dem Westen eine wichtige Legitimationsressource für das System Putin, gerade in Zeiten einer ökonomischen Krise. Dieser Konflikt lenkt letztlich von der inneren Schwäche ab. Putins Einsatz in Syrien, Putins internationale Erfolge geben ihm natürlich nach innen auch Prestige. Ich würde sagen, in der Hinsicht wird diese Politik weitergehen.
    Gleichzeitig braucht er westliche Investitionen. Er braucht technologisches Knowhow. Er bekommt das nicht aus China in der Form, wie er es braucht. Möglicherweise wird es so einen Durchwurstelkurs geben, dass man versucht, eine Art von Annäherung zumindest zu imitieren und trotzdem gleichzeitig diesen doch internationalen Prestigekurs weiterfährt.
    "Russland so nehmen, wie es ist"
    Sawicki: Wie sollte dann der Westen im weitesten Sinne, Deutschland und die EU oder auch die NATO mit Russland umgehen?
    Meister: Ich denke, man muss Russland erst mal so nehmen, wie es ist. Irgendwelche Hoffnungen von einem schrittweisen Ausstieg aus Sanktionen in der Ukraine, Kompromisse von Russland, die sollte man einfach nicht erwarten. Man sollte Russland auch als Destabilisator in seiner Nachbarschaft sehen, was systematisch eine Politik der kontrollierten Destabilisierung auch durchführt und auch im mittleren Osten eher autoritäre Regime stärkt, als hier tatsächlich für Frieden sorgt. Ich glaube, das muss man realistisch sehen.
    Sawicki: Hat Heiko Maas recht, der neue Außenminister in seinem Kurs?
    Meister: Das würde ich sagen. Ich meine, Herr Maas hat letztlich nur die Realitäten anerkannt, die seine Vorgänger so nicht anerkennen wollten. Natürlich sind wir alle für Kooperation. Natürlich sind wir alle für Dialog. Aber Sie brauchen einen Kooperations- und einen Dialogpartner, und den haben wir im Moment im russischen Präsidenten und in diesem Regime nicht. Und er hat ganz klar einfach nur auf den Punkt gebracht: Da gibt es im Moment einfach Grenzen der Kooperation und der Kommunikation. Trotzdem müssen wir mit Putin reden. Trotzdem müssen wir auch mit den Oppositionellen und den Gruppen in Russland reden, die wir vielleicht nicht mögen, weil sie nicht liberal sind. Wir haben ein Interesse daran, dass es Abrüstungsabkommen zwischen den USA und Russland gibt, und wir müssen auch über Fragen von Vertrauensbildung reden, wir müssen Institutionen stärken der Kommunikation mit Russland, gerade auch wenn militärische Unfälle passieren. Ich glaube, das sind alles ganz wichtige Punkte, wo Dialog wichtig ist, ohne gleich zu erwarten, dass wir möglicherweise in einen Modus vivendi kommen wie in der Vergangenheit, dass wir eine Lösung im Verhältnis mit Russland finden. Wir haben einfach konkrete Interessenkonflikte mit Russland und die werden sich auf absehbare Zeit mit dieser Führung nicht lösen lassen.
    Sawicki: Kann Russland auch ohne Putin?
    Meister: Natürlich kann Russland auch ohne Putin, und das ist doch das große Problem. Die Propaganda im Moment, auch die öffentlichen Medien, der ganze Diskurs in Russland, die Kreml-PR, kann man auch sagen, die suggerieren, dass es keine Alternative zu Putin gibt. Nur er als starker Mann kann Russland führen. Er ist die Überfigur und da kommen ja auch diese Zustimmungsraten letztlich mit her. Aber genauso wie der Wechsel von Jelzin auf Putin möglich war, wo man einfach jemand aus dem Hut gezaubert hat, den man dann aufgebaut hat, ist es natürlich auch möglich, ihn zu ersetzen, entweder durch eine Person aus dem System, oder außerhalb des Systems. Aber es gibt eine Alternative ohne Putin und es gibt auch ein Russland nach Putin.
    Sawicki: Bei uns heute Abend im Deutschlandfunk Stefan Meister, Russland-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns gefunden haben.
    Meister: Gerne! Bitte schön!
    Sawicki: Das Interview haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.