Grigori Rodschenkow, damals Chef des russischen Doping-Kontrolllabors, experimentiert schon seit vielen Jahren mit Dopingmitteln. So berichtet er es der New York Times. Vor den Olympischen Spielen in London 2012 habe er einen Cocktail aus drei verbotenen, leistungssteigernden Substanzen entwickelt. Seither sei dieser an russische Sportler gegeben worden. Zwei Jahre später, in Sotschi, habe die Überwachung der Dopingproben dann beim russischen Kontrolllabor gelegen. Das Sportministerium habe darin die Chance gesehen, die Spiele zu dominieren. Es sei ein systematischer Dopingplan erstellt worden.
Im Herbst 2013 habe der russische Geheimdienst FSB begonnen, Rodschenkows Labor Besuche abzustatten. Das sei offensichtlich geschehen, um sich genau über die Behälter von Dopingproben und deren Verschlusssysteme zu informieren. Schon Monate vor den Spielen seien dann Urinproben genommen worden - bevor die Athleten mit dem Doping begonnen hatten. Während der Spiele habe Rodschenkow nachts, wenn kein unabhängiger Beobachter vor Ort war, die sauberen Proben erhalten und gegen diejenigen ausgetauscht, die ihm zuvor vom Sportministerium mitgeteilt wurden.
"Die Menschen feiern Olympiasieger, und wir sitzen da und ersetzen deren Urin", sagte Rodschenkow laut New York Times. "Können Sie sich vorstellen, wie der Olympische Sport organisiert ist?"
Die New York Times nennt auch betroffene Sportler: den zweifachen Bob-Olympiasieger Alexander Subkov, den Langlauf-Olympiasieger und Silbermedaillengewinner Alexander Legkov sowie den Skeleton-Olympiasieger Alexander Tretyakov.
Nach ARD-Enthüllungen Flucht in die USA
Keiner der russischen Athleten wurde des Dopings überführt. Das Team gewann in Sotschi 33 Medaillen. Nach den Doping-Enthüllungen durch die ARD im vergangenen Jahr sei Rodschenkow unter Druck geraten. Er sei dazu gezwungen worden, seinen Job aufzugeben, bekam Angst um seine Sicherheit und ging nach Los Angeles. Kurz darauf seien in Russland zwei seiner engen Kollegen völlig unerwartet gestorben.
Der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt, der mit seinen Dokumentationen unter anderem das großflächige Doping in der russischen Leichtathletik aufgedeckt hatte, sagte im DLF, die Anschuldigungen von Rodschenkow seien "extrem glaubwürdig". Seppelt und die ARD-Dopingredaktion hätten mit Rodschenkow in längerem Kontakt gestanden. Es sei aufgrund von Rodschenkows Aussagen klar gewesen, dass die Dimensionen des staatlich gelenkten Dopings weit über die Leichtathletik hinausgingen, und viel schlimmer seien, als was bisher generell bekannt war.
Seppelt sagte: "Wir reden hier von einer offensichtlich staatlich gesteuerten Vertuschung von Doping-Proben in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele und das nicht nur in einer Sportart, sondern in vielen. Und das ist sicher in dieser Dimension einzigartig."
Seppelt: Vergleichbar mit Staatsdoping in der DDR
Ein solch massiver Eingriff in die Integrität des sportlichen Wettbewerbs sei nahezu historisch beispiellos und sei eigentlich nur vergleichbar mit dem Staatsdoping der DDR in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Dass aber 2014 bei Olympischen Winterspielen so etwas immer noch passiere, sei einer der größten Dopingskandale in der Geschichte des Sports überhaupt. Die Konsequenz für Russland müsse lauten, das Nationale Olympische Komitee Russlands für "not code compliant", nicht regelkonform, zu erklären. Dies müsste zur Folge haben, dass das IOC Russland von den Olympischen Sommerspielen ausschließe und man Russland die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 entziehe, so Seppelt.
DOSB-Vorstandsvorsitzender: Russische Funktionäre lehnen Doping "auf verbaler Ebene" ab
Der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, sagte im DLF, dass Konsequenzen gezogen werden müssten, sollten sich diese Vorwürfe bewahrheiten. Vorverurteilungen dürfe es aber nicht geben. Nun sei die Welt-Anti-Doping-Agentur gefragt.
Die russischen Kollegen, mit denen er arbeite, lehnten Doping zumindest auf der verbalen Ebene ab und unterwerfen sich den Regularien. Allerdings sei das schwierig zu beurteilen, man würde es den Schuldigen "nicht an der Nase ansehen".
IOC muss sich an Versprechen messen lassen
Das IOC habe sich zu einer Null-Toleranz-Politik beim Doping bekannt. Das müsse jetzt auch eingelöst werden. Die Dichte von Dopingkontrollen sei in anderen Ländern längst nicht so hoch wie in Deutschland. Der russische Sportminister Witali Mutko nannte die Anschuldigungen in einer Stellungnahme eine Fortführung der böswilligen Angriffe auf den russischen Sport.
Das Internationale Olympische Komitee IOC bezeichnete die Anschuldigungen als "sehr detailliert und sehr beunruhigend" und bat die Welt-Anti-Doping-Agentur, direkte Ermittlungen aufzunehmen.
(vic/tgs)