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Russland
Historiendrama vor Gericht

Ein Film über Leben und Lieben des letzten russischen Zaren, Nikolaus II., könnte in Russland gesetzlich verboten werden: Der Film "Matilda" erzählt von einer Affäre zwischen dem Zaren und der Ballerina Matilda Kschessinskaja. Eine Duma-Abgeordnete sieht die Gefühle orthodoxer Christen verletzt. Jetzt soll die Staatsanwaltschaft entscheiden.

Von Thielko Grieß |
    Ein Double des letzten russischen Zaren, Nikolaus II. und von Lenin in Moskau im Jahr 2006.
    Ein Double des letzten russischen Zaren, Nikolaus II. und von Lenin in Moskau im Jahr 2006. (imago/Russian Look)
    Die Ballerina tanzt, zirkelt ihren Körper, den Schwung ihrer Beine kontrolliert sie elegant und präzise, entfaltet ihre Arme in die Höhe. Sie wendet sich dem Publikum zu – in diesem Moment löst sich ein Träger ihres strahlend-weißen Oberteils. Es entblößt ihre linke Brust.
    Dem Thronfolger, der später Nikolaus II. heißen wird und in der Loge das Ballett verfolgt, fällt das Opernglas aus den Händen, sein Mund steht offen. Eine andere Szene:
    "Wie schön sie ist!", sagt anerkennend der Vater zu seinem Sohn Nikolaus, als er über Matilda Kschessinskaja spricht. Die Ballerina zieht den jungen Thronfolger in ihren Bann. Es ist eine Geschichte über Macht, Liebe, Eifersucht und Prunk am Hof in Sankt Petersburg. "Du hast auf alles ein Recht. Außer auf Liebe."
    "Matilda, das Geheimnis des Herrscherhauses der Romanows" hätte schon in diesem Frühjahr in die russischen Kinos kommen sollen; die Premiere ist inzwischen auf Anfang Oktober verschoben. Die Dreharbeiten sind beendet, aber noch hat kaum jemand den ganzen Film gesehen. Mehr als zwei Trailer sind im Netz nicht zu finden. Trotzdem sind sich manche bereits sicher, dass der Film niemals gezeigt werden dürfe.
    "Ich habe den Film nicht gesehen, das muss ich auch nicht. Ich werde ihn auch nicht sehen", räumt Natalija Poklonskaja in einem Gespräch mit dem Fernsehsender Doschd ein. Sie ist seit September des vergangenen Jahres Abgeordnete in der Staatsduma, dem russischen Parlament, und Mitglied der größten Partei des Landes, Einiges Russland.
    Nikolaus II. - Märtyrer und Muster einer guten Lebensführung
    "Die Haupthandlung des Films kann ich den Medien, dem Internet entnehmen, worüber auch der Regisseur gesprochen hat. Er hat selbst gesagt, dass sich orthodoxe Christen in ihren Gefühlen geschmälert sehen können."
    Sie habe bereits mehr als 20.000 Nachrichten von Menschen erhalten, die ihre Meinung teilten. Für sie ist Nikolaus II. nicht einfach der letzte Zar. Er wird, weil die Bolschewisten ihn nach der Oktoberrevolution erschossen, heutzutage von der russisch-orthodoxen Kirche als Märtyrer und Muster einer guten Lebensführung verehrt. Eine Affäre mit einer Ballerina passt dazu nicht. Die Abgeordnete und ihre Unterstützer berufen sich auf einen Paragrafen, der die Verletzung der Gefühle Gläubiger unter Strafe stellt.
    "Er ist unser Heiliger. Er ist nicht einfach nur ein Mensch. Man muss zu ihm ein besonderes Verhältnis haben, muss ihn besonders achten."
    Regisseur Alexej Utschitel, der bereits Drohungen erhalten hat, widerspricht im Fernsehkanal NTW den Vorwürfen:
    "In dem Film verletzt gar nichts die Gefühle Gläubiger, es gibt in ihm keine Geschmacklosigkeiten. Das ist auch nicht der erste Film, den ich gedreht habe und ich kenne mich mit der Ästhetik der Liebe aus, wie man sie darstellt. Da bin ich absolut ruhig. Mit diesem Vorwurf lässt sich kein Verbot begründen."
    Die Abgeordnete aber hat nun Unterstützung von Linguisten und Erziehungswissenschaftlern eingeholt, die in ihrer fast 40-seitigen Expertise urteilen: Nicht nur sei der Film historisch unstimmig, weil Matilda mit ihren in Quellen belegten schiefen Zähnen keineswegs die Schönheit der russischen Hauptstadt gewesen sei, sondern er verletzte die Gefühle Gläubiger auch wegen der Auswahl des Hauptdarstellers.
    Doch kein Verbot zum jetzigen Zeitpunkt?
    "Du hast meinen Kuss gestohlen!", brüllt Lars Eidinger, der Nikolaus II. spielt und sonst in der Berliner Schaubühne zu sehen ist. Er habe, schreiben die Professoren, in einem Pornofilm mitgespielt und nennen als Beleg Eidingers Rolle im 2012 erschienenen Film "Goltzius and the Pelican Company". Diese Produktion enthält nackte Haut und Sexszenen – ein Pornofilm ist in ihm aber kaum zu erkennen. Die Vorwürfe und der Versuch, einen Film zu verbieten, der noch gar nicht zu sehen ist, hat in Russland eine Debatte entbrennen lassen.
    "Man fragt mich im Ausland bei Filmfestivals oft, sagt Regisseur Utschitel, ob es in Russland Zensur gibt. Ich sage die Wahrheit: Seit mehr als 20 Jahren hat keiner, keine Amtsperson, mir gesagt, dass ich etwas auslassen oder wegschneiden soll."
    Inzwischen lässt die russische Regierung in Ansätzen erkennen, dass sie ein Verbot zum jetzigen Zeitpunkt nicht für richtig hält. Kulturminister Medinskij erklärte, die Debatte gleiche einer "Orgie der Demokratie". Solange der Film nicht fertiggestellt sei, könne er nicht urteilen.