Archiv

Russland
Hundejagd in WM-Städten?

Russland bereitet sich auf die Fußball-WM im Sommer vor. Zu gut, sagen Tierschützer. Sie werfen dem Staat vor, in den WM-Städten Hunde einzufangen und zu töten - damit diese das Stadtbild nicht stören.

Von Thielko Grieß |
    Eine Tierschützerin füttert Hunde.
    Tierschützerin Larissa kümmert sich um die streunenden Hunde in Wolgograd (Deutschlandradio/Thielko Grieß)
    Die Plastikbehälter sind bis oben hin gefüllt. Larissa trägt sie in vollen Beuteln an beiden Händen einen schmalen Weg entlang. Dorthin, wo die Bäume ein wenig lichter stehen. In ihrem Rücken ist ein Neubaugebiet zu sehen, links wird noch gebaut. Hier, wo die Stadt Wolgograd ausfranst, leben viele streunende Hunde.
    "Das sind Graupen. Graupenbrei mit Haferflocken. Ich koche Hühnerbeine, Hühnerköpfe, ich koche jeden Tag und bringe es. Ich weiß, das ist kein Hobby! Ich kann nicht ruhig bleiben, wenn ich mir vorstelle, dass die Hunde hier Hunger haben."
    Hunde haben sich an harten Bedingungen angepasst
    Larissa ist Deutsch-Dozentin an einer örtlichen Hochschule. Sie und zwei andere Tierschützerinnen stellen das Futter auf die Erde.
    Die Hunde heranzurufen wäre vielleicht gar nicht nötig. Denn die wissen auch so, wer die Frauen sind. Die Helferinnen erzählen, wie sie sich in Wolgograd organisieren: spontan, aber regelmäßig und auf eigene Kosten.
    "Wir haben Gruppen im sozialen Netzwerk VKontakte, auf Facebook, die die Leute zusammen bringen. Und sie lösen das Problem in ihren Stadtteilen."
    Dass hier und an anderen Stellen der Stadt so viele Hunde frei herumlaufen, hat mehrere Gründe: Sie haben sich gut auch an winterliche Kälte angepasst, pflanzen sich oft unkontrolliert fort, und etliche sind einfach ausgesetzt worden. Die Frauen füttern sie nicht nur, sondern lassen die Tiere nach Möglichkeit auch sterilisieren, um den Nachwuchs einzudämmen.
    "Wir fangen die Hunde und bringen sie in eine private Tierklinik. Auf unsere Kosten, wo es für uns auch Preisnachlässe gibt. Wir schmeißen zusammen und lassen die Tiere sterilisieren."
    Werden die Hunde gefangen?
    Jede einzelne Sterilisation kostet umgerechnet bis zu 50 Euro. Dass es dennoch immer wieder Welpen gibt, können sie nicht verhindern. Aber seit dem vergangenen Sommer haben sie bemerkt, wie etliche Hunde einfach verschwinden, unauffindbar sind. Die Tierschützer haben selbst recherchiert und diesen Verdacht: Ein städtisches Tierheim schickt im Auftrag der Stadt Häscher durch die Straßen, die meist früh morgens, wenn es niemand beobachtet, die Tiere einfangen. Larissa stellt es so dar:
    "Also jedes Jahr bekommen sie Geld, zehn Millionen, zwölf Millionen, für die Lösung dieses Problems. Aber sie lösen es ganz einfach, einfach töten." – "Haben Sie das denn gesehen, dass die Hunde getötet werden?" – "Hier waren zwei Hunde, Jocker und Lochmuschka. Ich frage: Wo ist Lochmuschka? Man hat mir geantwortet, dass sie ihn mitgenommen haben. Aber in Wirklichkeit haben sie ihn getötet. Denn es gibt ein Gesetz, nach dem eingefangene Tiere in einem Tierheim zehn Tage lang gehalten werden müssen. Ich habe gleich am nächsten Tag diese Leute gefunden, die Lochmuschka eingefangen haben, habe gesagt: ‚Geben Sie mir meine Hunde.‘ Ihre Antwort: ‚Leider gibt es sie nicht mehr.‘"
    "Die Geschichte dieser Leute ist ein absoluter Fake"
    Ein Besuchs- und Gesprächstermin im Tierheim ließ sich während der Recherche in Wolgograd nicht finden. Deshalb ein Anruf bei Konstantin Jepifanow, dem Leiter der staatlichen Einrichtung. Er betont: Die Hunde würden nicht getötet.
    "Ich würde nicht übertreiben. Es gibt keinen Grund für ein ernsthaftes Problem. Die Geschichte dieser Leute ist ein absoluter Fake. Diejenigen, die so etwas schreiben, wollen so einfach die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Unsere Tätigkeit mit herrenlosen Hunden erfolgt ausschließlich nach feststehenden Regeln. Und bei uns hat sich nichts geändert. Wir erhöhen die Zahl der Tiere nicht. Wir bekommen eine bestimmte Zahl von Anfragen. Anwohner rufen uns an, wir fahren nicht von selbst raus und fangen alle. Das gibt es nicht, und das kann es auch nicht geben."
    Jepifanow erklärt, das Tierheim erhalte in diesem Jahr etwa 8,9 Millionen Rubel öffentlicher Gelder, etwa eine Million mehr als im vergangenen Jahr. Mit dem Plus würden neue Hundezwinger errichtet. Maximal könnten 300 Hunde aufgenommen werden.
    "Unser Land kommt nicht in Ordnung, wenn wir Hunde erschießen"
    Weit außerhalb Wolgograds unterhalten die Tierschützerinnen, es sind vor allem Frauen, ein privates Tierheim. Es heißt Dino. Die Hundezwinger dort sind voll – und das Geld immer knapp. Eine Frau ist gerade vorgefahren, sie bringt Futter als Spende. Sie sagt: "Unser ganzes Land kommt nicht in Ordnung, wenn wir Hunde erschießen."
    Und bricht dann in Tränen aus. Sie habe sich zweier herrenloser Hunde angenommen, sie sterilisieren lassen, sie versorgt.
    "Sie sind um vier Uhr in der Früh gekommen. Die Leute, die Hunde erschießen. Sie haben meine Hunde mitgenommen." Sie hat die Tiere nie wieder gesehen. Tierschützer in Moskau haben im Netz eine Petition gestartet, die sich an Wladimir Putin richtet. Hunderttausende haben sich ihr angeschlossen. Eine Antwort es nicht. Die Tierschützer haben die FIFA aufgefordert zu handeln. Deren Medienabteilung verspricht, man werde die russischen Partner auf das Thema hinweisen. Aber mehr sei nicht möglich.