Kommentar
Angriff auf Kinderkrankenhaus in Kiew: Putin ist zu allem bereit

Putin hat mit seinem Angriff auf das Kiewer Kinderkrankenhaus Entschlossenheit demonstriert. Es darf ihm nicht gelingen, die NATO in ihrer Unentschlossenheit vorzuführen. Das Bündnis muss jetzt schnell und entschieden handeln.

Ein Kommentar von Gesine Dornblüth | 09.07.2024
Zerstörtes Kinderkrankenhaus in Kiew nach einem russischen Angriff.
Der Angriff auf das Kinderkrankenhaus in Kiew zeigt erneut, wie skrupellos Putin in der Ukraine morden lässt. (picture alliance / ZUMAPRESS.com / Andreas Stroh)
Russland hat in seinem großen Krieg gegen die Ukraine schon oft bewiesen, wie skrupellos es mordet. Die Toten in Butscha und Irpin und die anschließende Auszeichnung der Täter durch den Kriegsherren Putin ließen bereits Schlimmstes erahnen. Die Sprengung des Kachowka-Staudamms vor gut einem Jahr mit der Überflutung einer ganzen Region war ein weiterer Ausdruck von Monstrosität. Mit dem offenbar gezielten Angriff auf das größte Kinderkrankenhaus der Ukraine ist ein weiterer Tiefpunkt erreicht. Die Bilder der kleinen Krebs- und Dialysepatienten inmitten von Trümmern machen fassungslos.
Wie gewohnt weist Russland die Verantwortung für den Angriff von sich, auch heute im UN-Sicherheitsrat. Aber das ist nicht mehr als ein eingeübtes Ritual. Eine Krücke, an der sich diejenigen festhalten, die Russland aus den verschiedensten Gründen nicht als Aggressor verurteilen wollen. Raketenteile und Bilder deuten darauf, dass das Krankenhaus direkt von einem russischen Marschflugkörper getroffen wurde.

Armutszeugnis für die NATO

Putin hat mit diesem Angriff signalisiert, dass er zu allem bereit ist – und das kurz vor dem Jubiläumsgipfel der NATO. Die muss jetzt ihrerseits entschieden, geschlossen und vor allem schnell reagieren.
Zunächst einmal geht es um Flugabwehr für die Ukraine, um sieben Patriotsysteme. Der Präsident der Ukraine hat diese Zahl schon Ende April genannt. Dass sie noch immer nicht gefunden sind, ist ein Armutszeugnis für das Bündnis und seine Mitglieder. Die Bundesregierung spielt hier mit der Lieferung von drei Patriotsystemen übrigens eine positive Rolle.

Berlin muss den Marschflugkörper Taurus liefern

In anderen nicht weniger wichtigen Fragen tut sie das nicht. Die Ukraine muss die Erlaubnis bekommen, unbegrenzt militärische Ziele in Russland auch mit westlichen Waffen anzugreifen, Militärflugplätze zum Beispiel, damit Raketen wie die auf das Kiewer Kinderkrankenhaus gar nicht erst abgefeuert werden können. Und die NATO-Staaten müssen der Ukraine endlich alle Waffen zur Verfügung stellen, mit denen sie diese Ziele erreichen kann. Ukrainische Organisationen in Deutschland fordern den Bundeskanzler jetzt völlig zu Recht auf, den Marschflugkörper Taurus zu liefern.
Vor allem aber muss die NATO endlich eine Strategie entwickeln, um Russland zu stoppen. Sie muss anerkennen und offen aussprechen, dass Sicherheit in Europa ohne die Ukraine nicht denkbar ist. Sie muss daraus die logische Konsequenz ziehen und die Ukraine in die NATO einladen, statt drumherum zu reden.

NATO wiederholt einen Fehler

Nur ein vages Versprechen zu geben, ist fatal. Die NATO wiederholt damit den Fehler von 2008. Damals hatte sie der Ukraine und Georgien den Fahrplan in die Mitgliedschaft verweigert. Das kam einer Einladung an Putin gleich. Wenige Wochen später griff Russland Georgien an.
Putin hat mit seinem brutalen Angriff auf das Kinderkrankenhaus Entschlossenheit demonstriert. Es darf ihm nicht gelingen, die NATO in ihrer Unentschlossenheit vorzuführen.
Gesine Dornblüth wurde 1969 in Niedersachsen geboren. Sie studierte Slawistik und promovierte über russische Lyrik. In den 90er-Jahren gründete sie mit ihrem Partner das Büro „texte und toene“ in Berlin und produzierte 15 Jahre Alltagsreportagen, Langzeitdokumentationen und politische Analysen aus Russland, der Ukraine, dem Südkaukasus und vom Balkan. Von 2012 bis 2017 war sie Korrespondentin von Deutschlandradio in Moskau.