Ein Bagger wälzt sich auf Ketten langsam einen mit Schnee bedeckten Weg entlang. Dann stoppt er, fährt wieder an. Vor der Baumaschine stehen oder liegen Demonstranten, die rote Warnwesten tragen, weil sie gesehen werden wollen. Der Baggerfahrer, der betrunken sein soll, nimmt wenig Rücksicht und in Kauf, dass die Protestierenden fast überfahren werden, wenn sie nicht im letzten Moment aus dem Weg springen.
Diese Bilder sind nachts in der Nähe der Bahnstation Schijes entstanden – im gleißenden Licht des Baggers. Die Szene illustriert die ungleichen Verhältnisse: Dort das PS-starke Gerät, das den Willen staatlicher Behörden exekutiert, hier die Anwohner von Siedlungen im Umkreis, die um ihre Zukunft fürchten.
Aktivisten fürchten eine ökologische Katastrophe
In den vergangenen Monaten wurden etwa 30 Hektar Wald gefällt. Nun wird der Boden vorbereitet, um auf ihm vom nächsten Jahr an zehn Millionen Tonnen Müll zu lagern, angeblich Hausmüll aus Moskau. Dort soll er zunächst in große Säcke verpackt und dann per Bahn nach Schijes gefahren werden. Dass die eigentlich vorgeschriebene Untersuchung darüber, ob der Deponiestandort geeignet ist, nie angefertigt wurde, dass die Baustelle nicht genehmigt ist, das verärgert viele Menschen hier sehr. Seit Februar blockieren sie die Zufahrtswege zum Deponiegelände. In Schichten harren sie draußen aus, bei Temperaturen, die im Winter bei bis zu minus 30 Grad lagen – oder niedriger. Erst jetzt beginnt es langsam zu tauen, jedenfalls tagsüber.
"Nun ja, die Bedingungen sind, wie sie sind. Nachts machen wir uns eine Feuerstelle und wärmen uns der Reihe nach auf", erzählt Wladimir Kobut dem in russischer Sprache sendenden, US-finanzierten Medium "Nastojaschtscheje Wremja". Den Blockierenden stehen Wachmänner gegenüber, die die Baustelle schützen. Die weisen sich nicht aus, werden manchmal von Maskierten unterstützt.
Der Aktivist Kobut ist für einige Tage aus Archangelsk angereist. Die Kunde von der Blockade hat in der ganzen Region Nordrusslands schnell die Runde gemacht, viele fürchten eine ökologische Katastrophe: Sollten die verpackten Müllsäcke, von denen die Öffentlichkeit nicht weiß, was genau sie enthalten, löchrig werden, gelangen Giftstoffe ins Erdreich. In Gefahr sind dann Grundwasser und das Quellgebiet zahlreicher Flüsse, beschreibt Aktivistin Anna Stepanowa: "Das hier ist eine sumpfige Gegend. Durch den Sumpf gelangt Müll in Flüsse und Seen und dann weiter in die Ozeane. Die Menschen, die heute damit Geld verdienen wollen, sollten sich darüber klar sein, dass sie damit andere töten werden."
Behörden reagieren bislang nicht
Auf Demonstrationen fordern Anwohner den Rücktritt eines Gouverneurs. Er und die Behörden haben bislang nicht reagiert. Die Menschen stellen vor allem eine Frage: Warum sollen wir den Moskauer Müll bei uns lagern?
Die Metropole, die es mitsamt Speckgürtel auf rund 20 Millionen Einwohner bringt, die ein Fünftel des Mülls in Russland produzieren, wächst ungebremst immer weiter. Doch die Lösung der Müllprobleme dort ist über die angekündigte Errichtung von Verarbeitungsanlagen bislang nicht hinaus gekommen. Stattdessen soll es an etwa 70 Standorten in ganz Russland Deponien wie hier in Schijes geben. Um sie zu finanzieren, wird seit 2017 auf Dutzende Verpackungen eine Abgabe erhoben. Doch wohin das Geld genau fließt, ist nicht bekannt. Das Geschäft mit dem Müll ist sehr intransparent und vermutlich sehr korrupt.
Während die Aktivisten die Blockade weiter aufrechterhalten, wächst langsam der Druck auf sie. Manchen wird aus unglaubwürdigen Gründen Körperverletzung vorgeworfen, anderen kleinere Vergehen. Aufgeben aber kommt für sie nicht infrage.